Kapitel 28 - Ein altes Nest
(„Du magst Kasumi, oder?")
Er schloss langsam die Augen und blendete alles um sich herum aus. Schall und Rauch, das sich weiß färbte. Ein Piepsen in seinem Ohr kroch ihm bis ins Gehirn und nistete sich dort ein. Kühle Luft wehte ihm ins Gesicht, als er sich nach vorne neigte und von der Reling fiel.
Fühlte sich so Freiheit an? Wie schmerzhaft wird wohl der Aufprall sein? Womit würde er zuerst auf dem Boden landen?
Kasumis lächelndes Gesicht hat sich seit jenem Tag in sein Gedächtnis eingebrannt.
Er fühlte mit geschlossenen Augen den Boden auf sich zukommen, als plötzlich…
„NNNNNHHHH…"
Eine Hand packte an einer seiner Füße und hielt seinen Sturz an, sodass er kurzerhand mit dem Gesicht gegen die Wand flog.
Conan konnte auch nicht fassen, wer gerade seinen Fuß gepackt hatte und ihn jetzt mit aller Kraft davon zurückhielt.
„Ayumi…?"
„WAS ZUR HÖLLE TUST DU DA, DU IDIOTIN?! LASS MICH LOS!", schrie Douto verzweifelt.
„KLAPPE! SIE SIND HIER DER IDIOT!", schrie Ayumi zurück.
Die Trägheit des Sturzes hatte sie mitgezogen, sodass sie sich nur noch mit dem Fuß an der Reling festhielt. Zusammen baumelten Ayumi und Herr Watamine an der Reling mit Blick auf den sicheren Tod nach unten.
„Ayumi, halte durch!", rief Conan und rannte zur nächsten Säule.
„LASS MICH STERBEN, VERDAMMT NOCH MAL! ICH WILL BEI IHR SEIN!", befahl Herr Watamine heulend, doch Ayumi ignorierte ihn.
„KASUMI IST NICHT PERFEKT, WIE IHR IMMER GESAGT HABT! SIE IST DOCH GENAUSO EIN IDIOT WIE SIE!", rief sie zurück.
„HALT DIE FRESSE, WAS WEIẞT DU SCHON ÜBER SIE?!"
„EINIGES!"
„ALLES LÜGEN! DU LÜGST!"
„KASUMI IST ZUM TEIL SELBER SCHULD, WEIL SIE SELBST NICHTS DAGEGEN GETAN HAT!"
„Ayumi, halt dich fest!", rief Conan und warf einen der Gürtelschnallen runter.
„NA UND?! SIE HAT EBEN MITLEID MIT CHIEMI GEHABT! UND JETZT LASS MICH LOS!"
„DAS BEDEUTET ABER NICHT, DASS SIE NICHT MIT IHNEN ODER MIT HERR INUBUCHI DARÜBER GEREDET HÄTTE!"
Douto zögerte, während er spürte, wie Ayumis Tränen auf seiner Stirn landeten. Er blickte hoch und sah in ihr wütendes und zugleich trauriges Gesicht.
„Kasumi behielt alles für sich, um Chiemi keine Probleme zu machen und ich verstehe das!", rief Ayumi verzweifelt.
Er schwieg. Ayumi befreite ihre Hand und zog an der Gürtelschnalle. Conan drückte oben den Knopf und der Gürtel begann die Beiden hochzuziehen.
„Sie hat ihr dafür Unrecht getan, das ist wahr, doch deswegen lasse ich mich nicht von anderen ausnutzen!"
(„Sei klüger als er und sag mir besser in Zukunft bescheid, ja?")
„Wie würdest du reagieren, wenn dich jemand so behandelt?!", fragte Douto.
Ayumi stockte.
„Wie ich…?"
„Würdest du diese Person einfach so davonkommen lassen? Oder wirst du ihr hinterher rennen und sie konfrontieren?!", fragte er erneut.
