Nicht weit vom Interstate-Highway, aber durch einen Zaun, ein Feld, einen Waldrand und einen kleinen Hügel getrennt, lagen drei Kinder im hohen Gras rund um einen trägen grünen Teich. Sie konnten in der Ferne gelegentlich das Rumpeln eines Lastwagens hören, aber ansonsten konnten sie fast so tun, als wären sie ganz allein im Freien. In diesen letzten faulen Sommertagen war die Flucht vor der Überwachung durch die Erwachsenen mehr als Grund genug, um über den Stadtrand hinaus in die umliegenden Felder und halbwilden Wälder zu streifen. Danach waren sie normalerweise zufrieden damit, sich im Gras auszustrecken, während die Sommerhitze auf sie niederbrannte und das Zirpen der Zikaden sie in den Schlaf wiegte.

Heute jedoch kämpfte Alexandra gegen die Versuchung an, ihren Kopf hinzulegen, da sie wusste, dass sie bald einnicken könnte, wie das jüngere Mädchen neben ihr. Sie lag nicht ohne Grund am Rand des Teichs, schob das hohe Gras beiseite und spähte mit der Wachsamkeit eines Tigers, der ein Wasserloch auskundschaftet, über die algenbedeckte Oberfläche. Ihre Augen waren viel heller und grüner als das Wasser, und ihr glattes schwarzes Haar, ihr gelbes Hemd und ihre Jeansshorts bildeten einen Kontrast zu ihrer blassen Haut, die im braunen Schilf, das den Teich umgab, nicht besonders gut getarnt war, sodass ihre Nachahmung eines kauernden Tigers eher phantasievoll als effektiv war.

Die Sonne wurde rot und stand tief am Horizont, und sie würde nicht viel Zeit haben, die Dämmerung auszunutzen, die ihrer Meinung nach die beste Zeit war, um einen Blick auf das zu erhaschen, was sie hier sehen wollte. Wie die beiden Kinder bei ihr würde sie in große Schwierigkeiten geraten, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause kam. Per Luftlinie war es nicht weit nach Hause, aber ein ziemlicher Marsch für drei Kinder, die durch hohes Gras und dichtes Unterholz und einen Hügel hinauf rennen mussten, bevor sie wieder in Sichtweite der Sweetmaple Avenue wären.

Brian Seabury dachte darüber nach, wie lange sie brauchen würden, um nach Hause zu kommen, und ob sie es vor Einbruch der Dunkelheit schaffen würden. Er sah seine Schwester an und überlegte, ob er sie wecken sollte, und nicht auf den Teich, den Alexandra so aufmerksam beobachtete.

„Wir werden bald losmüssen, Alex", sagte er.

„Psst!", wisperte sie.

„Wenn irgendwas da drin ist, meinst du nicht, dass es schon weiß, dass wir hier sind?" Er versuchte, nicht skeptisch zu klingen, denn er war es tatsächlich, aber das musste ihm elendigst misslungen sein, denn Alexandra drehte den Kopf, um ihn über die Schulter hinweg anzusehen, und ihr finsterer Blick ließ ihn schwer schlucken und den Mund schließen, bevor er noch etwas sagte, das sie verärgerte.

Alexandra Quick war Brians bester Freund bzw. Freundin. Alexandras Mutter war in die Straße der Seaburys gezogen, als sie beide fünf waren, und seitdem waren sie Spielkameraden. In diesem Sommer, bevor die sechste Klasse anfing, testeten beide die Grenzen der Überwachung ihrer Eltern mehr als je zuvor aus, aber es war immer Alexandra, die mutiger war – und sie eher in Schwierigkeiten brachte.

Alexandra war furchtlos, und Brian glaubte, das lag zum Teil daran, dass sie ein Einzelkind war und nie auf ein jüngeres Geschwisterkind aufpassen musste, und zum Teil daran, dass ihre Eltern weniger wachsam waren als seine, aber hauptsächlich daran, dass sie zaubern konnte.

