Liebe, Lüge, Wahrheit

Kapitel 75 – Wieder vereint

Sommer 1788

Leise wie eine Katze, beinahe auf Zehenspitzen und mit einer Öllampe ausgestattet, verließ Oscar in dieser mondlosen Nacht zum ersten Mal seit drei Monaten heimlich ihre Gemächer. Morgen würden André und François wieder ihren Dienst in der Kaserne antreten und sie wollte endlich die Gelegenheit nutzen, um die Liebe zu beleben. Sehnsucht nach ihrem Geliebten, seinen berauschenden Küssen und verführerischen Händen war ihr ständiger Begleiter und in den letzten Tagen verstärkte sich der Durst nach seiner Liebe noch mehr. Hoffentlich schliefen bereits alle im Haus...

Im unteren Geschoss des elterlichen Anwesens befanden sich die Zimmern der Bediensteten, der Kinder und von André. Oscar wollte sichergehen, dass alle wirklich schliefen und besuchte ihre Kinder. Das erste Zimmer war von Marguerite. Oder besser gesagt, das Zimmer von ihrem Kindermädchen Marie. Ihre Tochter schlief in einem einzelnen Bett – Marie dagegen in einem anderen und in der Nähe von ihrem Schützling. Neben ihr lag ein kleiner Junge Namens Philippe – ein Jahr jünger als Marguerite und der einzige Sohn von Marie. Sein kupferrotes Haar ließ ihn schon von Weitem erkennen. Soweit Oscar wusste, hatte der Vater von Philippe und der Mann von Marie eine neue Arbeit vor ein paar Wochen in Paris angenommen und war kaum noch Zuhause. Weil der Junge sieben Jahre alt war und Marguerite einen Spielgefährten in ihrem Alter brauchte, hatte Oscar zugestimmt, dass er bei seiner Mutter auf dem Anwesen der de Jarjayes wohnen durfte. Seinen Vater konnte er zusammen mit seiner Mutter, an dessen freien Tagen, in Paris selbstverständlich besuchen. Oscar schmunzelte und schloss die Tür wieder. Der kleine Philippe war ein Gewinn für ihre Tochter. Marguerite sprach wieder mit ihrer Mutter und benahm sich so, als wäre nie etwas zwischen ihnen passiert. Oder lag das nicht nur an dem Jungen, sondern weil André zurückgekehrt war und Augustin hier bleiben durfte?

Vielleicht etwas von beiden, vermutete Oscar und schlich weiter den Gang entlang. Ihr geheimes Familienglück schien sich seit der Rückkehr von André wieder zu errichten. Ihr Vater hatte sein Wort gehalten und den Heiratsantrag zurückgezogen. Graf de Girodel ließ sich seit dem auch nicht mehr blicken. Oscar konnte sich vorstellen, dass es ein harter Schlag für ihn war, aber wenigstens hatte er das hingenommen und akzeptiert. Er war zwar der Patenonkel von François und Mitwisser ihres streng gehüteten Geheimnisses, aber das bedeutete nicht, dass sie deshalb an ihn ihr Herz verlor und ihn heiratete. In ihrem Leben gab es nur André und das wusste Victor eigentlich schon seit fast vierzehn Jahren.