„Ich würde mit ihr reden. Wenn ich jemanden verstehen und helfen will, dann frage ich sie, warum. Und wenn's wirklich hart auf hart kommt, wende ich mich meinen Freunden oder der Polizei zu.", sagte Conan, während Ayumi wieder Boden unter ihren Füßen spüren konnte. Mit Hilfe von Takagi und anderen Polizisten wurde Herr Watamine von der Reling auf den Dritten Stock hochgezogen.
„Durchsucht ihn auf weitere Waffen.", befahl Takagi und die Polizisten nickten, als sie ihn gewaltsam festhielten.
Ayumi konzentrierte sich auf das, was Conan gesagt hatte.
„Mit anderen reden…", murmelte sie.
„Ich erwähnte eben, dass ich Sie verstehen will und warum Sie diese Tat vollbracht haben. Und nach dem, was ich von Ihnen heute Abend gesehen und gehört habe, kann ich Ihnen mit Überzeugung sagen, warum.", fuhr er fort.
Schweigen.
„Sie waren so darauf fokussiert, Frau Nakayama eine Lektion zu erteilen, dass Sie ohne zu zögern Frau Awases Leben aufs Spiel gesetzt haben. Sie erinnern sich doch sicherlich, was Kasumi und Ihre Lehrerin zu Ihnen gesagt haben."
(„Aber wenn du weiterhin auf alles eingehst, was sie sagt, schadest du dadurch nicht nur ihr, sondern auch dir selbst.")
„Aber ich…", brachte Douto verzweifelt von sich.
„Die Frage, ob Kasumi Ihnen etwas bedeutet hätte, können wir gelassen über Bord werfen, denn Kasumi war Ihnen bei diesem Mordfall egal. Sie haben überhaupt nichts aus Ihren Fehlern damals gelernt und wollten sich in Wirklichkeit nur selbst durch Ihren ausgeprägten Gerechtigkeitssinn wichtig machen."
„NEIN! DAS STIMMT NICHT!", schrie er und fiel wimmernd auf die Knie. Alle anderen um ihn herum wussten, dass er jetzt gebrochen war.
„Ich kann es mir wirklich selbst nicht erklären, warum Sie so weit gegangen sind, um Frau Nakayama eins auszuwischen. Natürlich haben Sie Ihr Ziel erreicht, denn jetzt erleidet sie ein schwerwiegendes Trauma durch Ihre Tat. Beantworten Sie mir bitte die Frage, Herr Watamine…"
Jetzt stand Conan mit ernster Miene vor ihm und Herr Watamine hob den Kopf.
„War es das alles wirklich wert? Sind Sie jetzt wirklich zufrieden?"
Keine Antwort. Stattdessen starrte er auf die blutigen Handschellen, die an seinen zitternden Handgelenken hingen und klapperten.
„Eines hätte ich an Ihrer Stelle noch getan, Douto. Etwas, was Sie in meinen Augen nicht ganz zu einem vollständig empathielosen Menschen machen würde.", sagte Conan und wandte ihm den Rücken zu.
„Huh…?"
„Das Mädchen, welches Ihnen gerade eben das Leben gerettet hat, verdient meiner Meinung nach auch einen Dank von Ihnen. Ob Sie sich wirklich bei ihr erkenntlich zeigen, ist dann letzten Endes Ihre Entscheidung. Wir sind hier fertig, gehen wir, Ayame."
Ayumi nickte und folgte ihm.
„Eine… Eine Sache noch!", rief Douto verzweifelt und fiel mit der Stirn verbeugend zu Boden.
Conan ignorierte ihn und ging weiter. Ayumi blickte besorgt zurück.
„BITTE! ICH… ICH BEDANKE MICH AUCH!"
Er blieb stehen.
„Und das meinen Sie auch, richtig?", antwortete er kühl.
„JA! JA, ICH MEINE ES! ICH DANKE EUCH FÜR DIE HILFE!"
„Tun Sie nicht so. Was verlangen Sie?"
„Bitte… ich will es hören."
„Was meinen Sie damit?"
„Um euch zu zeigen, dass sie mir wichtig ist, bitte… lasst mich wenigstens noch ein einziges Mal dieses Lied hören.", flehte er.