Das wussten sie beide auch schon seit ihrer Kindheit. In stillschweigender Absprache hatten sie es ihren Eltern gegenüber nie erwähnt. Als sie klein waren, war es ihnen kaum wichtig erschienen. Ihre Welt war bereits voller Magie, wie die Welt jedes Kindes. Träume und Figuren aus Büchern und Märchen und Cartoons und alle möglichen Fantasien vermischten sich in der ungeordneten Kreativität der Kindheit, bevor sie allmählich lernten, dass das, was in einem Traum geschah, nicht unbedingt im wirklichen Leben passieren musste, und dass Kinderbücher und Märchen voller erfundener Figuren waren und Cartoons nur animierte Zeichnungen waren.

Aber Alexandra konnte Dinge verschwinden lassen, und sie konnte Vögel und Schmetterlinge (und einmal einen Plastik-Roboter-Weltraumkrieger von Splendid Stars) in ihrer Hand erscheinen lassen, und manchmal konnte sie Dinge bewegen, ohne sie zu berühren. Als sie sieben waren, sah Brian zu, wie sie aus einer Mutprobe heraus vom Dach ihres Hauses sprang und so leicht auf ihren Füßen landete, als wäre sie von ihrer Veranda heruntergestiegen. Ein anderes Mal, als sie wütend auf Billy Boggleston wurde, weil er sie eine dürre kleine Fritte nannte, ließ sie Würmer aus seiner Nase spritzen. Billy stritt nun ab, dass das jemals passiert war, aber er mied Alexandra, und danach wollten die meisten anderen Kinder in ihrer Nachbarschaft nicht mehr mit ihr spielen. Sie hatte sich den Ruf des „seltsamen Mädchens" erworben. Das schien sie nicht zu stören, so unabhängig und voller Übermut wie sie war. Sie hatte immer noch Brian zu ihrem besten Freund, und zusammen erkundeten sie die Brachflächen, verlassenen Häuser und Hintergassen von Larkin Mills mit einer Furchtlosigkeit, die nur wegen Alexandra möglich schien.

In letzter Zeit jedoch begann ihn ihre Abenteuerlust zu beunruhigen. Sie war nicht nur mutig, sie war waghalsig, und ihr „Unfug" grenzte an Kriminalität.

Brian wäre zufrieden gewesen, einfach mit ihren Fahrrädern durch die Stadt zu fahren, aber Alexandra hatte den Einfall, mal zu sehen, wie schnell sie die Whipping Hill Street hinunterfahren konnten, ganz zu schweigen von der stark befahrenen Kreuzung am Ende. Sie hatte gerade über das Quietschen der Bremsen und das wütende Hupen gelacht, das sie hinter sich ließen, während Brian seine Finger (mit weißen Knöcheln) mehrere Minuten lang kaum vom Lenker lösen konnte, nachdem sie davongefahren waren. Er hatte sich geweigert, Schokoriegel und Dragon Battle-Sammelkarten aus dem Drugstore zu stehlen, tat aber so, als würde er Alexandras Geschicklichkeit dabei schätzen. In Wirklichkeit war er ein wenig nervös wegen ihrer zunehmenden Missachtung von Regeln und Grenzen.

Und in diesem Sommer musste er oft auf seine achtjährige Schwester Bonnie aufpassen. Er nahm sie nicht gern mit, obwohl Alexandra das nicht viel auszumachen schien. Brian wollte, dass nur er und Alexandra loszogen, wie früher, aber er hatte auch Angst, Bonnie in den Ärger hineinzuziehen, den sie wegen Alexandra kriegen könnten. Bonnie war bei ihrem Hügel-Rennexperiment nicht dabei gewesen, wofür er dankbar war. Aber jetzt war sie bei ihnen. Bonnie lief gern hinter ihrem älteren Bruder her, den sie bewunderte, und Alexandra, die sie, wie er vermutete, noch mehr bewunderte. Das furchtlose, aufmüpfige ältere Mädchen, das immer voll wilder Geschichten war, erschien Bonnie ziemlich beeindruckend und lustig.

