Gespräch unter Freundinnen.


"Aber was ist denn jetzt?", fragte Mrs. Patmore merklich genervt vor lauter Ungeduld, als sie bei Mrs. Hughes saß.

Mrs. Hughes war aufrecht im Bett gegen das Kopfende gelehnt, auf ihrem Schoß war ein Tablett platziert, auf dem man Suppe, Toastbrotscheiben und eine Kanne Tee mitsamt Plätzchen fand. Eine gefüllte Tasse des heißen Schwarztees hielt sie bereits in Händen - unberührt.

Man sah Mrs. Hughes die Strapazen des Vorabends und der Überraschung des heutigen Morgens noch deutlich an: ungekämmtes Haar, enttäuschte, gerötete Augen, nach wie vor in der Kleidung von gestern.

"Versuchen Sie doch wenigstens ein paar Löffel der Suppe zu sich zu nehmen!"

Mrs. Hughes schüttelte dankend den Kopf. "Der Tee ist momentan ausreichend für mich. Haben Sie vielen Dank." Daraufhin zwang sie sich demonstrierend zu einem Schluck, gefolgt von einem quälenden Lächeln.

"Nun denn! Ich denke, wir werden Sie erst einmal frisch machen.", die Köchin stand auf, schnappte sich das Tablett und stellte es auf dem Nachttischchen ab. Mit den Worten "Hopp auf!" zog Mrs. Patmore die Decke von Mrs. Hughes Beinen, als sie merkte, dass sie mit einem sturen Esel zu sprechen schien, der sich nicht bewegen wollte. "Wenn Sie mir nicht verraten wollen, was Sie beide heute Morgen besprochen haben, dann sehe ich auch keine weitere Entschuldigung darin, länger in diesem erbärmlichen Zustand zu verweilen!", Mrs. Patmores Zeigefinger deutete mehrmals vom Scheitel (was davon noch übrig war) der Hausdame bis hin zu den Zehenspitzen auf und ab.

Mrs. Hughes war peinlich berührt und gestand ein, dass ihre Freundin wohl recht habe, ließ ihre Beine vom Bett herab und erhob sich. Ein Schwindel beschwor weiße Blitze vor ihren Augen hervor und ließ ihre Beine zu Pudding werden. Mrs. Patmore bemerkte (erwartete?) dies umgehend und stützte sie unter ihren Armen, bevor Mrs. Hughes zu Boden sacken konnte. Zurück auf dem Bett, steckte Mrs. Patmore eine Toastscheibe in Mrs. Hughes Hand und eine andere unverzüglich in deren Mund.

Mrs. Hughes Augen weiteten sich durch diese unvorhergesehene Aktion der Köchin und begann zu husten, da sie ein, zwei Krümel verschluckt hatte. Die Hausdame griff daraufhin nach dem Toastbrot, um es aus ihrem Mund zu entfernen. Als sie jedoch Mrs. Patmores ermahnenden Blick sah, hielt sie in der Bewegung abrupt inne; Das Brot in ihren Fingern haltend, während es noch im Mund steckte. Sie verweilte einige Sekunden in dieser Position und betrachtete von unten herab ihre Freundin (hallo Dackelblick).

Von jetzt auf gleich fing Mrs. Hughes schallend an zu lachen, sie konnte sich nicht mehr zurückhalten bei dem Gedanken an ihr aktuelles Erscheinungsbild. Mrs. Patmore stieg nach nur kurzer Zeit mit ein. Durch den Lachausbruch spürte Mrs. Hughes Freude bis in ihre kleinste Zehe, es war einfach herrlich und ließ die Enttäuschung (Leere) für einen Augenblick vergessen. Für den Moment fühlte sie sich befreit.

Nachdem Mrs. Hughes etwas Festes im Magen hatte, stand sie erneut auf und begab sich zu ihrem Pflegetischchen mit Spiegel. Sie sah so aus, wie sie es sich dachte und sich auch fühlte: Undefinierbar.