Oscar zog ihre Lippen zu einem Strich und erreichte das Zimmer ihres Sohnes und dessen Freund. Vorsichtig öffnete sie die Tür und trat über die Schwelle ein. Weiter ging sie nicht. Das Licht der Öllampe erfasste schwach das bescheidene Zimmer der beiden und ihre Betten. François und Augustin schliefen tief und fest – das leise Schnaufen verriet das. Oscar rührte sich nicht von der Stelle. Sie wollte keinen von den beiden wecken und schaute nur ihren Sohn an. Seit der Rückkehr von André hatten weder Oscar noch Augustin über ihren Streit miteinander gesprochen. Oscar empfand seit dem noch mehr Schuldgefühle, aber schaffte es, sie immer wieder zu ignorieren. Solange ihr Vertrauen zu ihm noch gebrochen war, fand sie keinen Grund, sich bei ihm zu entschuldigen. Wofür? Nur weil sie diese gewisse Schuld gegenüber dem Jungen empfand, hieß das noch lange nicht, dass sie ihm wirklich etwas schuldete. Und wenn, dann wüsste Oscar nicht, was. Sie kannte Augustin nur, weil ihr Vater ihn aus Paris mitgebracht und als Spielgefährten für François eingestellt hatte. Ihr geliebter François, ihr Sonnenschein hatte sich von der Schusswunde an der Schulter erholt und nur das zählte. Ein letztes Mal schaute Oscar ihren Sohn liebevoll an und verließ das Kinderzimmer. Das nächste und letzte Zimmer befand sich gleich nebenan.

André schlief noch nicht – das sah Oscar, als sie sein Zimmer betrat. Er hatte auf sie gewartet und saß sofort im Bett auf, kaum dass Oscar die Tür hinter sich schloss. „Die Kinder und alle anderen schlafen bereits.", berichtete sie ihm, während sie durch sein Zimmer ging und die Öllampe auf dem Tisch neben dem Bett abstellte.

„Gut." André beobachtete jede einzelne Bewegung von ihr. Oscar kam im Nachthemd zu ihm und er musste schmunzeln. Ihm kam es wie eine Ewigkeit vor, seit sie sich zum letzten Mal geliebt hatten. Wann genau das war, konnte André nicht mehr sagen und kaum dass Oscar die Öllampe abstellte und sich aufrichtete, zog er sie schwungvoll auf seinen Schoss.

„So ungeduldig?", jauchzte Oscar vergnügend und drückte ihm schon selbst ihre Lippen auf den Mund.

„Oh, ja, meine Liebe..." André hielt sie in seinen Armen, streichelte ihren Körper und raffte den Rock ihres Nachthemdes nach oben.

Oscar hielt ihn aber davon ab und unterbrach den Kuss. „Warte, lass mich das heute machen." Sie stand auf und zog ihr Nachthemd aus. André machte währenddessen das Gleiche bei sich, entfernte die störenden Bettlaken und ergötzte sich dann an der Vollkommenheit seiner Geliebten in dem schwachen Licht der Öllampe. Oscar stieg sogleich rittlings auf ihn und schob ihn sanft in die Kissen zurück. Sie beugte sich über ihn und mit berauschenden Liebesworten umschloss sie seine Lippen mit den ihren beinahe heißhungrig. André ließ ihre flinke Zunge mit einem begehrlichen Seufzer in seine Mundhöhle eindringen, umspielte sie mit der seinen und ließ dabei seine Hände an ihrem Körper wandern. Welch eine Wonne, die Weichheit ihrer Haut wieder zu spüren und dieses prickelnde Gefühl nach Zärtlichkeit und Verlangen zu empfinden.

Seine Hände streichelten ihre Oberschenkel von beiden Seiten entlang, erfassten ihre Pobacken und kneteten sie sanft. Oscar stöhnte erregt in den Kuss hinein, hob ihr Gesäß und bewegte agil ihren Körper. Ihre Lippen verließen seinen Mund, um gleich darauf seinen Hals und seinen Brustkorb zu küssen. Auch auf die Narben oberhalb seines Bauchs verteilte sie zärtliche Küsse. Der Täter, der ihm das angetan hatte, war noch immer nicht gefasst. Der Soldat Georges war zwar ein Verdächtiger und stand unter Beobachtung von Alain, aber um ihn festzunehmen, brauchten sie handfeste Beweise und die hatten sie nicht. Bedauerlicherweise konnte André sich nicht an seinen Peiniger erinnern und Georges zeigte keine Auffälligkeiten, dass er mit dem Attentat auf ihn etwas zu tun gehabt haben könnte. Vielleicht würde sich das ändern, wenn er André morgen in der Kaserne wiedersieht würde? Und warum beschäftigte sie das jetzt? Sie sollte jetzt besser die Liebe und Wiedervereinigung mit ihrem geliebten André genießen, denn das hatten sie schon lange vernachlässigt.