Alexandra Quick war Brians beste Freundin, also war er sich nicht ganz sicher, warum ihm die Vorstellung, dass seine kleine Schwester zu ihr als Vorbild aufblickte, ein ungutes Gefühl gab. Vielleicht, weil Alexandra zu bereitwillig war, ihn mit ihr Risiken eingehen zu lassen – und ihre Magie funktionierte nicht immer. Als sie ihn überredete, mit ihr hinunterzuspringen und den Sprung vom Dach zu wiederholen, landeten sie beide in der Notaufnahme, sie mit einem verstauchten Knöchel und er mit einem gebrochenen Ellbogen und einer Gehirnerschütterung, und ihre Eltern waren wütend und wollten wissen: „Was habt ihr euch dabei gedacht?"

Im Alter von sieben schien es eine vernünftige Sache zu sein. Aber Brian machte sich ein wenig Sorgen, dass Alexandra Bonnie überreden könnte, von einem Dach zu springen.

Dann waren da noch die magischen Kreaturen, die nur Alexandra sehen konnte.

Brian hatte Alexandra zaubern sehen, also glaubte er an Magie, obwohl er schon älter war, als die meisten Kinder solchen Dingen gegenüber skeptisch wurden. Er hatte jedoch keine der übernatürlichen Kreaturen gesehen, von denen Alexandra behauptete, dass sie in Larkin Mills lebten. Gnome in ihrem Garten; ein Ghul, den man durch die zerbrochenen Fenster im oberen Stockwerk des verlassenen Regal Royalty-Lagerhauses für Süßwaren und Konfekt in der Third Street sehen konnte; ein riesiger schwarzer Vogel, größer als ein Flugzeug, der eines Abends tief über der Stadt flog; und jetzt eine Najade im Old Larkin Pond.

„Gibt es wirklich so etwas wie Najaden?", murmelte Bonnie schläfrig, und Alexandra zischte erneut wild „Psst!".

Obwohl er Alexandra nicht gerne misstraute, konnte Brian nicht umhin zu denken, dass es ein schrecklicher Zufall war, dass sie gerade eine Woche, nachdem sie An Encyclopedia of Spirits, Sprites and Fairies (Eine Enzyklopädie der Geister, Elfen und Feen) gelesen hatte, nun Najaden sah. Old Larkin Pond schien ein besonders unwahrscheinlicher Ort zu sein, um Wassergeister zu finden. Das Wasser war brackig und roch nach alten Stiefeln, und es floss nur ein Rinnsal hinein. Anders als Larkin Mills Pond selbst, der im Zentrum der Stadt lag und von einem schönen Park umgeben war, war Old Larkin Pond kein Picknickplatz oder beliebtes Wahrzeichen. Er war nicht zu sehen und auf den meisten Stadtplänen nicht einmal verzeichnet. Er lag abseits des sogenannten Old Larkin, das ebenfalls kein besonders schöner Teil der Stadt war. Kurz gesagt, es war ein Ort, an dem Kinder überhaupt nicht sein sollten, und dies wurde von Eltern mit erhobenem Finger und ermahnendem Tonfall betont, während sie ihnen erzählten, dass mehr als ein fehlgeleitetes, unbeaufsichtigtes Kind in „diesem ekligen kleinen Teich" ertrunken sei.