Hinter Conan tauchten jetzt auch Herr Inubuchi, Frau Nakayama, Herr Suzumura, Sato, die sich vom Schock erholt hatte, der Professor mit den restlichen Detektive Boys zusammen mit dem Inspektor auf.
„Aber ich sag's ja nur, dieser Mann ist womöglich psychisch krank.", vermerkte Herr Suzumura, doch der Inspektor warf ihm zur Antwort einen genervten Blick zu.
„Hüten Sie Ihre Zunge.", erwiderte er schnippisch.
„Ich kann es nicht mehr ertragen. Ich flehe dich an.", sagte Douto und blickte rüber zu Ayumi, die verwirrt auf sich zeigte.
„Ich?"
„Bitte… ich habe sonst nichts mehr."
Conan schweifte zu Ayumi und ihre Blicke trafen sich.
„Was wirst du tun?", fragte er.
„Also…"
Sie war sich nicht sicher, ob sie die Noten so perfekt treffen konnte, wie Douto sie beschrieben hatte. Dass sie sich noch an die Noten erinnern konnte, war außer Frage. Doch was, wenn sie Conan wieder enttäuschen würde?
„Ich bitte dich, Mädchen. Tu ihm diesen einen Gefallen.", sprach Chiemi und trat zwischen den Beiden vor.
„Chiemi hat recht, Douto wird sich bis zum Ende seines Lebens an sie erinnern.", stimmte ihr Tokiharu zu.
„Ich…", begann Ayumi.
Für eine Weile war es hier ruhig, bis sie ihren Mut zusammen nahm und anfing, die Melodie zu summen.
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Sitzung Nr. 0075, 20XX
(„Sind Sie gläubig, Hive?")
(„Ich glaube an niemanden.")
(„Aber Sie sind sich über den Begriff 'Hölle' bewusst, oder?")
(„Was?")
Mutter Krähe, was ist los mit dir?
Krächzen tust du nur noch heut.
(„Jeder hat seine eigenen Vorstellungen von einer 'Hölle'. Hier ein paar Beispiele: Eine Mutter verliert ihr Kind. Ein reicher Mann verliert sein Geld. Ein beliebter Schausteller verliert seinen Status. Ein König wird vom Feind gezwungen zuzusehen, wie sein eigenes geliebtes Volk bei einem Invasionskrieg erfolglos niedergemetzelt wird.")
Auf dem Berg, dort leben sie all,
Kinder, sieben an der Zahl.
(„Ich kann Ihnen nicht folgen.")
(„Was ich damit sagen will, ist folgendes: Jeder Mensch verliert irgendetwas in seinem Leben, das ihm wichtig ist. Manch einer interpretiert das dann als 'Hölle'. Stellt sich nur die Frage, was dieser Begriff für Sie bedeutet?")
(„Ich… Ich weiß nicht, wie ich darauf antworten soll.")
Meine Kinder, noch so klein,
Süßer könn' sie gar nicht sein.
(„Na gut, dann versuchen wir das mal anders. Wenn Sie an etwas Schreckliches denken würden, was wäre das?")
Folg' mir zum alten Nest geschwind,
Dann zeig ich dir, wie brav sie sind.
„…wie brav sie sind.", beendeten Conan, Ai und Herr Suzumura dieses Lied in Gedanken gleichzeitig.
Die Sieben Kinder! Es war eine Ewigkeit her, dass er diese Melodie gehört hatte.
„Das ist doch das Lied der Sieben Kinder, oder?", murmelte der Inspektor.
„Ja, das ist es. Vielen Dank.", antwortete Herr Watamine mit Tränen in den Augen.
„Es war die Veränderung, die diese Geschichte zwischen den dreien damals begonnen hatte…
Herr Watamine hatte mit Heimweh zu kämpfen und musste die Zustände und die Konsequenzen der Entscheidungen seines Vaters akzeptieren. Das 'alte Nest' hat er dann wahrscheinlich als seine alte Heimat gesehen.
Frau Nakayama hatte Angst davor, vergessen zu werden. Die Liebe von einer 'Krähenmutter gegenüber ihren Kindern' hat sie womöglich ernst genommen. Ob Mutter oder Vater, macht in diesem Falle bei ihr keinen Unterschied.
