Und du liebst mich doch...

Kapitel 41

Das geschäftige Treiben in der Großen Halle war an diesem Morgen besonders lebhaft. Teller klirrten, Besteck klapperte, und das Gemurmel hunderter Stimmen erfüllte den Raum wie ein Hintergrundorchester. Die goldenen Lichtstrahlen der schwebenden Kerzen tanzten auf den langen Tafeln und ließen die dampfenden Schüsseln mit Haferschleim, Eier, Speck und anderen Leckereien noch verlockender aussehen. Doch Harrys Appetit hielt sich in Grenzen.

Er stocherte lustlos mit seiner Gabel seinem Obstsalat herum, während Ron neben ihm saftige Eier auf seinen Teller lud. „Hör mal, Harry," sagte Ron kauend und mit vollem Mund. „Du siehst aus, als wärst du über Nacht um fünf Jahre gealtert. Iss mal was."

„Mir geht's gut," murmelte Harry leise. Doch er griff trotzdem nach einem Löffel Haferschleim, mehr um Ron nicht weiter zu irritieren als aus echtem Hunger.

Hermines scharfer Blick war auf Harry gerichtet, und sie legte ihre Feder, die sie gerade noch für Notizen genutzt hatte, sorgfältig auf den Tisch. „Harry, jetzt sag schon. Was ist gestern Abend passiert? Du bist einfach mit Snape und Lupin verschwunden und dann nicht mehr aufgetaucht."

Harry seufzte, stützte seinen Kopf in die Hand und spürte, wie die Anspannung des letzten Abends ihn immer noch in ihrem Griff hielt. „Sie haben es geschafft," begann er, wobei seine Stimme etwas heiser klang. „Lupin und Snape... sie haben die Verbindung zwischen mir, Draco und Lucius gebrochen."

Hermines Augen weiteten sich vor Überraschung, während Ron innehielt und mit einem Speckstreifen in der Hand verblüfft zu Harry hinüberschaute. „Moment mal," sagte Ron, seine Stirn runzelnd. „Heißt das, Malfoys Vater kann jetzt nicht mehr... äh..."

Harry hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. „Ja, er kann jetzt nicht mehr in meinen Kopf sehen. Das ist vorbei." Er senkte den Blick und starrte auf seinen Teller. „Aber es war... es war knapp. Draco wäre beinahe gestorben."

Ron warf einen fragenden Blick zu Hermine, die jedoch bereits wieder eine Feder in der Hand hielt und eifrig Notizen machte. „Das ist unglaublich," sagte sie mehr zu sich selbst als zu Harry. „Aber wenn die Verbindung gebrochen ist, was ist dann mit den anderen Zaubern? Dem Schlüssel zu Dracos Herz? Blaise hat ihn immer noch, oder?"

Harry nickte langsam, fühlte aber, wie sich sein Hals zuschnürte, als er ihre Worte hörte. Sein Blick wanderte unwillkürlich zum Slytherintisch, wo Draco an seinem üblichen Platz saß. Blass wie eh und je – doch es war nicht mehr diese unnatürliche Blässe von gestern Abend, die Harry in ihren Bann gezogen hatte. Es war ein sanfteres, lebendigeres Blasssein, und Harry spürte einen Hauch von Erleichterung, als er sah, wie Draco sich mit Blaise unterhielt. Blaises Gesichtsausdruck verriet Überraschung, beinahe Unglauben. Wahrscheinlich erzählte Draco ihm gerade von den Ereignissen des Vorabends.

Ein kurzer Anflug von Eifersucht stach in Harrys Brust. Was, wenn Blaise mehr über Draco wusste als er? Mehr über seine Gedanken, seine Gefühle? Doch bevor er sich tiefer in diesen Gedankengängen verlieren konnte, riss Hermines Stimme ihn zurück in die Realität.

Harry atmete tief durch und zwang sich, den Blick vom Slytherintisch abzuwenden. Es war nicht der richtige Moment für Eifersucht – nicht nach allem, was geschehen war. Stattdessen richtete er sich wieder auf und wandte sich an Hermine, die ihn mit ihrem gewohnten, forschenden Blick ansah.

