Kapitel 51 – Überraschung
Von Fersen hatte es geschafft! Er hatte Marie Antoinette im Trianon besucht und sie überredet, nach Versailles zurückzukehren. Das war eine sehr schöne Nachricht und viele Menschen atmeten erleichtert auf. Denn bisher hatte es noch niemand geschafft, die Königin dazu zu bringen, ihre königlichen Pflichten wieder aufzunehmen. Jetzt würde ganz sicher alles besser werden. So dachte Oscar, als sie die königliche Familie mit ihrer Garde von Trianon nach Versailles eskortierte. Nachdem die Pflicht getan war und Marie Antoinette mit ihren Kindern sicher bei ihren Gemächern ankam, ritt sie mit André nach Hause. Oscar war so glücklich, dass sie am liebsten tanzen wollte. Sie und tanzen? Bei dem Gedanken wurde ihr selbst komisch, weil sie nämlich die Bälle nicht ausstehen konnte. Nun gut, mit der Königin hatte sie damals getanzt, um sie von dem falschen Gerede zu schützen und das war etwas völlig anders gewesen.
„Sag mal, Oscar, was ist denn los?" André bemerkte natürlich ihre gute Laune. Normalerweise verbarg Oscar ihre Gefühle, aber nicht jetzt. Seine Geliebte strahlte um die Wette mit der Sonne. André freute sich, wenn Oscar glücklich aussah, aber er hätte gerne auch den Grund dafür gewusst. „Du bist heute so anders. Worüber denkst du die ganze Zeit nach?"
„Es ist nichts, André." Oscar schmunzelte. Sollte sie ihm ihren Wunsch sagen? Oder lieber ihn damit überraschen? Sie entschied sich für die erste Option. „Ich will nur auf einen Ball gehen und mit dir tanzen. Wenigstens einmal in meinem Leben möchte ich wie eine Frau sein."
„Was?" André glaubte sich verhört zu haben. Oscar wollte mit ihm tanzen, um für ihn eine Frau zu sein? Aber sie war doch eine Frau – seine Frau und das schon seit vielen Jahren! Ihre beiden Kinder, François und Marguerite, waren der beste Beweis dafür! Was war jetzt dann plötzlich mit Oscar los? André verstand das nicht. „Ist das dein Ernst?"
„Ja, das ist mein Ernst." Oscar gab ihrem Pferd die Sporen und galoppierte davon.
„Hey, warte auf mich!" André ritt schnell hinter ihr her, aber kam trotzdem später auf das Anwesen der de Jarjayes als sie an. Sein Pferd ließ er in die Box rein, ohne ihn abzusatteln und eilte in das Haus. „Wo ist Oscar?", fragte er seinen Sohn, der mit Augustin und Marguerite vor der großen Treppe stand und alle drei schauten staunend nach oben
„Mutter zieht sich um.", sagte François.
„Sie will heute ein Kleid tragen.", fügte Augustin hinzu.
Marguerite blieb auch nicht sprachlos. „Sie sagte, sie will dich überraschen."
„Wie bitte?" André eilte die Treppe hoch. Er wollte Oscar und ihr Vorhaben mit eigenen Augen sehen! Jedoch kam er nicht dazu. Seine Großmutter lief an ihm vorbei und in ihren Händen trug sie ein hellblaues Kleid. Das war doch nicht etwa für Oscar, oder? „Was geht hier vor?", wollte André deshalb von seiner Großmutter wissen.
„Endlich ist es soweit!", schwärmte Sophie und eilte glücklich weiter, ohne ihm richtige Beachtung zu schenken. So, als würde sie mit sich selbst reden. „Ich bringe Lady Oscar das Kleid, das ich einmal für sie genäht habe!"
„Ein Kleid?" Dann hatte er sich nicht verhört... Oscar meinte es wirklich ernst, als sie sagte, dass sie mit ihm tanzen wollte! André freute sich einerseits, aber andererseits konnte er es noch immer nicht glauben.
Sophie hielt vor Oscars Tür an und bevor sie in das Zimmer reinging, schaute sie kurz zu ihrem Enkel. „Lady Oscar sagte mir, dass sie heute Abend auf dem Ball ein Kleid tragen möchte. Ist es nicht erstaunlich?" Mit anderen Worten, endlich ging ihr größter Wunsch in Erfüllung und ihr überaus geliebter Schützling würde ein Kleid tragen – so wie es der Natur entsprach! Vielleicht würde sie dort auf einen Mann treffen, sich verlieben, dann heiraten und das Leben einer Frau führen! Sophie verschwand eilig hinter der Tür und ließ den perplexen André zurück.