Natürlich war das so eine Sache, die Eltern sagten, um ihre Kinder von Orten fernzuhalten, wo sie sie nicht haben wollten, und da niemand wirklich in dem Teich schwimmen oder auch nur darin waten wollte, machte sich Brian darüber keine allzu großen Sorgen. Aber Alexandra behauptete, sie habe eines Abends auf dem Heimweg eine Najade gesehen, genau dort in der Mitte des Teichs. Das hatte Bonnies Fantasie beflügelt, und sie war mehr als bereit, mit Brian und Alex mitzukommen, um am Wasserrand zuzusehen. Bonnies Vorfreude, eine Najade zu sehen, war jedoch schnell der Schläfrigkeit gewichen, und nun dachte Brian, es wäre eine gute Idee, die Najadenbeobachtung für den Abend aufzugeben. Es wäre schlimm genug, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause kämen, aber sie würden in echte Schwierigkeiten geraten, wenn Bonnie aus Versehen verriete, dass sie am Old Larkin Pond gewesen waren.

Nur um zu sagen, dass er der Najade eine faire Chance gegeben hatte, aufzutauchen (und um Alexandras Zorn zu vermeiden), wartete Brian noch eine Weile, ein Auge auf den Teich und das andere auf die untergehende Sonne gerichtet. Alexandra bewegte sich nicht und gab keinen Laut von sich, und ihre ungewöhnliche Geduld und Zielstrebigkeit ließen ihn fast glauben, dass sich etwas im Wasser versteckte. Auf jeden Fall glaubte er, dass sie glaubte, dass da etwas war.

Schließlich kam Brian zu dem Schluss, dass sie so lange gewartet hatten, wie sie konnten (sie würden sowieso den ganzen Weg nach Hause rennen müssen), stieß Bonnie an und sagte zu Alexandra: „Vielleicht taucht sie nicht auf, wenn zu viele Leute da sind. Jedenfalls müssen wir wirklich los."

Alexandra drehte den Kopf und starrte ihn erneut an. Brian versuchte, ihrem Blick mit einem beschwichtigenden Gesichtsausdruck zu begegnen, aber er blieb standhaft. „Du weißt, dass wir Ärger kriegen, wenn wir noch länger warten."

„Ist die Najade aufgetaucht?" Bonnie gähnte und setzte sich auf. Brian und Alexandra ignorierten sie beide.

„Dann geht halt", sagte Alexandra.

Brian runzelte die Stirn. „Alex…"

„Geht schon. Ich warte bis Sonnenuntergang."

Er sah über seine Schulter zur untergehenden Sonne und dann wieder zu ihr, jetzt mit echter Sorge im Gesicht. „Es wird dunkel sein, bevor du zurückkommst. Deine Eltern werden dir bestimmt einen aufreißen." (Das war ein neuer Ausdruck, den sie vor kurzem gelernt hatten, und obwohl sie nicht genau wussten, was sie aufreißen würden, klang er bedrohlich.) „Willst du die letzten paar Tage Sommerferien im Hausarrest verbringen?"

„Ich will nicht hier bleiben, wenn's dunkel wird", sagte Bonnie mit leicht zitternder Stimme, und auch wenn die älteren Kinder sie wieder ignorierten, stimmte Brian insgeheim seiner Schwester zu. Old Larkin Pond war tagsüber einfach nur ein alter Teich, aber er dachte, dass es nachts ein ziemlich unheimlicher Ort sein würde.

„Dann geht!", wiederholte Alexandra. Brian kannte ihren sturen Gesichtsausdruck. Alexandra sollte man nicht verärgern, wenn sie sich etwas vorgenommen hatte. Vergeblich suchte er nach Worten, die sie dazu bringen würden, die Dinge vernünftig zu sehen, da er wusste, wie unvernünftig sie sein konnte. Und ein kleiner Schauer durchlief auch ihn. Alexandra war furchtlos und sie konnte Schmetterlinge heraufbeschwören und (manchmal) von Dächern springen, aber Brian gefiel die Vorstellung überhaupt nicht, dass sie hier draußen allein in der Dunkelheit außerhalb der Stadt zurückblieb. Er war erst elf, aber gerade alt genug, um eine Vorstellung davon zu haben, dass Ghule und Najaden nicht die Gefahren waren, die ihre Eltern wirklich fürchteten, und dass es, so nervig solche Regeln auch sein mochten, keine schlechte Idee war, wenn Kinder bei Einbruch der Dunkelheit zu Hause waren.