Und zuletzt befürchtete Frau Awase, Frau Nakayama mit ihren Worten zu verletzen. Die Worte 'Mutter Krähe, was ist los mit dir? Krächzen tust du nur noch heut.' und die eben erwähnte Liebe einer 'Krähenmutter' betraf sie ebenfalls, da ihre Mutter im Gegensatz zu ihrem Vater sich sehr um sie gesorgt hatte.", interpretierte der Professor.
Kurze Zeit später brach Herr Watamine in ein klagendes Geheul aus und seine Stimme hallte durch die gesamte Einkaufshalle.
„Nicht schlecht, Professor.", komplimentierte der Inspektor, dann wandte er sich Herrn Watamine zu und gab den Polizisten ein Zeichen, dass der Fall nun endgültig erledigt war.
„Herr Suzumura, es ist vorbei. Sie sind unschuldig und können jetzt nach Hause gehen.", fügte er hinzu, als er an ihm vorbeiging.
Als er jedoch keine Antwort bekam, fragte er noch einmal.
„Herr Suzu-"
Weiter kam er nicht, da dieser mit einem Schock im Gesicht vor ihnen stand.
Ein Piepsen in seinem Ohr bahnte sich an. Von wo, konnte er nicht sagen, denn etwas anderes hatte seine Aufmerksamkeit erlangt.
Hive blickte hoch auf die Umrisse eines grauen Mannes. Eine Zigarette rauchte aus seinem Mundwinkel. Das Einkaufszentrum um sie herum existierte lange nicht mehr und seine langen grauen Haare wehten im kalten Winterwind. Nur er und der graue Mann, der über ihn hervorragte, standen sich in diesem Moment sich gegenüber, als dieser seinen Mund öffnete und mit kalter ruhiger Stimme sprach.
„Du bist nichts weiter als ein kleines dummes Kind, dem man zeigen muss, wo es hingehört.", murmelte der Mann und lehnte sich nah an sein rechtes Ohr.
„Ist alles okay bei Ihnen?", fragte Takagi, doch Herr Suzumura reagierte kaum. Er schien wie in einer Trance gefangen zu sein, so als hätte dieses Lied in ihm etwas ausgelöst.
„Bedeutet für dich dann, dass jedes Mal, wenn du dieses Lied hörst, du an mich denken wirst, kapiert? Also wage es ja nicht, die Arroganz zu haben, direkt vor mir auf beiden Beinen zu stehen, du dreckiger Verräter.", flüsterte der graue Mann.
„Was hat denn bei Ihnen so eine Reaktion ausgelöst?", fragte Conan, jetzt misstrauisch, da er sich schon bei so einem Zufall Gedanken gemacht hat. Womöglich hatte er eine Verbindung mit der Büchse der Pandora. Eine Fährte, die er unbedingt aufnehmen muss…
„War es etwa… die Melodie?"
„Du…", murmelte Hive, während er den Mann vor sich anstarrte.
„Huh?"
„Du verdammter…"
Herr Suzumura griff langsam in seine Jackentasche und spürte das Telefon in seiner Hand. Es vibrierte.
„Hebe den Hörer ab. Jetzt.", befahl der graue Mann.
Widerwillig ging er ran. Die graue Gestalt, wie auch die Winterlandschaft und der eisige Wind vor ihm verschwanden, sodass er sich wieder in der Realität wiederfand.
„Ja, hal-"
„WO BLEIBST DU DENN, VERDAMMT NOCH MAL?!", schrie ihn eine Frau vom anderen Ende des Hörers an.
„Agh…", gab Herr Suzumura von sich und hielt sich das rechte Ohr zu.
„Alles okay?", fragte Takagi und Herr Suzumura nickte.
„Nur… nur ein Anruf, n-nichts weiter.", gab er von sich.
„Na, dann ist gut. Alles klar, wir gehen dann mal, ja? Bis später, Kinder.", sagte der Polizist und verabschiedete sich von den Kindern.
„Auf Wiedersehen, Takagi.", riefen ihm die Detective Boys hinterher.
