Flashback.


Der Schreck ließ ihr den Löffel aus den Fingern gleiten, als die Tür gegen die Wand knallte. Herein kam ein wutentbrannter Mr. Carson, der sich vor den beiden Damen aufbäumte, sein Blick starr auf die soeben verschüttete Suppe am Boden gerichtet.

Es arbeitete in ihm. Er wusste, wenn er seinen Mund öffnen würde, würde er sich nicht beherrschen können. Würde er aber nicht sprechen, würde er ebenso explodieren.

Mrs. Hughes erhob sich vom Stuhl, irritiert sah sie zu Mrs. Patmore, unsicher, was Mr. Carson so in Aufruhr versetzt haben mochte.

"Was ist geschehen, Charles? Was ist mit dir?" Elsie merkte, wie sich seine Muskulatur immer mehr anspannte. Die Hausdame ging einen Schritt auf ihn zu, wollte ihn beruhigend am Arm berühren (und ihn umarmen, und ihn küssen) doch er vermied jeglichen Kontakt, er wich mit einem Schritt nach hinten aus, hob stumm seine Hand, um ihr ein deutliches Zeichen von Distanz zu zeigen.

"Aber ... Charlie, was ist mir dir?" Noch immer vermied der Butler Augenkontakt, noch immer wusste er nicht, wie er mit dem soeben gehörten umgehen soll.

"Ist es wahr?", zischte er durch seine zusammengepressten Zähne.

"Ist was wahr? Sag doch, Charlie, was soll wahr sein?" Mrs. Hughes sah hilfesuchend zu Mrs. Patmore, doch auch sie schien zu perplex, um aus dieser Situation heraus helfen zu können.

"HAST DU DICH, ODER HAST DU DICH NICHT, IM KLEIDERSCHRANK IHRER LADYSCHAFT BEDIENT!"
Er blickte sie an, seine Augen schärfer, dunkler und bedrohlicher als je zuvor, sein Gesicht dunkelrot. Er schmiss ihr die Frage (die gar nicht als Frage gestellt war) nur so um die Ohren.

Mrs. Hughes konnte nichts anderes als ein klägliches "Was ... ?" hervorstammeln. Sie verstand die Situation nicht. Sie hörte sein Schreien, aber sie konnte die Worte nicht sinngemäß verarbeiten. Sie bekam sehr wohl mit, dass es um Lady Granthams Mantel gehen musste, aber ihr Hirn war von der Art und Weise, wie er mit ihr sprach, derart von Denken gehemmt, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Sie schloss die Augen, versuchte Worte zu sortieren und zu finden.

Das Warten auf eine Rechtfertigung war für den Butler zu viel, es dauerte einfach zu lange.
„WÄREST DU EINER MEINER BURSCHEN, WÜRDE ICH DICH SOFORT HINAUSWERFEN! WIE KONNTEST DU UNS VOR IHRER LADYSCHAFT SO BLAMIEREN?!"

Mrs. Hughes bemerkte, wie ihr die Beine drohten zu versagen, in ihrem Kopf drehte sich alles, sie suchte Halt am Tischlein hinter ihr. Sag was, Elsie. Sag was. Denke. Atme. Sag etwas. Atme.

Erneut sog Mr. Carson tief Luft ein, um weitere Worte ausspeien zu können, doch bevor es dazu kam, floh Mrs. Hughes aus ihrem Dienstzimmer.

Einige Sekunden vergingen, ehe Mrs. Patmore aufstand und Mr. Carson damit zu erschrecken schien. Er hatte sie zuvor kein bisschen bemerkt. Die Köchin ist gerne in verkniffenen Situationen eine Stütze, oder gibt spitze, humorvolle Bemerkungen von sich, doch hier, fehlten auch der sonst so einfallsreichen Mrs. Patmore die Worte. Sie blickte zur Tür und befand, es wäre besser, sie erst einmal zu schließen. Den Türknauf noch in der Hand, lehnte sie sich mit der Stirn gegen das kühle Holz, ihr angehaltener Atem entwich ihr lautlos. Sie drehte sich um.

Was die Köchin nun vor ihren Augen hatte, war ein noch immer angespannter Butler, der ihrer Meinung nach, nur die halbe Geschichte kenne könne, jedoch durch sein herablassendes Verhalten eben viel Schaden angerichtet habe.

"Na sagen Sie, wissen Sie denn nicht, dass es Unglück bringt, wenn der Bräutigam die Braut vor der Hochzeit sieht?!", fragte sie den Butler herausfordernd.