„Alex…", flüsterte er flehend, und seine Stimme wurde immer leiser. Seine Treue zu Alexandra stieß mit seiner Verantwortung für seine Schwester zusammen. Er wollte Alexandra nicht hier draußen zurücklassen, wenn sie darauf bestand, nicht zu gehen, aber er sah bereits, dass nachdem sie sich dagegengestemmt hatte, ihre Niederlage eingestehen würde, wenn sie sich jetzt von ihm überreden ließe, und Alexandra Quick gab sich nie geschlagen.

„Geht schon. Bring Bonnie nach Hause", murmelte Alexandra. Widerstrebend wandte sie sich von ihm ab.

Er sah sie noch einen Moment an. Sie war wütend, aber sie schien ihm zu vergeben, dass er sie im Stich gelassen hatte. Das war ein schwacher Trost. „Versprichst du, dass du nicht mehr allzu lange hier draußen bleibst?", fragte er und zog Bonnie auf die Füße.

„Alex?", fragte Bonnie, die nicht so ganz glauben konnte, dass das ältere Mädchen wirklich nicht mit ihnen zurückkommen würde. Aber Alexandra antwortete ihnen nicht. Sie streckte sich im Gras aus, stützte ihr Kinn auf die Hände und starrte noch immer auf das trübe, grünlich-braune Wasser, in dem sie, da war sie sich sicher, eine Najade gesehen hatte. Sie versuchte, die Geräusche von Brian und Bonnie zu ignorieren, als sie durch das Unterholz davonstapften – und das leichte Kribbeln, das ihren Rücken hinauf und ihre Arme hinablief, während die Schatten länger und tiefer wurden.


Als sie die Augen wieder öffnete, war es sehr dunkel. Sie setzte sich erschrocken auf und erkannte, während sie nach einer Mücke schlug, dass sie doch eingeschlafen war. Am Himmel war nur eine Mondsichel zu sehen, die sich im Teich darunter spiegelte, und dank der Abgeschiedenheit, die Old Larkin Pond in Alexandras Vorstellung zu einem so vielversprechenden Najadenversteck gemacht hatte, war kein Licht der Stadt zu sehen. Im Moment konnte sie nicht einmal das entfernte Rauschen und Dröhnen des Autobahnverkehrs hören, und sie hätte diese kleine Bestätigung, dass sie nicht allein im Universum war, begrüßt.

Ich habe keine Angst, dachte sie. Ja, nachts allein draußen zu sein war ein bisschen unheimlich, und der Teich war jetzt, dunkel und still und immer noch stinkend, noch weniger angenehm als tagsüber, aber sie war nicht wirklich in Gefahr. (Obwohl An Encyclopedia of Spirits, Sprites and Fairies bei der Frage, ob Najaden gefährlich sind oder nicht, nicht ganz eindeutig war, hatte Alexandra den Eindruck gewonnen, und an dem sie sich auch jetzt noch festhielt, dass sie einem wahrscheinlich nichts tun würde – es sei denn, man heiratete eine und prahlte damit; oder versuchte, etwas zu stehlen, das ihr gehörte; oder beschimpfte ihre Behausung im Wasser.)

Ihre Hand wanderte zu ihrem linken Handgelenk und sie begann, das goldene Armband, das lose dort hing, zu drehen, eine Angewohnheit, die sie sich erst kürzlich zugelegt hatte, wenn sie nachdachte oder (seltener) wenn sie nervös war. Es war eine neue Angewohnheit, weil sie das Armband erst vor kurzem... erworben hatte. Sie hatte es gefunden, als sie im Kleiderschrank ihrer Mutter herumstöberte, und da es von einer alten Tasche, einer Schachtel mit Kämmen und ausgetrockneten Kosmetika und einem Highschool-Jahrbuch verdeckt gewesen war, hatte sie angenommen, dass ihre Mutter es nicht vermissen würde – obwohl sie darauf achtete, es nicht zu tragen, wenn ihre Mutter in der Nähe war und es sehen könnte.