Ja, das war sehr erstaunlich, dachte sich André und ging zurück zu seinen Kindern und Augustin. Oscar wollte wirklich auf den Ball gehen und mit ihm tanzen! Was für eine schöne und gleichzeitig eine absurde Vorstellung! Sich Oscar in einem Kleid vorzustellen war so gut wie unmöglich! Da konnte man gleich eine Bohnenstange mit Seide umwickeln. Sie hatte doch noch nie Kleider getragen und war wie ein Mann erzogen worden. Wozu dann dieser Sinneswandel? Um ihm ihre Liebe noch mehr zu beweisen?
„Vater, alles in Ordnung?" François mit Augustin und Marguerite sah ein wenig besorgt zu ihm. Sein nachdenklicher und noch immer fassungsloser Gesichtsausdruck beunruhigte sie etwas.
„Ja, mit mir ist alles gut, mein Junge." André versuchte zu lächeln, aber das misslang ihm. Seine Gedanken galten nur Oscar und wie sie in dem Kleid, das er in den Händen seiner Großmutter gesehen hatte, aussehen mochte. Er hatte sie immer in Uniform oder Männerkleider gesehen und ein Kleid schien ihr gar nicht zu passen.
„Mama wird bestimmt schön sein, oder?", hörte André seine Tochter fragen und schenkte ihr ein Lächeln. „Ja, das wird sie, meine Süße. Oscar sieht immer schön aus, egal was sie trägt."
„Also wird sie niemals mehr eine Uniform tragen und das Leben einer Frau führen?", fragte Augustin ein wenig skeptisch. Wenn seine Mutter das Leben eines Mannes aufgab, dann würde sein Großvater höchstwahrscheinlich sehr böse sein und ihn in das Dorf des Grauens zurückschicken. Das erschreckte Augustin, aber nicht mehr so sehr wie früher. Noch bevor sein Großvater ihn fortschicken würde, würde er weglaufen und sein Leben selbst bestreiten, denn er war bereits zwölf Jahre alt.
André wurde bei seiner Frage hellhörig. „Wie kommst du darauf?", wollte er von ihm wissen.
„Weil sie Kleider hasst und sie nie eines anziehen wollte.", antwortete François anstelle von Augustin.
André schmeichelten die Gedanken der Kinder, denn er fühlte sich genauso und hätte selbst gerne gewusst, warum seine geliebte Oscar das machte. Um ihm ihre Liebe zu beweisen brauchte sie sich doch nicht in ein Kleid zu zwängen! Er liebte ihre Persönlichkeit, so wie sie war, und nicht, was sie trug. „Ich weiß zwar nicht, was mit Oscar los ist und warum sie das macht, aber eines bin ich mir sicher: Sie wird niemals das Leben eines Mannes aufgeben. Sie ist dazu erzogen worden, Offizier zu sein." Zumindest versuchte er das den beiden Jungen einzureden, aber innerlich bekam er Zweifel.
„Dann ist es mit dem Kleid eine einmalige Sache?", fragte Augustin.
„Ja, das könnte man so sagen.", meinte André und in dem Moment hörte er seine Großmutter, wie sie nach ihm rief: „André, komm schnell!"
„Ich komme ja schon!" Er ging und die drei Kinder folgten ihm.
Oscar stand auf der Treppe und André hätte sie fast nicht erkannt. Das hellblaue Kleid betonte ihre schmale Figur noch mehr als die Uniform und der viereckige Ausschnitt verbarg züchtig ihre Oberweite. Ihr goldblondes Haar war hochgesteckt und entblößte ihren schlanken Hals. André und den Kindern öffneten sich die Münder. „Mutter ist so schön!", murmelte Marguerite mit leuchtenden Augen. François und Augustin stimmten ihr mit einem Nicken zu. Den beiden Knaben war die Sprache abhanden gekommen. Ja, ihre Mutter war die schönste Frau, die sie jemals gesehen hatten. So elegant, anmutig und würdevoll! Kein Wunder, dass ihr Vater sie so sehr liebte.
„André, wie lange willst du noch dort stehen?" Oscar kam mit langsamen Schritten näher zu ihm. „Fahr mich bitte nach Paris."
„Nach Paris?" André bekam ein wenig Angst um seine Geliebte, denn Paris war bekanntlich für die Adligen nicht mehr sicher.
