Szene 8: Alpträume

Er war also wieder da. In dem Raum. Wobei er gar nicht genau sagen konnte, ob es wirklich ein Raum war, wo er sich gerade befand, denn alles, was seine Augen sehen konnten, war endlose Dunkelheit, die sich in jede Himmelsrichtung um ihn herum zu erstrecken schien. Ihm schien es, als wäre er von undurchdringlichen schwarzen Wände umgeben, die jedes Licht, jedes Geräusch und alles Lebendige schluckten.

Five riss die Augen weit in die Dunkelheit hinein auf. Irgendwo musste das Schwarz doch ein Ende haben, einen Rand, eine Begrenzung. Wenigstens einen kleinen Lichtschein musste es geben. Seine Augen suchten systematisch die Schwärze ab, suchten nach einem helleren Schwarzton in dem Meer aus Dunkelheit, doch da war einfach nur unendliches... Nichts. Für einen Moment war sich Five nicht einmal mehr sicher, ob sein Körper wirklich noch existierte, ob er noch am Leben war, ob es da noch etwas anderes gab, als diese unendliche Leere, die ihn umschloss und zu ersticken drohte.

„Hallo?", rief er in die Dunkelheit hinein. Keine Antwort. Seine Stimme verhallte ungehört in den Weiten. „Hallo!", schrie er aus Leibeskräften in alle Richtungen. „Ich bin hier!" Wieder keine Antwort. Five drehte seinen Kopf suchend in alle Richtungen. Die Dunkelheit bot keinen Orientierungspunkt, nichts, woran man den Blick haften konnte und in Five stieg langsam das Gefühl auf, als würde er von irgendwo in die Tiefe fallen. Ihm wurde schwindlig und sein Magen rebellierte.

- Five stöhnte im Schlaf auf und wälzte sich unruhig in seinem Bett herum, seine Finger krallten sich fest in seine Bettdecke, suchten nach etwas, woran er sich festklammern konnte -

Nachdem das flaue Gefühl in seinem Bauch endlich etwas nachgelassen, konnte er es wieder wagen seinen Kopf zu drehen. Und plötzlich war da etwas. Ja! Da in der Ferne schälte sich etwas aus der Dunkelheit heraus, nahm langsam Gestalt an. Five starrte wie gebannt auf die Stelle, wagte es nicht auch nur ein einziges Mal zu blinzeln, aus Angst, es könnte wieder verschwinden. Noch nie zuvor hatte er etwas außer der Schwärze in dem Raum wahrgenommen. Stets war er verängstigt und allein hier gefangen gewesen.

„Hallo?", rief er noch einmal, lauschte, ob er eine Antwort erhielt. Noch immer nichts. Vielleicht war er einfach zu weit entfernt? Aufgeregt machte er sich auf in Richtung der Umrisse. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Hoffnung,nicht mehr alleine in der Dunkelheit umherzuirren, trieb ihn an, ließ seine Schritte länger werden.

„Ist da jemand?", schrie er im Laufen. Jemand...jemand..jeman...prallte das Echo seiner Stimme wie von unsichtbaren Wänden zurück. Noch immer keine Antwort. Five beschleunigte seine Schritte noch weiter, rannte jetzt, sein Atem ging hastig.

Da! Konnte es wirklich sein? Ja! Die Konturen wurden schärfer, je näher er den Umrissen kam. Jetzt konnte er drei verschiedene Gestalten ausmachen. Eine sehr große schlanke und zwei kleinere, eine davon gedrungen. Five riss die Augen noch weiter auf, versuchte zu erkennen, wer da in der Dunkelheit stand.

Sein Blick glitt hoch zu den Köpfen der Gestalten, wanderte weiter zu ihren Gesichtern. Plötzlich kam er mit einem Ruck zum Stehen, als wäre er mit voller Kraft er gegen eine unsichtbare Mauer geprallt.. Sein Mund hatte sich zu einem lauten Schrei verzogen.

Denn dort, wo die Gesichtszüge der Gestalten hätten sein sollen, war...nichts. Leere Fläche starrte ihm entgegen. Fives Schrei verebbte in lautem Keuchen, er wollte er seinen Blick von ihnen abwenden, wollte die gesichtslosen Masken keine Sekunde länger betrachten müssen, doch seine Augen waren in ihren Höhlen zu leblosen grünen Murmeln erstarrt.