„Jetzt nach unten? Ja, ich mach mich schon auf den Weg, hör auf zu schreien.", sagte Herr Suzumura und nahm eine der Rolltreppen nach unten.
Ayumi sah ihm nach. Dann wandte sie sich um und bemerkte, dass Conan ihrem Blick gefolgt hatte. Der Mann war nicht der einzige, der eine Schockreaktion von sich gegeben hatte. Sie hatte Ai's Angst in ihren Augen gesehen, während sie sich an Conan festgehalten hat. Konnten sie spüren, was für eine Person dieser Mann war? Hatten sie etwa auch Angst vor ihm? Nein, Conan war mutig und das wusste sie.
Und was wäre, wenn sie ihnen von allem erzählen würde? Was wäre, wenn die beiden wüssten, dass sie sie die ganze Zeit über angelogen hatte? Conan und Ai waren nicht wirklich jemand, die man unterschätzen sollte und das wusste sie. Sie waren ziemlich schlau und genau das machte ihr Angst.
(„Du könntest wohl Mitsuhiko oder Genta hinters Licht führen, aber mich und Conan nicht. Warum macht dir dieser Herr Suzumura so eine Angst?")
(„Ich bitte dich in Zukunft, rede mit uns, ja? Ich und Conan sind beide für dich da und wir würden dich niemals im Stich lassen. Du bedeutest mir, Conan, Mitsuhiko, Genta und dem Professor, mehr als du denkst. Also bitte… sag mir Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.")
Sie werden wahrscheinlich sauer auf sie sein.
„Danke, Ayame.", sagte Conan und zog an ihrer Hand.
„Huh?"
„Du warst die erste, die bemerkt hatte, was los war und bist ihm hinterher gerannt, um ihn davon abzuhalten, einen sinnlosen Tod zu begehen. Und darauf kannst du stolz sein. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.", sagte er und lächelte.
„Ich…? Aber ich…"
„Du war echt super, Ayame!", rief Mitsuhiko aufgeregt. Genta nickte zustimmend.
„Du hast ne wirklich gute Stimme, muss ich ehrlich zugeben.", sagte er.
„Ich bin wirklich stolz auf dich, Ayame.", gab Ai zu.
Ayame blickte zum Professor, der ihr lächelnd einen Daumen hoch gab. Sie hatte es endlich geschafft.
„Ihr alle… ich danke euch.", gab sie unter leichten Tränen von sich.
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Einige Minuten später waren die Detective Boys und der Professor auf den Rolltreppen nach oben zum Vierten Stock.
„Können wir jetzt was essen gehen?", fragte Genta, dessen Magen gerade anhörte, als ob es dabei war, vor lauter Hunger sich selbst beinahe aufzufressen.
„Klar doch, tun wir gerade. Die Restaurants sind hier immer ganz oben.", erklärte der Professor.
„Kannst du bitte an etwas anderes denken, als nur Essen?", fragte Mitsuhiko genervt.
„Tu ich nicht. Ich war nur vor ein paar Stunden auf dem Klo und muss meinen Magen nachfüllen.", erwiderte er und verschloss seine Arme schmollend.
„Wahrscheinlich ist bei dir noch was im Hintern stecken geblieben. Du stinkst mir nämlich schon bis hierher."
„Ist nicht meine Schuld, dass das Toilettenpapier beim Professor nicht ausgereicht hat. Und außerdem, woher willst du wissen, dass da noch was drin steckt. Hast du etwa schon nachgeschaut?", stichelte er und grinste, als hätte er ihn schon wieder an der Angel.
„Genta!", sagte Ayumi.
„Leute, ich will selber noch was Essen. Bitte hört auf, sonst verliere ich noch den Appetit.", bat der Professor, aber Ai warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
„Und jetzt schau mich bitte nicht so an, als wüsstest du, was ich sagen würde.", murmelte er verlegen. Genta und Mitsuhiko kicherten nur vor sich hin.
„Ai, wir müssen reden. Es ist wichtig.", warf Conan flüsternd ein.
„Es geht um Ayumi, richtig?", flüsterte sie zurück und Conan nickte.