"Das hatten Sie die ganze Zeit vor Augen?", fragte Mrs. Hughes. Als sie sich aber länger im Spiegel betrachtete, verschwand ihre Heiterkeit von zuvor wieder. Sie griff kopfüber zu ihren Haarnadeln und zog sie heraus. Ihr langes Haar entspannte an ihrem Rücken und war bereit zum Kämmen.

Sie erblickte dank dem Spiegel die Figur Mrs. Patmores, sie war eine kleine Gestalt im Hintergrund. Mrs. Patmore bemerkte in Mrs. Hughes Gesichtsausdruck, dass sie jetzt gerne reden würde und schenkte ihr ein verständnisvolles Nicken. Sie kam zu ihr vor und legte ermutigend ihre Hände auf Mrs. Hughes Schultern, ihr Augenkontakt blieb über die Spiegelfläche aufrechterhalten. Die Köchin war bereit zum Zuhören.

"Es war für mich zunächst ein Schock, als ich mitbekam, dass Charles hier bei mir im Zimmer war. Ich hatte meine Augen noch nicht einmal geöffnet, als er einfach lossprach. Zunächst war ich mir unsicher, ob ich ihn wirklich gehört hatte und er bei mir im Zimmer war, oder ob ich mir das nur eingebildet hatte. Ich war nicht bereit dazu, mit ihm zu sprechen oder ihn zu sehen, daher ließ ich meine Augen vorerst geschlossen, bis ich Klarheit über seine Anwesenheit bekam. Und ich wollte nicht, dass er mich so sieht. Ich wollte nicht, dass er sieht, wie sehr er mich verletzt hat, was er im Stande ist, aus mir zu machen."

Mrs. Hughes blickte bei den letzten Worten in ihre eigenen Augen und musterte sich. Als sie weitersprach, ließ sie wieder von ihr selbst ab.

"Als die Matratze neben mir einsank - da schien er sich neben mich zu setzen -, wusste ich, dass er wirklich hier war. Ich spürte seine Nähe. Und ich roch seinen Geruch (dieser Geruch!). In dem Augenblick, in dem ich also ganz und gar realisierte, dass er hier bei mir war, wurde ich auf einmal zornig.

"Ich fühlte mich von ihm überrumpelt, gedrängt ... eingesperrt, ohne Wahl auf eine bevorstehende Konfrontation."

Mrs. Hughes griff nach ihrer Bürste und begann sich abwesend damit durchs Haar zu fahren als sie weitersprach:

"Noch habe ich aber versucht meine Gefühle zu ordnen und brachte keinen Ton heraus. Ich war mir nicht sicher, wie ich mit Charles reden sollte. Oder was ich ihm sagen sollte.

"Eigentlich wollte ich ihn aus tiefstem Bedürfnis anschreien (Wie konntest du mir das nur antun? Wie konntest du mich vor dem ganzen Hsus nur so erniedrigen? Wie konntest du mich so verletzen? Wie konntest du nur in dieser Lage sein, mich so zu verletzen? Wie konntest du bloß so von mir denken?). Aber dazu kam ich nicht."

Mrs. Patmore war mucksmäuschen still und wartete gebannt.

"Ich bemerkte, dass sich Charles begann zu bewegen und öffnete dann doch meine Augen, ich sah, wie er sich ein wenig von der Matratze erhob um leichter aus der Seitentasche seiner Livree ein Kuvert herauszuziehen. Er überreichte mir den Umschlag mit den Worten: "Ich kann mir gut vorstellen, dass du von mir nichts hören möchtest. Daher habe ich dir diese Zeilen geschrieben."

"Er lag den Brief auf meinen Schoß, blieb noch einige Sekunden sitzen und betrachtete das Kuvert skeptisch. Charles wirkte fast so, als würde er noch einmal darüber nachdenken, ob er seine Zeilen wirklich hier lassen solle.
Dann stand er auf, und ging aus dem Zimmer. Dabei fiel mir auf, dass er gar keine Schuhe anhatte.
Wissen Sie, wann Charles in mein Zimmer kam?

