Leliana...

Ihr habt Euch nach unserem Ausflug nach Valence immer weiter zurückgezogen und ich fühle mich schrecklich deswegen. Ihr wirkt distanzierter als sonst und scheint mir aus dem Weg zu gehen. Ich habe mich mit Cassandra und Josephine darüber unterhalten und auch ihnen ist die Veränderung aufgefallen. Wir machen uns alle Sorgen um Euch. Was in der Kirche in Valence passiert ist, hätte nie so kommen dürfen. Ich weiß, dass ich zum Teil selbst Schuld an diesem Ausgang mittrage, dadurch, dass ich euch oftmals harte Entscheidungen habe treffen lassen bzw. Euch zu ihnen ermutigt habe. Es war nie meine Absicht Euch dadurch zu etwas zu machen, was ihr im Grunde nicht seid: eine kaltherzige Person ohne Rücksicht oder Mitgefühl.

Ich habe durch Kaiserin Celene Kontakt zu Briala aufgenommen und diese hat wiederum die Heldin von Ferelden für mich ausfindig gemacht. Auch wenn ich weiß, dass ihr darüber nicht erfreut sein werdet, bitte, seht es mir nach. Wächter Kommandantin Mahariel wird sich binnen der nächsten Tage auf der Hinmelsfeste einfinden, um Euch in dieser schwierigen Selbstfindungsphase beizustehen. Ich hoffe sie kann Euch dabei helfen, Euch besser zu fühlen.

„Tod und Täuschung" - Ihr seid so viel mehr als das. Und bald werdet auch Ihr das (wieder) erkennen können.

Vielleicht könnt Ihr mir eines Tages verzeihen.

- Amelia

Lavellan legte den Brief, nachdem sie ihn erneut gelesen hatte, vor sich auf den Schreibtisch und seufzte. Auch nach dem zwanzigsten Mal, war sie nicht zu hundert Prozent mit dem Endergebnis zufrieden. Der Wind wehte eine leichte Brise in das vom Mondlicht durchflutete Zimmer des Inquisitors und die unzähligen zerknüllten Versuche raschelten leise über den Boden. Sie konnte es nicht länger aufschieben. Das Schuldbewusstsein lastete schwer auf Lavellans Brust und sie war sich bewusst, je mehr Zeit sie verstreichen ließ, desto weiter würde sich Leliana von ihr entfernen, bis sie sie irgendwann ganz verloren hätte. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Das konnte und durfte nicht passieren. Nicht nachdem die Inquisitorin und ihre Meisterspionin in dieser harten Zeit zusammen gefunden und eine so innige Freundschaft entwickelt hatten. Es klopfte vorsichtig an der Tür.

„Mylady, seid ihr noch wach? Ich sah das Licht durch Euren Balkon."

Cassandra - natürlich hatte sie bemerkt, dass irgendetwas nicht stimmte.

„Ja, tretet ein."

Die Sucherin betrat den großzügig geschnittenen Raum und ihr besorgter Blick richtete sich auf die Inquisitorin, die zu ihrer Überraschung noch an ihrem Schreibtisch saß und an irgendetwas zu arbeiten schien, dem vielen Papier nach zu urteilen. Cassandra stutzte. Normalerweise war Lavellan froh, wenn sie den Papierkram im Ratsraum hinter sich lassen konnte, nachdem die wichtigen Angelegenheiten besprochen worden waren. Nur selten hatte sie es erlebt, dass spezielle Berichte den Weg bis hier oben schafften. Eine Ausnahme war es gewesen, als der Lavellan-Clan bedroht wurde und der Herold entscheiden musste, wie sie ihre frühere Familie verteidigen und unterstützen wollte. Da zur Zeit jedoch keine ihr bekannte Bedrohung über den Dalish schwebte, musterte die Kriegerin das Chaos mit einem argwöhnischen Blick.

„Vorsicht, Sucherin. Wenn ihr weiter so finster drein schaut, gibt das noch Falten." Amelia grinste sie offen an. Cassandra wollte gerade den Mund öffnen um etwas zu erwidern, doch lediglich der Umstand, dass das Lächeln nicht die Augen der Elfin erreichte, hielt sie davon ab etwas in ihre Richtung zu blaffen. Stattdessen intensivierte sich ihr besorgter Blick und sie schritt langsam auf den Schreibtisch zu.

„Geht es Euch gut?" Ihr aufmerksamer Blick huschte kurz zu dem Blatt Papier, dass offen vor Lavellan auf dem Tisch lag. Letztere, die vor der Sucherin keine Geheimnisse hatte, schob ihr den Brief entgegen und Cassandra überflog die handgeschriebenen Worte.

„Die Sache mit Leliana macht Euch immer noch zu schaffen." Es war keine Frage.

„Seid Ihr sicher, dass dies der richtige Weg ist?", fragte die Kriegerin, und Besorgnis schwang in ihrer Stimme mit.

Amelia lehnt sich auf ihrem Stuhl leicht nach vorne, stützte ihre Hände auf den Beinen ab, vergrub das Gesicht in ihren Händen.

„Ich kann nicht zulassen, dass sie sich selbst verliert. Dass wir sie verlieren. Es ist meine Schuld. Ich hätte-." Sie brach mitten im Satz ab und schüttelte mit dem Kopf. Lange rotbraune Locken fielen ihr ins Gesicht und versteckten eine einzige Träne, die sich den Weg aus ihren Augen stahl. Amelia fühlte eine warme Hand an ihrer Schulter, und sie zwang sich selbst dazu, den Kopf anzuheben. Ihre Augen trafen auf die der Sucherin, die sich zu ihr hingekniet hatte - tosender Ozean gegen goldbraune Geborgenheit. Cassandra's Blick war sanft, der Argwohn aus ihrem Gesicht verschwunden.

"Sie wird Eure Bemühungen zu schätzen wissen." Sie lächelte jetzt. Amelia's Haltung entspannte sich etwas und sie atmete tief durch. Sie hatte sich zu lange erlaubt, ihren trüben Gedanken nachzuhängen.

„Allerdings zöge ich es vor, viele Meilen zwischen uns und der Himmelsfeste zu wissen, wenn Wächter Kommandantin Mahariel hier eintrifft." Sie erhob sich und Lavellan lächelte leicht, auch wenn sie wusste, dass Cassandra's ernster Unterton durchaus berechtigt war. Lelianas Wut würde die ganze Festung in Ehrfurcht erzittern lassen.

Lediglich das prickelnde Gefühl, dass die Sucherin mit dem Wort uns ausgelöst hatte, ließ sie das, was sie erwartete, für einen kurzen Moment vergessen.