Oscars Lippen streiften an seinem Bauchnabel nach unten zu seinem behaarten und strammen Glied. André unterdrückte ein lautes Keuchen und bewegte seine Hüfte, als Oscar die Spitze seiner strammen Männlichkeit in den Mund nahm und ihn dort küsste. Ihre Zunge umspielte die Eichel und brachte ihn beinahe um den Verstand. Seine Hände streichelten ihre samtweichen Haare, die wie ein goldener Deckmantel auf seinem unteren Teil des Körpers ausgebreitet lagen und durch ihre Bewegungen an seiner Haut leicht kitzelnd streiften. „Oh, meine Liebste, wenn du so weiter machst, dann ergieße ich mich schon bald...", flüsterte er ekstatisch und Oscars Mund verschwand von seiner Männlichkeit. Im nächsten Augenblick jedoch saß sie wieder rittlings auf ihn und nahm sein bestes Stück mit einem begehrlichen Seufzer in ihrer feuchte und warme Höhle auf. „Ist das besser so, mein Geliebter?", fragte sie lustvoll und bewegte ihren Körper auf und ab.

„Oh, ja, Liebste, das ist viel besser so..." André hielt ihr Gesäß, seine Finger massierten kräftiger ihren weichen Hintern und im Takt ihrer schnellen Bewegungen stieß er in sie von unten. Im Rausch der Liebe, Lust und Leidenschaft, bekamen sie nicht mit, wie die Zimmertür sich einen Spaltbreit öffnete und ein paar Sekunden später wieder zuging.

Augustin lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und seufzte. Sein Herz hämmerte wild, aber nicht wegen der gesehenen Liebesszene zwischen seinen Eltern. Sie sollten schon ihre Lust, Liebe und Leidenschaft auskosten, solange es ihnen noch vergönnt war. Niemand wusste, was morgen passieren würde. In der Kaserne wusste jedermann, somit auch Georges, dass André lebte und morgen, zusammen mit François, seinen Dienst wieder antritt und das war ein wenig beunruhigend. Aber auch nicht deswegen hämmerte sein Herz so wild, sondern wegen Oscar. Sie war zuvor auf seinem Zimmer gewesen und obwohl das Licht der Öllampe schwach war, wurde er trotzdem wach. Er hatte den Besuch seiner Mutter gespürt und geduldig gewartet, bis sie wieder ging. Ihm war bewusst, dass sie nur François besuchen wollte und obwohl es ihm sehr an der Seele schmerzte, ertrug er diesen Schmerz. Seine Mutter duldete ihn an ihrer Seite, weil es ihr Vater so angeordnet hatte und auch wegen François und Marguerite. Das war bitter und enttäuschend, aber wenigstens verjagte sie ihn nicht mehr von ihrer Seite. Das einmalige Gespräch, was sie an dem Tag der Rückkehr seines Vaters geführt hatten, fand auch nicht mehr statt. So, als hätte das eine Mal all ihre Fragen beantwortet. Aber dem war nicht so. Obwohl seine Eltern das Thema in seiner Anwesenheit nicht mehr ansprachen, vermutete Augustin jedoch, dass sie das ohne ihn taten. Das war auch ein Grund, weshalb er hinter seiner Mutter her geschlichen war. Allerdings widmeten sie sich gleich ihrer Liebe und vergeudeten keine Zeit mit Gesprächen über ihn. Augustin atmete ein paar Mal tief durch, bis sein hämmerndes Herz sich etwas beruhigte, entriss sich von der Wand und ging zurück in sein Zimmer. Morgen würden François und sein Vater wieder in die Kaserne zurückkehren. Das bedeutete auch, Georges noch mehr im Auge zu behalten und dafür sorgen, dass er nicht in der Nähe seiner Familie kam.