Jetzt begannen die leeren Flächen zu pulsieren, zu wabern, sich zu verändern. Mit Schrecken musste er zusehen, wie die gestaltlosen Gesichter Formen annahmen, sich grauenhafte Gesichtszüge bildeten. Augen, aus denen gräulicher Nebel kroch und Münder, wie mit einem Messer geschnitten. Die Gesichter stierten ihn an, kamen jetzt näher.

„Weglaufen!Sofort!", schrie ihm sein Verstand zu. Five versuchte zurückzuweichen, doch seine Füße waren wie auf den Boden geklebt. Er konnte keinen einzigen Muskel rühren.

- Five wimmerte und bog seinen Kopf zurück. Seine Füßen traten wild nach der Decke, versuchten sie wegzustoßen -

„Nein...nein, bitte, haut ab!" schrie er den Gestalten zu, doch die Fratzen ließen sich davon nicht beeindrucken und glitten weiter auf ihn zu, während er nur hilflos dastehen und zusehen konnte. Gleich würden sie ihn berühren. Ihre seelenlose Gesichter an seines drücken. Sein Herz raste wie wild, er wollte zurückweichen, weglaufen, wenigstens die Augen vor ihnen verschließen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht.

- Fives Muskeln spannten sich an, wurden hart wie Stein, sein ganzer Körper zitterte und zuckte vor Angst, Schweiß durchfeuchtete seinen Pyjama, während er in dem Alptraum gefangen war -

Nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht kamen die Gestalten unerwartet zum Stillstand und Five rechnete damit, dass sie jede Sekunde ihre grässlichen Münder aufreißen würden, um ihn zu verschlingen. Gleich, gleich würde es soweit sein. Die Striche würden sich öffnen und die Hölle dahinter auftun.

Five fühlte, wie es enger und enger in seiner Brust wurde, als ob jemand seinen Brustkorb mit ungeheurer Kraft zusammen quetschte. Mit hektischen Atemzügen versuchte er, seinen Brustkorb auszudehnen, seine Lungen mit Sauerstoff zu füllen, um die Enge zu vertreiben, doch es gelang ihm nicht.

Blinde Panik überfiel ihn. Er würde ersticken, jetzt gleich, noch bevor die Münder ihn verschlingen konnten. Die Fratzen würden ihn dabei anstieren und warten, bis es mit ihm zu Ende ging. Wenn sie ihn nicht vorher auffraßen.

Five spürte heiße Tränen über seine Wangen laufen, konnte jedoch nicht mal die Hand heben, um sie wegzuwischen. Tot,tot,tot hämmerte es mit jedem Herzschlag in seinem Kopf. Gleich würde er tot sein. Seine Sicht verschwamm, sein Körper brannte vor Schmerz, seine Lungen schrien nach Sauerstoff, den sie nicht bekamen. Die Schwärze begann von außen in seine Poren einzudringen, die Mäuler öffneten sich zu einer blutroten Höllenpforte und...

- Five schrie und weinte im Schlaf, seine Zimmertür flog auf und ein Schatten huschte herein, hob die Decke an und kuschelte sich eng an in. „Schhhhh, ist ja gut, Five, ich bin ja hier, alles gut! Schhhhhh, bitte, beruhige dich, Bruder!" -

Mit einem Schlag veränderte sich die Dunkelheit. Five spürte eine Wärme an seinem Rücken und da war eine sanfte Stimme, die aus der Dunkelheit zu ihm flüsterte. Er konnte nicht verstehen, was sie sagte, doch ihr Klang war seltsam tröstlich. Ihr Murmeln hüllte ihn ein wie ein warmer Kokon. Und mit einem Mal konnte Five wieder atmen. Gierig sog er die Luft in seine Lungen, spuckte und hustete. Seine Sicht klärte sich.

Die Hölle schloss sich vor seinen Augen und mit jedem neuen Atemzug wichen die Fratzen zurück, wurden unschärfer und verschmolzen schließlich wieder mit der Schwärze. Erleichterung flutete seinen Körper. Obwohl er immer noch in dem schwarzen Raum gefangen war, fühlte sich die Dunkelheit jetzt nicht mehr bedrückend und bedrohlich an. Im Gegenteil. Sie schien von einer wohligen Wärme erfüllt zu sein. Ein vertrauter Duft umfing sanft seinen Körper. Five ließ sich in die Wärme und den Duft fallen und glitt wenige Sekunden später in einen traumlosen Schlaf.

- Eine Hand streichelte beruhigend über Fives schweißnasses Haar und die Stimme flüsterte: „Schlaf jetzt gut, Five, ich beschütze dich." -