„Wir haben vielleicht einen Sieg errungen," sagte Harry langsam, „aber ich habe das Gefühl, dass das nur der Anfang war. Der Verbindungszauber ist gebrochen, aber der 'Schlüssel des Herzens'... Blaise hat ihn immer noch." Er warf einen kurzen Blick in Hermines Richtung, die ihre Lippen fest aufeinanderpresste. Sie hatte diese Gewohnheit, wenn sie nachdachte oder eine besonders kluge, aber unangenehme Idee hatte.

„Wir müssen darüber nachdenken, wie wir Blaise dazu bringen können, den Schlüssel loszulassen," sagte sie schließlich und klang dabei entschlossen. „Er hat ihn nicht ohne Grund behalten, und wenn wir ihn nicht überzeugen können, ihn zurückzugeben..."

„Wird Draco nie wirklich frei sein," beendete Harry ihren Satz. Das Gewicht dieser Worte ließ ihn schwer auf dem Stuhl sitzen bleiben, obwohl ihm innerlich nach Bewegung zumute war – nach irgendetwas, das ihm das Gefühl gab, nicht völlig machtlos zu sein. Er hasste dieses Gefühl.

Ron, der bis dahin still gewesen war, schob seinen Teller ein Stück zur Seite. „Hör mal, ich könnte versuchen, mit Blaise zu reden." Hermines Kopf ruckte in seine Richtung, als hätte sie erwartet, dass er jeden Moment einen Witz machen würde. Aber Ron wirkte ernst, seine blauen Augen fest auf Harry gerichtet. „Er... hört manchmal auf mich, weißt du? Vielleicht nicht immer, aber... ich könnte es versuchen. Es ist ein Anfang."

Harry wollte etwas sagen, doch Hermines strenger Tonfall kam ihm zuvor. „Das könnte funktionieren, Ron, aber wir brauchen einen konkreten Plan. Blaise wird den Schlüssel nicht einfach so hergeben, und wenn er misstrauisch wird, könnte er ihn noch fester halten."

„Vielleicht," begann Harry zögernd, „könnten wir Blaise zeigen, dass es für alle besser ist, wenn Draco die Kontrolle über sein Herz zurückbekommt. Für ihn, für mich, für Draco." Seine Stimme wurde leiser, während er sprach, und er konnte spüren, wie Hermine ihn aufmerksam musterte.

Harrys Blick wanderte erneut zum Slytherin-Tisch, während er die Worte formulierte, die ihm seit dem Morgen durch den Kopf gingen. „Ich glaube nicht, dass Blaise Draco manipulieren will," sagte er schließlich, langsam und bedacht. „Aber... ich denke, er hält an dem Schlüssel fest, weil er nicht loslassen kann. Wegen seiner früheren Gefühle für Draco."

Ein kurzes Klirren ließ Harry innehalten. Ron hatte seine Gabel fallen lassen und starrte auf seinen Teller, ohne jedoch einen Ton von sich zu geben. Seine Gesichtszüge blieben unverändert, doch Harry konnte die plötzliche Anspannung spüren, die wie ein unsichtbarer Nebel über seinem besten Freund lag.

„Das ist... interessant," sagte Hermine nach einer unangenehmen Pause und warf Ron einen kurzen, besorgten Blick zu. Sie legte die Feder in ihrer Hand ab und schien genau zu überlegen, wie sie die Unterhaltung fortsetzen konnte, ohne die unausgesprochene Spannung zwischen Harry und Ron weiter zu verstärken. „Aber, Harry, selbst wenn Blaise den Schlüssel aus emotionalen Gründen behalten möchte, bleibt die Frage: Was passiert, wenn der Schlüssel in die falschen Hände gerät?"

„Genau," murmelte Harry und zwang sich, den Blick auf seine Hände zu richten, die um den Löffel in seiner Hand geklammert waren. „Das ist der eigentliche Grund, warum wir etwas unternehmen müssen. Blaise mag keine schlechten Absichten haben, aber..." Er hielt inne, als er merkte, dass Ron sich immer noch nicht bewegte. „Aber wir können es uns nicht leisten, dass der Schlüssel in Gefahr gerät."

Ron nickte langsam, ohne den Blick zu heben. „Ja. Klar. Gefährlich," murmelte er, und es klang mehr wie ein Gedanke, den er sich selbst zuflüsterte, als wie ein echter Beitrag zum Gespräch. Dann griff er nach seiner Teetasse, hielt sie jedoch nur in den Händen, ohne einen Schluck zu nehmen.

„Ron, alles okay?" fragte Hermine schließlich vorsichtig und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, was die Stimmung noch angespannter machen könnte.