Beim Esstisch, nachdem der Professor für sie alle bestellt hatte und bei dem Ai wie versprochen darauf achtete, dass er ja nichts Kalorienreiches zu sich nahm, entschlossen sich Conan und Ai, auf die Toilette zu gehen, um dort die Lage zu besprechen. Dass sich die Toilette auf dem anderen Ende der Etage befand, war ihnen von Vorteil, da sie sonst niemand von den Detective Boys fragen würde, was Conan bei ihr zu suchen hätte.
„Geht's noch?", fragte Ai, während Conan die Tür zum Männerklo aufmachte. Sie jedoch blieb vor der Tür stehen.
„Huh? Ach komm schon, sei doch nicht so. Ob das die Männertoilette ist oder nicht, ist jetzt egal, komm rein."
„Nein, ich geh nicht ins Männerklo. Ihr Männer stinkt wie Hölle.", sagte die und hielt sich angeekelt die Nase zu.
„Du beleidigst hier die Hälfte der gesamten Menschheit, okay? Das sind immerhin mehr als drei Milliarden. Also reiß dich mal zusammen, beruhige dich und komm rein. Es ist dringend."
„Dann warte ich lieber draußen, nein danke.", sagte sie und verschloss protestierend die Arme.
Conan seufzte.
„Und was ist deine Alternative?"
Ein paar Sekunden später…
„Also, was gibt's?", fragte Ai, die Conan gegenüberstand, der auf dem Toilettenschüssel saß, wie ein König auf seinem weißen Thron. Sie befanden sich in der Frauentoilette, die zum Glück frei war. Sie achteten darauf, dass die Kabine hinter ihnen auch verschlossen war.
„Die Männertoilette wäre auch okay gewesen.", schmollte er.
„Wir Frauen halten eben viel von Hygiene, da kann man nichts machen. Und jetzt genug Rumgelaber, was ist mit Ayumi los?"
„Nun, ich vermute langsam, dass das Gegenmittel in Sachen Wirkung sie in ihrem Körper aktiv verändert hat und damit rede ich nicht von ihrem äußerlichen Alter.", begann er.
„Du meinst wohl, dass sie eine Entwicklung durchmacht?"
„Ich sehe es eher als eine Mutation."
„Ist doch das gleiche."
„Da kann ich dir nicht zustimmen, um ehrlich zu sein."
„Warum nicht?"
„So wie du es vielleicht siehst, meinst du damit wohl eine Entwicklung, die von dir gewollt ist. Das, was sie, oder genauer gesagt ihr Körper, durchmacht, ähnelt eher einer unberechenbaren und ungewollten Mutation ihrer Körperzellen.", erklärte er.
„Ungewollt… Tja, da könntest du Recht haben. Aber woher willst du wissen, dass sie eine Mutation durchläuft?"
„Kurz vor einer halben Stunde, als Herr Watamine auf der Reling stand und vor hatte, sich umzubringen, war ihm Ayumi zur Hilfe geeilt und hat ihn mit der Hand am Fuß gepackt. Als ich dann bei der Reling ankam, war ich Anfangs verwirrt und es hat mir ehrlich gesagt auch ein wenig Sorgen gemacht, als einer ihrer Schuhe auf der Reling sah."
„Wie das denn?"
„Zum Beispiel: Du weißt ja, wie Fische in offenen Gewässern gefangen werden, richtig?"
„Wie kommst du jetzt darauf? Du fischst doch mit einer Angelrute, wo am Ende ein Haken befes-... Moment mal, haben ihre Füße sich wie ein Haken um die Reling geklammert? Ist das nicht normal, wenn man die Füße hochzieht?"
„Das dachte ich mir auch, bis ich etwas genauer hinsah, nachdem ich Ayumi den Gürtel zum Hochziehen runtergeschmissen habe. Irgendetwas an der Position des Fußes sagte mir, dass sie sich schon längst die Achillessehne gerissen, wenn auch nicht das Bein oder ihre Fußknochen gebrochen hätte, aber nachdem wir sie hochgezogen hatten, stand sie auf zwei Beinen ohne Probleme."
Ai dachte scharf nach.