"Mrs. Patmore, denken Sie, ich wäre für solche Kindereien nun aufgelegt?", konterte Mr. Carson entnervt, indem er ihren Namen gezogen lang aussprach. Ihm war wohl bewusst, dass sich Mrs. Hughes einen immensen Fehltritt vor ihrer Ladyschaft geleistet hatte. Aber er wusste auch, dass er ebenfalls eine Grenze überschritten hatte. Es fühlte sich nämlich anders an; Er explodierte immer wieder mal, das war niemandem unbekannt, wenn einer der Burschen zum Beispiel mit matschigen Schuhen die Post hereinbrachte, oder wenn Mr. Molesley wieder mal seine Handschuhe verlegt hatte. Aber noch nie! - Noch nie in all den Jahren, hatte er seine Stimme gegen Mrs. Hughes dermaßen anmaßend erhoben. Noch nie. Diese Situation fühlte sich nicht so befreiend wie in den anderen Fällen an. Ganz im Gegenteil: Anstatt dass er sich erleichtert fühlte, spürte er ein drückendes Gefühl in seiner Herzgegend.

"Mrs. Hughes hat sich unehrenhaft verhalten. Sie hat mit Anna den Kleiderschrank ihrer Ladyschaft durchwühlt. Dieses indiskrete Verhalten hätte ich ihr nie zugetraut, als Rechtfertigung hat sie ihre (unsere) Hochzeit genannt. Sie bringt Schande über die ganze Dienerschaft, als hätten wir kein Gefühl für Ehre."

"Also erstens einmal, hat Mrs. Hughes nicht herumgewühlt. Und zweitens war auch ich dabei, aber das dürfte Sie ja wohl kaum überraschen, so gut informiert, wie Sie sind, Mr. Scottland Yard", beendete die Köchin zynisch als sie Mr. Carsons entrückten Gesichtsausdruck bemerkte, und rollte unbeeindruckt die Augen. "Lady Mary hat Mrs. Hughes angeboten, sich einen Mantel ihrer Ladyschaft für die Hochzeit zu leihen. Es war alles besprochen und ausgemacht. Von wegen unehrenhaft verhalten! Schämen Sie sich, so etwas von Mrs. Hughes zu denken!"

"Aber ... !"

"Aber, was?", unterbrach Mrs. Patmore, "Aber ihre Ladyschaft war echauffiert uns in ihrem Ankleidezimmer vorzufinden? Oh ja, das war sie, keine Frage! Und ja, sie hat uns in diesem Moment klipp und klar mitgeteilt, wie enttäuscht sie über Mrs. Hughes Verhalten sei. ABER sie war vor einer halben Stunde hier im Dienstzimmer und hat Mrs. Hughes um Verzeihung gebeten und erklärt, wie es zu dem Missverständnis kommen konnte. Da sehen Sie!", Mrs. Patmore deutete auf den Schreibtisch und forderte Mr. Carson auf sich zu drehen, misstrauisch hob er eine Augenbraue. Er sackte sichtlich in sich zusammen, als er ein Bündel schweren Stoffes auf der Schreibfläche erkannte. Er schloss die Augen und seufzte.

Mrs. Patmore war sich sicher, dass sie nicht zu erwähnen brauche, dass es sich hier um einen Mantel von Lady Cora Grantham handle.

"Ein Geschenk. Heruntergebracht von ihrer Ladyschaft persönlich. Für einen glücklichen Tag morgen. Für eine glückliche Braut."

"Ich bitte Sie, hören Sie auf." Mr. Carson wandte sich bei seinen Worten vom Mantel wieder zur Köchin.

"Na und wo wollen Sie denn jetzt hin?", fragte Mrs. Patmore schon fast amüsiert, als sie Mr. Carson zur Tür gehen sah.

"Ich möchte mit Mrs. Hughes reden."

"Oh nein, Amor, das lassen Sie schön bleiben! Ich werde sie suchen und versuchen herauszufinden, wie tief die Enttäuschung sitzt."

"Die Enttäuschung?", warf Mr. Carson zurück.

"Haben Sie denn vor 10 Minuten etwa keine Augen im Kopf gehabt? Haben Sie nicht gesehen, was Sie Mrs. Hughes angetan haben?" Mrs. Patmore sah in ein nervöses Gesicht.

Mr. Carson nickte stumm, die Lippen zusammengepresst, als er die Köchin aus dem Zimmer gehen sah und mutlos zu sich meinte: "Doch - ich wusste, dass es Unglück bringt, die Braut vor der Hochzeit zu sehen."

Der Raum war nun mucksmäuschen still, einzig und allein er stand da, nichts rührte sich. Kein aufgeregtes Plaudern, kein kindliches Gelächter vor Vorfreude auf den morgigen Tag, keine ausgesprochenen Träumereien erfüllten den Raum mehr. Er war leer. Der Raum, ebenso wie Mr. Carson ... er war leer. So als hätte Elsie jeden Frohsinn mit sich und dem Rasseln ihrer Schlüssel mit durch die Tür genommen.


Ohje, arme Elsie. Armer Charles. Hoffentlich finden die beiden wieder zusammen (man kann sich nur die Versöhnung vorstellen ;-)). Mrs. Patmore kann Elsie hoffentlich wieder beruhigen.

Würde mich freuen, wenn euch das Kapitel gefallen hat. Danke für die ersten Reviews. Ich habe mich wahnsinnig darüber gefreut. DANKE! :-) Ich freue ich, wenn ich Chelsie-Shipper glücklich sehe ;-)

Wir sehen uns bald wieder!