Mrs. Patmore überlegte und rechnete laut vor: "Es müsste so ungefähr bisschen vor 2 Uhr Morgens gewesen sein. Wir beide - Sie und ich - waren gegen 23 Uhr in ihrem Schlafzimmer, dann sind Sie eingeschlafen und einige Zeit später kam dann Mr. Carson hereingeschlichen - wie Sie bemerkten, ohne Schuhe."

Mrs. Hughes blickte tief in ihre eigenen blauen Augen. "Dann ist er ganze 6 Stunden hier gesessen. Ich bin erst gegen 8 Uhr aufgewacht.
Wie haben Sie das angestellt, dass der bisherige Tag ohne mir funktioniert?", wollte die Hausdame interessiert wissen.

"Mich würde mehr interessieren, was in dem Brief stand.", konterte die Köchin unbeeindruckt von Mrs. Hughes Frage.

Mrs. Hughes drehte sich sitzend zu Mrs. Patmore um und sah ihr in die Augen. "Ich weiß es nicht, ich habe ihn noch nicht gelesen."

"Oh ... na dann - meinen Sie nicht, dass es Zeit wird?"

Mrs. Hughes senkte ihren Blick und drehte sich wieder zu ihrem Spiegelbild, ohne eine Antwort zu geben. Mrs. Patmore fand, es wäre nun der Augenblick, Mrs. Hughes alleine zu lassen, in der Hoffnung, sich ihre Frage durch den Kopf gehen zu lassen.

"Ich werde Sie jetzt verlassen.", sprach sie bereits mit dem Tablett in Händen. "Daisy beginnt bald mit den Vorbereitungen für das Dinner, und ich muss vorher noch mit ihr über unsere Vorräte und die morgige Bestellung bei Mr. Bakewell sprechen."

"Haben Sie lieben Dank für Ihre Zeit, Mrs. Patmore. Ich bin mir sehr wohl darüber bewusst, dass Sie keine Zeit zu entbehren haben."

"Für Freunde habe ich immer Zeit, Mrs. Hughes.", antwortete die Köchin in sanftem Ton, "Ich sehe vor dem Zubettgehen noch einmal nach Ihnen. Bis dahin frischen Sie sich auf und lesen Sie ein Buch (oder einen Brief). Den Tee und die Kekse lasse ich Ihnen hier. Vielleicht schaffen Sie ja noch ein paar Bissen. Zwei Toastscheiben am frühen Nachmittag, ist einfach zu wenig, meine Liebe."

Was hatte sie nicht für eine treue Freundin in Mrs. Patmore gefunden. In einem großen Haus wie Downton Abbey, gibt es kaum freie Minuten für das Personal. Alles ist durchgetaktet. So eben auch der Tagesablauf der Köchin. Umso mehr, weiß sie Mrs. Patmore Fürsorge zu schätzen.

Als Mrs. Patmore die Tür hinter sich schloss, stand Mrs. Hughes auf und eilte zur ihrem Nachttischlein, sie zog das kleines Lädchen hervor und entnahm Mr. Carsons Brief und setzte sich wieder zum Frisiertisch. Mit ihren Fingern streifte sie sanft über das Kuvert, auf dem in geschwungenen Lettern "Elsie" stand. Sie begann ihn zu lesen.
Danach schob sie den Zettel wieder ins Kuvert, stand von ihrem Tischlein auf, nahm sich ein frisches Handtuch und ging damit in den Waschraum.