„Bei der Überdehnung des Fußes durch plötzliche Überlastung, Trauma oder chronische Überbeanspruchung reißt in den häufigsten Fällen die Achillessehne. Diese Ursache wird auch Sehnenruptur genannt.", diagnostizierte sie.
„Normalerweise bildet sich an der Rissstelle eine Schwellung und man erleidet Bluterguss, welche blaue Flecken auf der Haut entstehen lässt, doch bisher habe ich an ihr nichts gesehen.", erklärte er.
„Du willst mir also sagen, dass sie womöglich ihren Körper beeinflussen kann?"
„Die Möglichkeit besteht zumindest. Was denkst du darüber?"
Ai seufzte, dann lehnte sie sich an die verschlossene Kabinentür.
„Unglaublich. Und das hat alles mit ein paar Ratten angefangen, hahaha…", lachte sie und blickte schwermütig zur Decke.
„Huh?", fragte Conan besorgt.
„Hast du eine Ahnung, wie spannend das ist?"
„Wovon redest du?"
„In meinen ganzen 10 Jahren, die ich jetzt mit Wissenschaft und Forschung verbracht habe, hätte ich nie erwartet, dass meine Forschung uns so weit bringen würde. Meine Finger zitterten schon bereits vor Aufregung, als ich damals zusah, wie sich Ayumis Blut von meiner Hand wegbewegte. Ich dachte schon, dass die Blutkörperchen eine eigene Existenz entwickelt hätten. Was ist, wenn das nur die Spitze des Gipfels war? Was glaubst du, was für weitere Fertigkeiten sie uns bringen könnte? Die Auswahl wäre wahrlich endlos!"
„Ai?"
„Kapierst du es denn nicht, Kudo?", sagte sie, zog Conan an seiner Krawatte zu sich und starrte ihm beinahe irre in die Augen.
„Woah, hey…"
Ihre Atmung beschleunigte sich und sie sah für ihn eher wie eine verrückte Wissenschaftlerin aus, als wie die Ai, die er kannte.
„ICH war diejenige, die das APTX entdeckt hat. ICH war diejenige, die das Gegenmittel dazu entdeckt hat. Und diese Formeln dazu habe ICH alle in meinem Kopf. ICH habe etwas erreicht, für was gewisse Menschen Millionen, nein, Milliarden zahlen würden, um auch nur mit einem Hauch dieses Phänomens in Kontakt zu kommen. Weißt du, wie viel das für mich bedeutet? Weißt du das?"
„Ich weiß, ich weiß. Beruhige dich, was ist plötzlich los mit dir?"
Ai, die jetzt bemerkt hatte, wie nah er jetzt an ihrem Gesicht war, ließ ihn los und blickte weg, damit er ja nicht zusah, wie sie vor ihm errötete. Was brachte sie dazu, so komisch zu reagieren? Irgendetwas stimmte nicht mit ihr, dessen war sie sich sicher. War sie vielleicht zu aufgeregt?
„T-Tut mir leid, Kudo, ich weiß nicht was gerade mit mir…"
„Ist jetzt auch okay, Schwamm drüber.", murmelte er, während er seine Krawatte und Fliege richtete. So eine Seite von ihr hatte er zum ersten Mal zu Gesicht bekommen.
„Bitte, pass auf Ayumi auf. Und das sage ich nicht, weil ich sie als Testsubjekt sehe, glaube mir. Ich will wirklich nur das Beste für sie und… Dass sie glücklich ist, wünsche ich mir für sie mehr als alles andere. Wenn ich etwas tun könnte, dass ihr weiterhin behilflich sei, dann…"
„Mach dir keine Sorgen, um sie kümmern wir uns drei, du, der Professor und ich. Also kopf hoch.", versicherte er und klopfte ihr auf die Schulter, während sie versuchten, das Schloss in der Kabinentür zu öffnen.
„Was ist mit Herrn Suzumura von vorhin?", fragte sie, nachdem sie die Toilette verlassen hatten.
Conan betätigte einen Knopf an seiner Brille und sah einen Grünen Punkt auf dem Bildschirm aufleuchten.