Alexandra beschloss, dass sie heute Abend wirklich keine Najade sehen würde, und versuchte, nicht zuzugeben, dass Brian recht gehabt hatte (jedenfalls, dass ihre Eltern ihr einen aufreißen würden – sie würde definitiv Hausarrest bekommen), stand auf – und erstarrte dann.

Sie war nicht allein im Universum, denn etwas anderes bewegte sich durch das Gras am Rand des Teichs. Irgendein Tier, dachte sie zuerst, vielleicht ein Hirsch oder ein Opossum oder sogar ein Kojote oder eine verwilderte Katze. Aber es klang nicht wie ein Tier. Es klang wie Schritte. Es klang nach Leuten.

Brian hielt Alexandra für furchtlos, aber das stimmte nicht ganz. Sie war mutig bis zum Draufgängertum und fand es aufregend und interessant, gefährliche Dinge zu tun, aber sie war nicht dumm, und nur ein dummer Mensch verspürte keine Angst, wenn es einen guten Grund dafür gab. Sie wusste, dass es Anlass zur Sorge war, wenn sie auf wilde Tiere oder, schlimmer noch, auf Menschen traf, die heimlich im Dunkeln umherschlichen. Aber sie geriet weder in Panik, noch weinte sie, noch schnappte sie nach Luft. Stattdessen brauchte sie nur zwei Herzschläge, um zu entscheiden, ob sie den Menschen oder das Wesen lautstark zur Rede stellen sollte (und es wahrscheinlich verscheuchen sollte, wenn es ein Tier war); versuchen sollte, sich leise davonzuschleichen (in der Hoffnung, dass der Eindringling ihre Anwesenheit noch nicht bemerkte); oder ob sie ihre Heimlichkeit aufgeben und um ihr Leben rennen sollte.

Innerhalb von zwei Herzschlägen hörte sie Stimmen, die einen kleinen Singsang anstimmten, und es klang, als kämen sie aus nächster Nähe:

„Ich rieche sterbliches Fleisch

Ich rieche Blut.

Ich rieche ein kleines Mädchen

Was es im Schilde führt, ist nicht gut."

Nun, damit war die Frage geklärt, ob es ein Tier war oder nicht und ob sie es bemerkt hatten oder nicht, also drehte sich Alexandra um, rannte los und prallte voll gegen jemanden. Sie stürzte kopfüber durch das Gras und landete mit einem dumpfen Schlag auf dem aufgeweichten Boden direkt am Wasserrand. Die Person, in die sie gerannt war, stieß ein böses, empörtes Kreischen aus und sie hörte, wie die ebenfalls auf die Füße kam. Im schwachen Licht des neuen Mondes am Himmel sah sie seltsame, längliche Köpfe über dem hohen Gras um sie herum auf und ab hüpfen. Sie war umzingelt! Es waren mindestens ein halbes Dutzend, und sie bemerkte, dass sie nicht größer zu sein schienen als sie, abgesehen von der seltsamen dreieckigen Spitzigkeit ihrer Köpfe, aber mehr konnte sie nicht erkennen. Der unheimliche Reim und die Art, wie sie sich ihr näherten, genügten ihr jedoch, um ihr zu sagen, dass sie diejenigen waren, die Böses im Schilde führten.

„Wer seid ihr?", schrie sie wütend. Sie hoffte, dass sie wütend klang, denn sie wollte wirklich nicht wie ein verängstigtes kleines Mädchen klingen.