„Ja," antwortete er, ein wenig zu schnell, und zwang ein schwaches Lächeln auf sein Gesicht. „Natürlich. Ich meine, es... es ist nur kompliziert, weißt du? Alles um Blaise herum." Er hielt inne, sein Lächeln verblasste, und er stellte die Tasse auf den Tisch. „Es ist nicht einfach, mit jemandem zusammen zu sein, den jeder ständig beurteilt. Und jetzt auch noch das mit dem Schlüssel... es ist einfach... viel."

Harry öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder. Er wusste, dass Ron nicht nur über Blaise sprach. In Rons Worten lag eine versteckte Unsicherheit, die Harry zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Es ging nicht nur um die Meinung anderer oder um Blaises Verbindung zu Draco – es ging um Rons eigene Angst, Blaise könnte sich zu sehr an die Vergangenheit klammern.

„Es tut mir leid," sagte Harry schließlich leise, wobei er versuchte, seine Worte so ernsthaft wie möglich klingen zu lassen. „Ich wollte nicht... es ist nur... ich mache mir Sorgen um Draco und um diesen Schlüssel. Aber ich weiß, dass das nicht einfach ist, weder für dich noch für Blaise."

Ron sah ihn an, und für einen Moment schien die Spannung zu weichen. Ein schwaches Nicken kam von ihm, bevor er sich wieder seinem Tee zu wandte. „Schon gut," murmelte er schließlich. „Aber wir müssen aufpassen, wie wir das anstellen. Blaise wird keinen von uns an sich heranlassen, wenn er das Gefühl hat, dass wir gegen ihn sind."

Harry bemerkte, wie Ron eine Tasse Tee vor sich abstellte, die er aber nur langsam hin und her schob, anstatt sie zu trinken. Die Spannung in der Luft war fast greifbar, und Harry fühlte sich unbehaglich, als er Rons Verunsicherung spürte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch schnell wieder, als ihm klar wurde, dass er nicht die richtigen Worte fand.

Es war Hermine, die schließlich die Stille brach, während sie ihren Ton so ruhig wie möglich hielt. „Vielleicht sollten wir weniger versuchen, Blaise zu überzeugen, und mehr versuchen, den Schlüssel zu sichern. Was, wenn wir ihn aufbewahren könnten – irgendwo, wo niemand, nicht einmal Pansy, ihn finden kann?"

Ron blickte auf und zog die Stirn kraus. „Und wie sollen wir das machen? Blaise ist nicht gerade der Typ, der etwas hergibt, nur weil wir ihn nett fragen. Besonders nicht, wenn er denkt, es ist für Draco wichtig." Seine Stimme war nicht scharf, aber da lag ein Hauch von Unsicherheit in seinen Worten, der Harrys Herz schwer machte. Ron hatte recht, es war kompliziert – und nicht nur wegen Draco.

„Wir könnten den Schlüssel nicht nur verstecken," begann Harry langsam, „sondern auch schützen. Mit einem Zauber, der ihn unsichtbar macht oder ihn vor jeder Art von Magie abschirmt." Er hielt inne und richtete seinen Blick direkt auf Hermine. „Kannst du so etwas finden? Einen Zauber oder ein Artefakt, das das könnte?"

Hermine strich eine widerspenstige Locke hinter ihr Ohr und schien bereits in Gedanken durch die Bibliothek zu blättern. „Es gibt Schutzzauber, aber sie sind oft sehr speziell... und riskant. Wenn wir nicht wissen, wie der Schlüssel magisch funktioniert, könnten wir unbeabsichtigt alles noch schlimmer machen."

Ron schnaubte leise und nahm endlich einen kleinen Schluck von seinem Tee. „Was also? Wir stehen einfach daneben und hoffen, dass niemand ihn Blaise stiehlt? Besonders nicht Pansy? Super Plan."

Harry spürte einen Hauch von Frustration in Rons Stimme, aber er verstand, dass sie nicht an Ron selbst gerichtet war. Es war die Situation – ihre ständige Ohnmacht, immer nur auf das nächste Problem zu reagieren, statt endlich die Kontrolle zu übernehmen.

„Wir müssen damit anfangen, mehr herauszufinden," sagte Harry entschlossen. „Über den Schlüssel. Über Pansys Pläne. Vielleicht auch über Blaises Vergangenheit mit Draco. Alles könnte wichtig sein."