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Sie betrachtete sich erneut im Spiegel und glitt mit den Händen über den schweren Stoff ihres Kleides. Sie war wieder ansehnlich und ordentlich hergerichtet. Die Haare schön hochgesteckt, das Kleid frisch gebügelt, die Zähne geputzt und die Hände nach dem Baden eingecremt. Alles saß nun wieder da, wo es hingehörte. Sie sah deshalb keine Notwendigkeit mehr darin, noch länger in ihrem Zimmer zu bleiben. Bevor Mrs. Hughes jedoch zur Tür ging, nahm sie zu guter letzt noch ihre Chatelaine aus ihrem Schrank und befestigte diese wie üblich seitlich an ihrem Kleid. Als sie den Türknauf berührte, hielt sie noch einmal zögernd inne. Sie atmete tief ein, drängte ihre aufkommenden Zweifel zur Seite und schritt mir einem Rasseln durch die Tür.

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"Mr. Carson! Sie habe ich allerdings hier nicht erwartet", gab eine Frauenstimme überrascht von sich, "Ihre Schuhe stehen ja gar nicht vor dem Treppenabsatz.", ergänzte Mrs. Patmore belustigend.

Mr. Carson entfuhr ein grimmiges Brummen. "Danke für die Information. Ich bringe Mrs. Hughes Tee, aber sie antwortet mir auf mein Klopfen nicht."

"Natürlich nicht. Das liegt daran, dass Mrs. Hughes gar nicht hier oben ist, Mr. Carson." Mrs. Patmore bemerkte den stutzigen Gesichtsausdruck von ihm und fügte erklärend hinzu: "Als ich eben den Flur entlang ging um hier herauf zu kommen, stand Mrs. Hughes mit Anna in ihrem Dienstzimmer."

"Und was machen Sie hier?", wollte Mr. Carson wissen, "Haben sie nichts in der Küche zu tun?"

"Oh, vielen Dank, dass Sie sich meinen Kopf zerbrechen!", gab Mrs. Patmore schnippisch als Antwort. "Ich hole das restliche Geschirr aus Mrs. Hughes Zimmer!", erklärte sie weiter. "Außerdem bin ich extra hochgekommen, um z-u-f-ä-l-l-i-g-e-r W-e-i-s-e auf den Butler zu stoßen, um diesen darüber informieren zu können, dass er seine Liebste in ihrem Arbeitszimmer findet.", dachte sich Mrs. Patmore allwissend, als sie in Mrs. Hughes Zimmer eintrat.

Mr. Carson verabschiedete sich einstweilen und ging mitsamt Tablett die Treppen wieder herab, geradewegs zu Mrs. Hughes Büro. Als er in der Nähe der offenen Tür stand, konnte er hören, dass sich Anna gerade von Mrs. Hughes verabschiedet hatte. Wenige Sekunden danach, verließ sie auch schon das Zimmer und stieß fast mit dem Butler zusammen. Wie bei einem Einbruch ertappt, erstarrte Mr. Carson.
Anna reagierte sofort und nahm ihm das Tablett ab und flüsterte ihm ein "Gehen Sie schon" zu während sie mir ihrem Kopf zur Tür deutete.

Mr. Carson ging die fehlenden zwei Schritte zur offenen Tür und sah sie an ihrem Schreibtisch sitzen. Er klopfte und Mrs. Hughes drehte sich zur Tür, sie sah auf und deutete ihm, dass er hereinkommen möge. Er schloss die Tür.

"Ich ... ich ... wie ... Hast du ... meinen Brief gelesen?"

Mrs. Hughes drehte sich wieder von ihm weg und griff in ihre eingenähte Rocktasche. "Ja, das habe ich.", antwortete sie eigenartig emotionslos. Sie ließ ihre Hand für einige Augenblicke darin verweilen um dann ein Kuvert herauszuziehen. Sein Kuvert. Seine Zeilen.

Unsicher hielt sie ihm das mittlerweile knittrige Kuvert entgegen und wollte wissen:
"Liest du ihn mir vor?"


Na dann freuen wir uns alle auf das nächste Kapitel! Hoffentlich kann Charles Elsie wieder für sich gewinnen. Ich denke aber schon :) .

Danke fürs Lesen. Habt ihr ein paar Minuten Zeit: Über ein kleines Feedback würde ich mich freuen.

Bis ganz bald :-)