Als Antwort kicherten sie, aber es war ein fieses Kichern, zusammen mit einem knirschenden, raspelnden Geräusch ähnlich wie Zähneknirschen, und sie schlurften weiter vorwärts, bis sie fast auf Armeslänge von ihr entfernt waren. Sie fand, dass sie wie Kinder oder Zwerge aussahen und dass ihre Schädel spitz waren, weil sie etwas auf dem Kopf trugen. Aber sie konnte nicht genauer hinschauen, weil sie mit langen, knorrigen Fingern nach ihr griffen, also wich sie zurück und hatte keine andere Wahl, als in den Teich zu treten, wobei sie erst mit einem Fuß und dann mit dem anderen in den Schlamm stapfte. Sie machte weitere Schritte rückwärts und die kleinen Leute drängten sich vorwärts, bis an den Rand des Wassers, und Alexandra fragte sich, ob sie ihr folgen würden, und dann stolperte sie und fiel rückwärts mitten ins Wasser.

Sie lachten, als sie triefend und schlammbedeckt wieder aufsprang. Worüber sie gestolpert war, war ein Ast, der aus dem Schlamm des seichten Wassers ragte, also packte sie ihn und schwang ihn nach den nächsten Wesen.

„Lasst mich in Ruhe!", schrie sie. Sie hatte Angst, dass es eher wie ein Hilfeschrei klang. Und als sie wütend darüber war, dass sie von diesen seltsamen kleinen Leuten gejagt wurde und dass sie sie gezwungen hatten, sich direkt in den schmutzigen Teich fallen zu lassen, und vor allem wütend darüber, dass sie Angst hatte, sah sie plötzlich hellblaue und gelbe Funken aus dem Ende des Astes schießen und durch die Luft peitschen, über die Köpfe der kleinen Männer, die sich am Wasserrand versammelt hatten.

Es waren kleine Leute, sehr hässliche kleine Leute, Männchen mit runzligen, faltigen Gesichtern und grausamen Mienen. Alexandra sah scharfe Zähne, die im Licht des Funkenregens von ihrem Ast matt glänzten, und sah, dass sie alle spitze Kappen trugen, die dunkel und nass aussahen, als sie auf ihren Köpfen saßen. Sie sahen von dem plötzlichen Feuerwerk so erschrocken aus wie sie auch.

Die Angst, die sie zeigten, elektrisierte Alexandra. Sie schleuderte den Ast noch heftiger herum, um noch mehr Funken zu erzeugen, und diesmal sprühte er nicht nur, sondern es schossen kleine Feuerbälle aus ihm hervor und mitten unter sie. Einer traf den nächsten kleinen Mann direkt in die Brust, und er schrie auf, als er von den Füßen gerissen wurde. Ein anderer schrie, drehte sich um und floh, riss sich die Mütze vom Kopf und schlug sich damit ins Gesicht, als einer der Feuerbälle seine Wange versengte. Alexandra hielt nicht inne, um darüber nachzudenken, wohin sie gingen oder wie sie Feuerbälle aus einem nassen Ast schießen lassen konnte, sondern schwang den Ast sofort wieder, und weitere Feuerbälle wirbelten heraus; knisterten durch die Luft; trafen mit einem nassen Knall, gefolgt von einem schrecklichen Gestank, das schlammige Ufer; oder schossen mitten unter die hässlichen kleinen Männer mit Mützen, die sich jetzt duckten und flohen und krächzende, kreischende, panische Geräusche von sich gaben.

Sie umklammerte den Ast fest mit ihren Händen, als sie schnell zurück ans Ufer trat. Die ersten paar Schritte waren quälend langsam, da der Schlamm an ihren Füßen klebte und sie fast einen Schuh verlor, aber als sie erst einmal aus dem Wasser war, konnte sie rennen, und sie rannte in gewundenen Zickzack-Bewegungen, während sie den Ast immer wieder um sich herum schwang. Aus dem anderen Ende schossen weiterhin Funken und ein paar Feuerbälle heraus, und sie rannte weiter vom Teich weg, durch den Wald und den Hügel hinauf, bis sie oben ankam und die Autobahn sehen konnte. Erst dann blickte sie einmal über die Schulter und sah, dass von den kleinen Männern hinter ihr keine Spur zu sehen war. In der Ferne konnte sie eine winzige Welle sehen, wo sich der Mond im Old Larkin Pond spiegelte, aber sie verschwendete keine Zeit mehr damit, sich umzudrehen. Sie ließ den Ast fallen und rannte kopfüber den Hügel hinunter, in Richtung des Highways und seiner willkommenheißenden Schwärme von Scheinwerfern und dem Lärm des Highway-Verkehrs.