Rons Tasse machte ein leises Geräusch, als er sie vorsichtig auf den Tisch zurückstellte. „Wahrscheinlich hast du recht," sagte er leise. Doch seine Augen verrieten, dass er noch immer an den Gedanken nagte, den Harry zuvor geäußert hatte. Dass Blaise seine Gefühle für Draco noch nicht vollständig losgelassen hatte.

Hermine nickte, ein nachdenklicher Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Gut. Dann teilen wir uns auf. Ich werde sehen, was ich in der Bibliothek über magische Schlüssel und Schutzzauber finden kann. Vielleicht finde ich auch einen Hinweis darauf, wie der Schlüssel überhaupt wirkt."

„Ich spreche mit Draco," sagte Harry, bevor er sich selbst stoppen konnte. Es war keine Entscheidung, über die er lange nachdenken musste. „Er weiß vielleicht mehr über Pansy und was sie vorhat. Und vielleicht... vielleicht sollten wir auch Blaise direkt ins Vertrauen ziehen."

Ron schwieg und schaute auf die Tasse Tee vor sich. Schließlich nickte er, fast unmerklich. „Ich kann mit Blaise reden," sagte er schließlich, seine Stimme etwas fester. „Aber wir müssen vorsichtig sein. Wenn er denkt, dass wir gegen ihn sind... dann macht er dicht."

Hermine legte ihre Hand kurz auf Rons Arm und warf ihm einen aufmunternden Blick zu. „Das wird er nicht, Ron. Ich bin sicher, dass er weiß, wie wichtig er dir ist."

Harry fühlte sich erleichtert, auch wenn die Last ihrer Aufgabe schwer auf ihm lastete. Während sie sich erhoben und ihre Sachen zusammenpackten, glitt Harrys Blick erneut zum Slytherintisch. Dracos Haltung war aufrecht, sein Gesicht ausdruckslos, aber da war ein Schatten in seinen Augen, der Harry nicht losließ. Es war an der Zeit, endlich Antworten zu bekommen.

Als sie die Große Halle verließen, spürte Harry die Spannung, die noch zwischen ihnen dreien in der Luft lag. Doch Hermine war es, die mit einem leisen Räuspern die Initiative ergriff. „Ron, vielleicht solltest du mit Blaise reden, sobald du kannst. Wenn der Unbrechbare Schwur wirklich verschwunden ist, gibt es keinen Grund mehr, dass er schweigen muss."

Ron nickte, warf aber keinen Blick in Harrys Richtung. „Ich weiß," murmelte er. „Ich rede mit ihm. Vielleicht beim Tee am Nachmittag." Seine Stimme klang angespannt, aber Harry entschied, das Thema nicht weiter anzufassen. Ron hatte genug mit sich selbst zu kämpfen, und Harry wollte ihm Raum geben.

„Und du?" fragte Hermine und sah zu Harry auf. Sie wusste genau, woran er dachte – Draco. Es war fast schon unheimlich, wie gut sie ihn inzwischen lesen konnte. „Wirst du mit Draco sprechen?"

„Ja," antwortete Harry schlicht. Doch innerlich tobte ein Sturm aus Gedanken und Gefühlen. Was sollte er sagen? Draco würde ihm vielleicht nicht einmal zuhören. Aber Harry wusste, dass er es versuchen musste – sie konnten sich keine Geheimnisse mehr leisten.

oooOOOooo

Harry trat in das verlassene Klassenzimmer, sein Herz schlagend wie ein Schlagzeug in einer viel zu schnellen Melodie. Draco stand an einem Schreibtisch, die Hände auf die Kante gestützt, als hätte er sich an der kühlen Oberfläche verankert. Sein blondes Haar war ein wenig zerzaust, und sein Gesicht trug einen Ausdruck, den Harry nicht deuten konnte – weder Abwehr noch Offenheit, sondern etwas dazwischen.

Draco trat vom Tisch weg und ließ die Finger kurz an der Kante verweilen, als würde die Berührung ihm Halt geben. Sein Blick war für einen Moment auf den Boden gerichtet, doch als er schließlich wieder aufsah, war etwas anderes in seinen Augen – etwas Schweres, das Harry nicht sofort einordnen konnte.

„Du willst also über den Schlüssel reden," begann Draco, und seine Stimme klang ruhig, fast sanft. Doch Harry spürte die Spannung dahinter. „Oder geht es dir darum, mehr über Blaise zu erfahren?"

