„Oh Scheiße!" rief Anna, als Alexandra ihr erzählte, was sie entdeckt hatte, und hielt sich dann beschämt die Hand vor den Mund. Alexandra hätte beinahe gelacht. Das andere Mädchen sprach normalerweise so leise, dass selbst ihre Eule zusammenzuckte, als sie so vulgäre, muggelmäßige Worte sagte.

„Ja", sagte Alexandra. „Das dachte ich mir irgendwie."

Ihr Medaillon lag jetzt auf ihrem Schoß, aber sie hatte fast Angst, es zu öffnen.

„Ich wünschte, mein Vater hätte mir mehr über den Thorn Circle erzählt", sagte Anna. „Ich erinnere mich nur daran, dass er sagte, alle Territorien jagten nach jedem, den sie für Dunkel hielten. Sogar ein Rabenvertrauter konnte dazu führen, dass man verhaftet wurde. Er erwähnte aber nie Namen, und wenn doch, habe ich sie mir nicht gemerkt."

Alexandra nickte, während sie ihr Armband um ihr Handgelenk wickelte. Charlie war aus dem Käfig gekommen und saß auf Alexandras Schulter.

„Also denkst du wirklich, er ist dein Vater?" fragte Anna flüsternd.

„Ich weiß nicht. Warum sonst sollte meine Mutter dieses Medaillon haben? Aber warum sollte der mächtigste Zauberer Amerikas… nun, meine Mutter ist eben eine Muggel."

„Meine Mutter ist auch eine Muggel", bemerkte Anna mit einem leichten Stirnrunzeln.

„Aber wenigstens kennt sie sich in der Zaubererwelt aus. Ich bin mir ziemlich sicher, meine Mutter tut das nicht."

„Bist du sicher? Du hast gesagt, sie hat sich immer geweigert, über deinen Vater zu sprechen…"

Alexandra seufzte. „Ich hab immer noch nichts als Fragen. Und er wird sie nicht beantworten." Sie griff plötzlich nach ihrem Zauberstab, hielt ihr Medaillon in der anderen Hand und deutete darauf. Das Medaillon öffnete sich und Abraham Thorn sah sie an und lächelte.

„Jetzt weiß ich, wer du bist!" sagte Alexandra.

Charlie kreischte und Anna sah plötzlich nervös aus. „Alex, vielleicht solltest du nicht –"

„Abraham Everard Thorn!" sagte Alexandra. „Bist du mein Vater?"

Charlie krächzte und hob mit dunklem Flügelschlag von Alexandras Schulter ab. Abraham Thorn war ihr immer selbstgefällig und distanziert erschienen, wenn sie das Medaillon in der Vergangenheit geöffnet hatte, aber jetzt starrte er sie direkt an, und sie schauderte, als sie das Gefühl hatte, dass er sie diesmal wirklich gehört hatte. Und dann drehte er sich plötzlich um und verließ die Kamee.

Anna schluckte. „Was... wo ist er hingegangen?"

„Ich weiß nicht! Hast du schon einmal gesehen, dass Bilder das tun?"

Anna schüttelte den Kopf. „Zaubererfotos können sich bewegen, aber sie sind immer noch nur Aufnahmen."

„Was ist mit Gemälden, wie Miss Marmsley?"

„Sie sind wie Geister. Ich weiß nicht genau, wie das funktioniert, aber wir haben zu Hause einen Schrein für unsere Vorfahren, und manchmal sprechen sie mit uns. Meine Mutter hasst das." Anna starrte immer noch auf die jetzt leere Kamee und sah ein wenig blass aus. „Aber wenn Du-weißt-schon-wer noch lebt…"

„Nenn ihn nicht so!" fauchte Alexandra. „Er ist kein Dunkler Lord wie dieser Typ in Großbritannien. Und wenn Abraham Thorn mein Vater ist, oder auch nicht, werde ich keine Angst haben, seinen Namen zu verwenden."

Anna schauderte ein wenig und nickte. „Glaubst du, Ms. Grimm weiß es?" fragte sie leise.

Das war ein Gedanke, der Alexandra nicht gekommen war, und sie runzelte nachdenklich die Stirn, als sie das Medaillon schloss.

„Das ist eine gute Frage. Vielleicht sollte ich sie fragen."

Anna warf ihr einen panischen Blick zu.

„Oh, mach dir keine Sorgen, Anna. Ich werd nicht einfach in ihr Büro gehen. Ich muss darüber nachdenken." Sie seufzte. „Sag es niemandem, okay? Nicht einmal David."

Anna nickte. „Du bist vielleicht sicherer, wenn es niemand sonst weiß. Ich weiß nicht, was das Wizard Justice Department [Justizministerium der Zauberer] tun würde, wenn sie herausfinden, dass du... seine Tochter bist."

Dieser Gedanke beunruhigte Alexandra ebenfalls ein wenig. Sie hatte nichts davon gelesen, dass das Sonderinquisitionsamt Elfjährige verhaftete und verhörte, aber Abraham Thorn war immer noch ein gesuchter Mann, und wenn sie nichts von ihr herausfinden konnten, würden sie sicherlich versuchen, Antworten von ihrer Mutter zu bekommen.

„Wenn ich Weihnachten nach Hause komme", sagte sie leise, „soll mir meine Mutter ein paar Antworten geben!"