Oscar verstand sein Zögern nicht und warum er sie so eigenartig anschaute. Gefiel sie ihm etwa im Kleid nicht? War das etwa doch keine gute Idee, sich in ein Kleid zu zwängen und mit ihm tanzen zu wollen? Das würde sie alles unterwegs erfahren und wenn ihr Verdacht sich bestätigen sollte, dann würde sie sofort umkehren und ihre Uniform wieder anziehen! „Ja, ich dachte an das eine Maskenball, wo mich niemand erkennen kann."
„Du hast recht." André nahm sachte ihre zartgliedrige Hand und ging mit ihr zu der Kutsche. Das war eine einfache Kutsche, ein Zweigespann und ohne dem Wappen der de Jarjayes. Er half ihr in die Kutsche zu steigen. „An welches Haus hast du gedacht?"
„An das einfache Haus, wo junge Menschen und einfache Studenten verkehren." Mit anderen Worten, sie meinte das Haus, wo Marie Antoinette vor vielen Jahren zum ersten Mal Graf von Fersen begegnet war.
André verstand. „Du siehst wunderschön aus.", flüsterte er, schloss die Tür und stieg auf den Kutschbock. Oscar schmunzelte und ihre Wangen glühten. Sie hatte sein Kompliment gehört und das schmeichelte ihr sehr. Das war also doch eine gute Idee, für ihn ein Kleid anzuziehen und mit ihm tanzen zu gehen.
Das genannte Haus befand sich am Rande der Stadt und dort verkehrten in der Tat nur Menschen aus dem dritten Stand. Der Ballsaal war auch gut gefüllt und kein Mensch beachtete die Neuankömmlinge. Außer einem jungen Mann, der sich abseits der tanzenden Paare aufhielt und die schöne Unbekannte neugierig beobachtete.
André lud seine Oscar sogleich zu einem Tanz und führte sie im Takt der lieblichen Melodie, die den ganzen Saal mit einem sanften Klang erfüllte. Oscar schwebte wie eine leichte Feder in der Luft und ignorierte ihr schnell schlagendes Herz. Der eindringliche Blick der smaragdgrünen Augen ihres Geliebten ließ sie an eine Wiese voller duftender Wildblumen und den sanften Wind denken. Wie gerne würde sie jetzt mit ihm auf dieser Wiese liegen, den sanften Wind auf ihrer Haut spüren und seine Liebesworte hören! Ihr Blick senkte sich auf seine blutroten Lippen und nur mit großer Mühe zwang sie sich, weiter zu tanzen und ihn nicht auf der Stelle zu küssen. Hier in der Öffentlichkeit, wo jeder Mensch sie sehen konnte, wäre so ein Verhalten äußerst unschicklich und skandalös! Aber wie sollte sie sich noch weiter beherrschen, wenn die Hitze der Leidenschaft und des Verlangens bereits ihren ganzen Körper verbrannte? „André...", flüsterte Oscar atemlos, trat bei einer Drehung auf den Rocksaum ihres Kleides und stolperte.
André brach den Tanz sofort ab und fing seine Geliebte um die Taille auf. Er rettete sie noch gerade rechtzeitig vor dem Fall, hielt sie fest in seinen Armen und fühlte sich in ihren blauen Augen wie ein Schiffsbrüchiger, der gerade dabei war, in einem Ozean zu ertrinken. „Du bist so wunderschön...", murmelte André und versuchte nicht laut zu atmen. „Ich hätte nie gedacht, dass du jemals ein Kleid anziehst. Jetzt liebe ich dich noch mehr als jemals zuvor. Aber nicht nur, weil du heute für mich ein Kleid trägst und mit mir tanzt. Ich liebe dich so wie du bist und nicht dafür, was du trägst. Du weißt, ich werde dich niemals zu etwas zwingen. Du sollst dein Leben so führen, wie du es für richtig hältst – meine Liebe wird zu dir niemals vergehen. Ich danke dir für dieses wundervolle Geschenk, wie dieser Abend und zwei Kinder. Du machst mich zu einem der glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt."
„Nicht so laut, bitte, sonst kann uns jemand hören.", brachte Oscar von sich halblaut und schluckte hart. Seine Worte rührten sie zu tiefst und das Korsett ihres Kleides nahm ihr noch mehr Luft zum Atmen. Sie würde es nicht mehr länger aushalten können! Sie musste unbedingt mit ihm alleine sein! Sonst würde das Korsett sie erdrücken und die Liebeslust ihren Körper verbrennen...