Harry schluckte, der Kloß in seinem Hals schien unerträglich groß. „Beides," gab er schließlich zu, und die Worte fühlten sich schwer an, als würde er sie durch einen Nebel aus Unsicherheit herauszwingen. „Ich muss verstehen, Draco. Ich muss verstehen, warum ihr damals den Zauber gesprochen habt. Und warum du – warum Blaise ihn immer noch hält."

Dracos Lippen verzogen sich zu einem schwachen, beinahe traurigen Lächeln. Er verschränkte die Arme vor der Brust, als wollte er sich vor dem schützen, was er sagen musste. „Harry, das ist nichts, worüber ich gerne rede," begann er leise. „Nicht, weil es peinlich ist, sondern weil es... weil es weh tut."

Harry trat einen Schritt näher, seine Hände zu Fäusten geballt, als hätte er Angst, dass sie sonst zittern würden. „Ich muss es wissen, Draco. Ich muss wissen, wie das alles angefangen hat. Was hat euch dazu gebracht, diesen Zauber zu sprechen?"

Draco atmete tief ein, schloss für einen Moment die Augen und sammelte sich. „Blaise und ich..." Er hielt inne und öffnete die Augen wieder. „Wir waren Kinder. Zwei kleine Jungen, die in großen, leeren Herrenhäusern aufgewachsen sind, mit Eltern, die keine Zeit für uns hatten. Alles, was wir hatten, war der Reichtum, und das war... nichts. Blaise und ich hatten nur uns."

Harry hörte zu, sein Herz wurde schwerer mit jedem Wort. Dracos Stimme klang ruhig, doch die Emotionen, die darunterlagen, waren unüberhörbar.

„Wir klammerten uns aneinander," fuhr Draco fort, seine Augen glitten über den Raum, als würde er sich an eine Zeit erinnern, die genauso weit weg wie nah war. „Wir waren die einzigen, die verstanden, wie es war, allein zu sein, obwohl überall Menschen um uns herum waren. Als Blaise den Vorschlag machte, den Zauber zu sprechen – den Schlüssel des Herzens – dachte ich, es wäre ein Spiel. Etwas, das uns aneinander binden würde. Etwas, das uns beschützen würde."

„Und?" fragte Harry leise, seine Stimme kaum hörbar.

„Und es hat uns beschützt. Für eine Weile," antwortete Draco. „Wir wurden älter, und... irgendwann wurde aus dieser Bindung mehr. Blaise war mein erster..." Er hielt inne und suchte nach den richtigen Worten. „...mein erster Liebhaber. Es war einfach. Wir hatten nichts anderes und niemand anderen."

Harry nickte langsam, die Worte brannten in seinem Kopf. Er spürte den Stich des Neides, tief und schmerzhaft, aber er unterdrückte ihn. Das war Dracos Vergangenheit – und sie war nicht seine Schuld.

„Aber dann?" fragte Harry, seine Stimme zitterte leicht. „Was hat sich verändert?"

Dracos Blick wurde weicher, und sein Gesicht schien für einen Moment weniger von der Last der Vergangenheit gezeichnet. „Wir sind älter geworden," sagte er leise. „Ich habe erkannt, dass ich Blaise nie so geliebt habe, wie er mich vielleicht geliebt hat. Ich habe ihn geliebt, Harry, aber nicht so, wie ich dich liebe. Er war mein Anker, mein Freund – und vielleicht hat ein Teil von mir gehofft, dass das genug wäre. Aber das war es nicht."

Harry fühlte, wie sein Herz schneller schlug, sowohl vor Erleichterung als auch vor Schmerz. „Und jetzt?" fragte er schließlich. „Wie fühlt Blaise jetzt darüber?"

„Ich weiß es nicht," gab Draco ehrlich zu. „Er hält den Schlüssel, weil er nicht loslassen kann. Vielleicht hält er ihn, weil er Angst hat, dass, wenn er ihn loslässt, alles, was wir waren, endgültig verloren ist. Aber Harry..." Draco trat näher an ihn heran, so nah, dass Harry Dracos Atem spüren konnte. „Du musst wissen, dass Blaise und ich Vergangenheit sind. Der Schlüssel bindet uns auf eine Art, die ich mir nie gewünscht habe. Aber mein Herz gehört dir. Jetzt und für immer."