Jemand, der weniger furchtlos war als Alexandra, hätte sich vielleicht gesträubt, durch die Unterführung zu gehen, die die einzige Möglichkeit war, in die Stadt zurückzukehren, ohne tatsächlich über den Highway zu laufen. Alexandra hielt nur eine Sekunde inne, aber es war nur eine Unterführung, und obwohl es dunkel war, war es hell genug, dass sie erkennen konnte, dass sich dort niemand versteckte, also holte sie Luft und rannte weiter. Bald war sie wieder in Old Larkin, das, so schäbig und verdächtig seine schmuddeligen Straßen auch sein mochten, jetzt gemütlich und einladend wirkte. Sie hörte nicht auf zu rennen, bis sie ihr eigenes Viertel erreicht hatte.

Als sie um die Ecke bog und auf die Sweetmaple Avenue kam, kam Archie bereits die Straße entlang auf sie zu. Ihre Mutter und ihr Stiefvater hatten inzwischen Brians Eltern angerufen, die ihm ein Geständnis abgerungen haben mussten, also machte sich Archie auf den Weg zum Old Larkin Pond, um nach ihr zu suchen. Als er sie auf der Straße traf, tropfnass, zitternd und wie der Schlamm des Teichs stinkend, war er zu wütend, um etwas zu sagen, also zeigte er nur mit dem Finger, und Alexandra schlich ins Haus.

Ihre Mutter schrie sie etwa zehn Minuten lang an, bevor der Geruch sie schließlich dazu veranlasste, Alexandra nach oben in die Wanne zu schicken. Nachdem Alexandra ein sehr langes Bad genommen hatte (das den Algen- und Schlammgeruch nicht vollständig beseitigte), schrien sowohl ihre Mutter als auch ihr Stiefvater sie noch etwas an, bevor sie sie ins Bett schickten.

Natürlich sagte Alexandra nichts über Najaden oder kleine Männchen mit Kappen oder über Funken und Feuerbälle, die aus einem Ast schießen. Sie biss sich nur auf die Zunge, als sie Hausarrest bekam („Bis du achtzehn bist, außer ich ändere meine Meinung!", hatte ihre Mutter geschrien) und ging dann auf ihr Zimmer.

Unter der Decke öffnete sie An Encyclopedia of Spirits, Sprites and Fairies und blätterte darin, bis sie eine Illustration fand, die am ehesten zu den kleinen Männern passte, denen sie begegnet war:

Rotkappen

Böse kleine Kreaturen, verwandt mit Goblins und Elfen, aber mit gemeinem Wesen und einer Vorliebe für Mord. Sie haben scharfe Fingernägel und noch schärfere Zähne und haben ihren Namen von den Kappen, die sie tragen und die sie mit dem Blut ihrer Opfer tränken. Am häufigsten findet man sie in Schottland und Irland, aber wo auch immer auf der Welt Feenwesen zu finden sind, lauern Rotkappen mit Sicherheit in den dunkelsten Höhlen und tiefsten Wäldern. Besonders Kinder sollten sich von ihnen fernhalten, da Rotkappen Menschenkinder als leichte Beute einschätzen.

Nachdem sie die Beschreibung der Rotkappen gelesen hatte, lag sie lange wach, und erst als sie einschlief, bemerkte sie, dass sie ihr Armband verloren hatte. Irgendwo zwischen dem Teich und der Sweetmaple Avenue war es heruntergerutscht.