„Und wenn? Niemand weiß hier, dass du es bist." André schmunzelte und hätte sie am liebsten geküsst. Jeder sollte sehen, dass sie ein Paar waren, dass sie seine Frau war und wie sehr er sie liebte! Jedoch beherrschte er sich. Niemals würde er etwas tun, was Oscar nicht wollte.
„Also gut." Oscar fühlte sich schwach und wünschte nur noch mit ihm von hier fort zu sein. „Lass uns in unser Jagdhaus am See fahren."
André verstand und sein Lächeln wurde breiter, sein Blick lüstern. „Jetzt gleich?"
„Ja, ich bekomme langsam kaum Luft in diesem Kleid." Das war eine Ausrede mit einem Stückchen Wahrheit.
„Dann lass uns gehen, meine Liebe."
Das Jagdhaus am See war schon seit langen Jahren ein Ort der Zuflucht ihrer Liebe und Zweisamkeit. Während Oscar im Inneren des Hauses eine Kerze anzündete, ihre Haare von Haarnadeln und Haarspangen befreite, band André schnell die Kutschpferde an den Baum und eilte zu ihr. „Mit offenem Haar siehst du besser aus." Das war die Wahrheit. Wie goldenes Vlies lag Oscars Haar in Wellen über ihre weißen Schultern, umhüllte ihren schlanken Hals und verdeckte den viereckigen Ausschnitt.
„Da sind wir schon zwei. Diese ganzen Nadeln und Spangen hatten an meiner Kopfhaut gezogen." Oscar kam auf ihn zu und zog ihn am Kragen zu sich. Endlich waren sie alleine und konnten ihrem Verlangen nachgeben! „Ich liebe dich, nur dich."
Wie schön das klang! Auch wenn sie ihm das oft sagte, erwärmten ihre Worte jedes Mal das Herz und ließen ihn schmelzen. „Meine liebste Oscar, ich liebe dich mein Leben lang." André küsste sie leidenschaftlich und hob langsam ihr die Röcke an. „Weißt du was an einem Kleid gut ist?"
Warum interessierte ihn das jetzt? „Nein, das weiß ich nicht." Oscar öffnete seine Ausgehjacke und zerrte sie von seinen Schultern. Er soll sie lieben und nicht reden!
„Wenn es schnell gehen muss, braucht man nur die Röcke hochzuheben, um reinkommen zu können." André ließ seine Ausgehjacke achtlos zu Boden fallen und zog seine Oscar wieder an sich. „Die Hose dagegen muss man immer ausziehen. Aber nur bei dir..."
„André!" Oscar schob ihn von sich, aber lachte. „Ich wusste nicht, dass du so ein Lustmolch bist!"
„Aber nur bei dir." André grinste und suchte mit seinen Fingern nach den Schnüren ihres Korsetts.
„Das will ich hoffen." Oscar entwich seinen Händen und ging zu der breiten Bank, die an einem anderen Ende des Hauses stand und für sie als Bett diente. „Jetzt ziehst du dich aus. Ich habe nicht die Lust, immer auf dich zu warten." Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und lächelte kokett.
„Alles was du willst, meine Liebe." André zog sich bis auf die Hose aus und Oscar sah ihn dabei lüstern an. Nur noch etwas und dann würde sie mit ihm in Lust, Liebe und Leidenschaft verglühen! „Jetzt bist du dran." Er kniete zu ihr, zog ihr Schuhe und Strümpfe aus. Dann stand er auf, nahm ihre Hände und zog sie in die Höhe. Er half ihr aus dem Kleid, breitete seine Kleider auf der Bank aus und während sie sich hinlegte, entledigte er sich seiner Hose und legte sich zu ihr. „Mir fällt ein, in diesem Haus sind unsere Kinder entstanden."
„Das stimmt. Aber diesmal sorgen wir dafür, dass es keines entsteht." Oscar presste sich zu ihm, spürte die Wärme seines Körpers und genoss seine Liebkosungen auf ihrer Haut.
„Ja, das machen wir, Liebste." André küsste sie überall, verwöhnte sie mit seinen Fingern und als er in sie eindrang, stöhnte sie laut seinen Namen bei jedem seiner Stöße.
Draußen war es bereits dunkel und still. Wie ein Schatten bewegte sich ein Mann vor dem Fenster des Jagdhauses, stieg auf sein Pferd und ritt davon.