Harry spürte, wie die Worte wie eine Last von seinen Schultern fielen, doch die Sorge um den Schlüssel blieb. „Wir müssen ihn schützen, Draco. Den Schlüssel. Wenn er in die falschen Hände gerät..."

Harry spürte, wie die Anspannung in seinem Körper langsam nachließ, während Dracos Worte in ihm nachhallten. Die schwere Vergangenheit, die Draco geteilt hatte, wog zwar auf seinem Herzen, aber gleichzeitig schuf sie eine Verbindung zwischen ihnen, die tiefer war als jede Magie. Draco hatte sich ihm geöffnet, ihm die Wahrheit gezeigt – und das bedeutete mehr, als Harry in Worte fassen konnte.

„Draco," sagte Harry schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Ich bin froh, dass du mir das erzählt hast. Über Blaise, über den Schlüssel. Alles. Es bedeutet mir mehr, als du ahnst."

Draco nickte leicht, ein schwaches, aber echtes Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Ich wollte es dir schon lange sagen," erwiderte er leise.

Dracos Worte hingen noch immer in der Luft, als Harry langsam nickte. „Ich weiß," sagte Harry schließlich leise. Es bedurfte keiner weiteren Worte. Sie beiden wussten, was passierte wäre, wenn Draco sein Schweigen gebrochen und Harry die Wahrheit gesagt hatte.

„Du hättest sterben können," murmelte er. „So wie du gestern beinahe gestorben bist und trotzdem hast du alles riskiert, indem du mir so viel gezeigt hast, wie du konntest."

Dracos Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln, das nicht die Leichtigkeit trug, die es manchmal hatte. „Ich konnte nicht anders," sagte er schlicht. „Du... du hast mich dazu gebracht, Harry. Mich gezwungen, zu hoffen, dass es vielleicht doch einen Weg gibt, das alles zu überstehen."

Harry trat näher, bis er direkt vor Draco stand. Ihre Blicke verschmolzen, und für einen Moment schien es, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen. „Draco," begann Harry, seine Stimme zitterte leicht. „Ich habe Angst. Nicht vor Voldemort, nicht vor Pansy – sondern davor, dass ich dich verlieren könnte."

Draco hob langsam eine Hand, ließ sie für einen Moment zögern, bevor er Harrys Gesicht berührte. Seine Finger waren kühl, aber ihre Berührung brannte auf Harrys Haut wie ein Zeichen. „Du wirst mich nicht verlieren," sagte Draco leise. „Nicht an Voldemort, nicht an Pansy, nicht an irgendwen. Wir haben schon zu viel verloren, Harry. Aber nicht uns. Uns haben wir gerade erst gefunden."

Ein leises Zittern durchlief Harrys Körper, und bevor er sich zurückhalten konnte, schloss er die Arme um Draco und zog ihn fest an sich. Für einen Moment blieb die Welt stehen, und alles, was zählte, war die Wärme, die sie einander gaben. Draco legte seine Arme um Harry, drückte sein Gesicht in die Kuhle zwischen Harrys Hals und Schulter, und Harry spürte den tiefen Atemzug, den Draco nahm – als wäre dies der einzige Ort, an dem er wirklich atmen konnte.

Langsam lösten sie sich voneinander, und Draco hielt Harrys Gesicht in seinen Händen, seine grauen Augen suchten Harrys grüne. „Wir schaffen das," flüsterte er. „Zusammen."

Harry nickte, seine Stirn lehnte sich kurz an Dracos, während ihre Hände noch immer ineinander verschränkt waren. „Zusammen," wiederholte er, und zum ersten Mal an diesem Tag fühlte er sich sicher.

Ihre Lippen fanden einander in einem zärtlichen, langsamen Kuss, der keine Worte brauchte. Es war ein Versprechen, ein Trost, ein Anker in einem Sturm, der sie noch lange nicht loslassen würde. Als sie sich schließlich lösten, schien der Raum um sie her ein wenig heller, die Schatten weniger drohend.

„Dann lass uns einen Plan machen," sagte Harry schließlich, ein schwaches, aber aufrichtiges Lächeln auf seinen Lippen.

Draco nickte und ließ Harrys Hand langsam los. „Lass uns das tun."

Und damit endete der Tag nicht in Dunkelheit, sondern in einem leisen Licht der Hoffnung, das sie beide fest umklammerten.

Fortsetzung folgt…