„Dem Anschein nach befindet er sich momentan im Einkaufszentrum. Noch haben wir Zeit."
„D-Du hast ihn verwanzt? Wirst du ihm hinterher spionieren? So wie er sich beim Anruf angehört hat, wird er höchstwahrscheinlich einen Komplizen haben.", erklärte Ai besorgt.
„Ich… Ich muss mehr über sie herausfinden. Vielleicht hilft es uns bei der Ermittlung weiter.", sagte er entschlossen, während sie sich dem Tisch näherten, wo die Detective Boys schon ihre Bestellungen in sich hineinstopften.
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Nach dem Essen entschlossen sie sich alle wieder mit dem Auto nach Hause zu fahren und nahmen einen der Rolltreppen vom vierten Stock nach unten.
„Bin ich voll…", gähnte Genta, der typischerweise noch voller aussah als sonst und rülpste.
„Ich bin wenigstens froh, dass du jetzt endlich mal für eine Weile nicht ans Essen denken wirst. So wie du aussiehst, würdest du die nächsten Paar Stunden damit verbringen, auf und ab vor dich hin zu rollen.", sagte Mitsuhiko.
„Gib mir noch ein bisschen mehr davon und ich wälze dich platt."
„Sag mir bitte nicht, dass du noch nicht satt bist. Du hast mir schon vorhin einen Teil meiner Bestellung geklaut und ich hoffe wirklich, dass du es bald bereuen wirst."
„Ja und? Wenigstens habe ich nicht so viel gegessen wie Ayame.", schmollte er und warf Ayame einen bösen Blick zu. Sie errötete und gab ebenfalls einen verlegenen kleinen Rülpser von sich.
„Stimmt, das war schon merkwürdig viel für jemanden wie dich.", fiel Mitsuhiko auf.
„Ach kommt, Kinder. Hört auf, lässt sie in Ruhe. Ihr macht sie schon ganz verlegen.", ermahnte der Professor.
„Genta hat recht, sie hat schon auffällig viel gegessen, Kudo. Das waren ganze vier vollständige Menüs, also fast das, was er an einem Tag verdrückt.", flüsterte Ai.
„Ja, vermutlich hängt es mit dem starken Energieverlust zusammen, den sie durch die sofortige Heilung ihres Fiebers ertragen musste. Die Rettung von Herrn Watamine musste wahrscheinlich auch ein Teil davon gewesen sein."
„Wisst ihr was? Am Besten überrolle ich euch… häh?", murmelte Genta, als er plötzlich etwas entdeckte, während er auf die Glasscheibe nach unten blickte.
„Was? Hattest du etwa nicht genug?", warf Mitsuhiko ein, doch Genta winkte ab.
„Sieh doch, da unten!"
Genta zeigte mit dem Finger auf eines der Rolltreppen auf den unteren Etagen.
„Ich fass es nicht!", staunte jetzt auch Mitsuhiko.
„Was ist denn los, Genta?", fragten Ayumi und Conan, während sie seinem Blick folgten.
Dort standen in einiger Entfernung Herr Suzumura und eine weißhaarige junge Frau neben ihm, die ebenfalls eine der Rolltreppen zusammen nach unten nahmen und gleich im Erdgeschoss ankommen sollten.
Ai erstarrte förmlich.
„Nein, das ist unmöglich. Aber sie ist doch…", murmelte sie.
„Das ist doch die Frau, die mich damals gefangen hat.", sagte Genta.
„Sieh doch Conan, das ist die Frau mit den weißen Haaren!", rief Mitsuhiko aufgeregt. Jetzt bemerkte auch Ayame die Frau.
„Was?"
„Ich fasse es nicht…", gab Conan von sich und warf einen raschen Blick auf Ai, die den gleichen Ausdruck wie er verspürte.
„Curaçao…"
Irgendwo weit entfernt in einer Wohnung auf einer anderen Stadtseite Beikas weinte jemand hinter einem Computerbildschirm.
– Kapitel 28 ENDE –
Kapitel 28.5 ist in Arbeit und wird bald in diesem Kapitel in einem Update hinzugefügt.