Es war weniger als ein Monat bis zum Beginn der Weihnachtsferien, aber es war einer der längsten Monate in Alexandras Leben. Sogar die Wochen, die sie damit verbracht hatte, Flure zu putzen, Laub zu harken und Bücher wegzuräumen, waren weniger langweilig gewesen. Es war das Ende des Semesters, also mussten alle für die Abschlussprüfungen lernen, und Alexandra war sich sehr bewusst, dass diese eine Vorbereitung für den SPAWN waren, den sie nach Neujahr ablegen würde.

Die Gerüchte über sie hielten unvermindert an, und da sie wusste, dass sie vielleicht wirklich wahr sein könnten, begann Alexandra, die Rolle zu spielen, warf den Leuten böse Blicke zu und verbrachte viel Zeit draußen mit ihrem Raben auf der Schulter. Die Möglichkeit, dass sie wirklich die Tochter des berüchtigtsten Zauberers des Landes war, hatte sie zunächst schockiert, aber jetzt fühlte sie tief in ihrem Inneren so etwas wie Stolz. Sie war sich nicht sicher, was sie von Abraham Thorn halten sollte. Im besten Fall war er rücksichtslos und ehrgeizig, im schlimmsten böse, und beides machte ihn nicht zu der Art von Vater, den sie sich vorgestellt hatte. Aber einfach nur ein konkretes Bild im Kopf zu haben, wer ihr Vater sein könnte, war mehr als je zuvor, und sie klammerte sich daran.

Manchmal ging ihre Fantasie mit ihr durch: Sie war die Dunkle Königin Alexandra, Tochter des Dunklen Lords Abraham Thorn, die gefürchtete Zauberin, die die Dunkle Konvention befehligte und die Zaubererwelt (und insbesondere Larry Albo und Dekanin Grimm) bei ihrem Namen erzittern ließ.

Die Freude, die sie bei diesen Fantasien empfand, wurde durch ihre Überzeugung gedämpft, dass sie wirklich in Gefahr war. Wenn Ms. Grimm nicht hinter den wiederholten Anschlägen auf ihr Leben steckte, versuchte sie zumindest, sie zu vertuschen. Und Alexandra machte sich mehr Sorgen, als sie zugeben wollte, dass ihr Leben bedroht werden könnte, als sie zugeben wollte. Sie wollte nicht, dass ihre Mutter in Gefahr geriet – oder Archie, auch wenn sie das selbst sich selbst gegenüber kaum zugeben würde.

Alexandra versuchte, ihr Versprechen gegenüber Anna zu halten. Abgesehen von ihrer „dunklen" Haltung benahm sie sich. Sie hatte die Biografie von Abraham Thorn eine Zeit lang aufbewahrt, besonders jetzt, da sie das einzige Bild von ihm enthielt, das sie hatte. Sein Bild war nicht in ihr Medaillon zurückgekehrt; als sie es jetzt öffnete, war das Kamee leer.

Sie fragte Anna, ob es in der Zaubererwelt so etwas wie Fotokopierer gäbe, was zunächst einige Erklärungen erforderte. Anna war einigermaßen vertraut mit der Muggelwelt, aber sie lebte nicht wirklich darin.

„Oh, wie ein Kopierzauber", sagte sie. „Aber die sind schwierig, und selbst wenn man ihn lernen könnte, sind die kopierten Dinge nur vorübergehend."

Schließlich sagte Anna einfach zu Bran und Poe, sie sollten alle drei Bücher an die Bibliotheken zurückschicken, aus denen sie kamen. Die Elfen waren erleichtert, da sie befürchtet hatten, dass Mrs. Minder eine Eule vom Leihverkehr erhalten könnte, wenn jemand anders eines der Bücher anforderte.

Draußen wurde es bitterkalt, aber bisher war noch kein Schnee zu sehen. Charlie verbrachte weniger Zeit im Freien, da er die Wärme von Alexandras Zimmer vorzog, aber sie und ihre Freunde gingen nach der Schule weiterhin über das Gelände und wünschten sich Schnee. Angeführt von Alexandra war es für sie zu einer Art Suche geworden, die Art von absurden und unrealistischen Projekten, die Kinder in Angriff nehmen, wenn sie nach Beschäftigung suchen. Alexandra hatte sogar ein wenig über Wettermagie gelesen, genug, um zu wissen, dass es selbst für erfahrene Meteorologen schwierig war, Schnee heraufzubeschwören. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, es zu versuchen.

Die Kälte bedeutete auch, dass mehr Krähen in den Wäldern rund um die Akademie nisteten. Alexandra wusste aus ihrer Lektüre, dass dies im Winter ein natürliches Verhalten von Krähen war. Aber es schien viele Kinder abends drinnen zu halten, wenn die Krähen über den Himmel schwärmten, um sich in den Zweigen der Bäume niederzulassen.

Eines Abends gab es plötzlich eine Kakophonie aus Kreischen und Krächzen, und eine Wolke von Vögeln brach aus den nächsten Bäumen hervor und flatterte herum, bevor sie in anderen Bäumen in der Nähe landete. Constance und Forbearance erschraken beide und schauten besorgt in den Wald.

„Es ist wahrscheinlich nur eine Eule", sagte Alexandra, und als Anna sie anstarrte, bemerkte sie: „Nun, Eulen fressen Krähen."

„Nicht meine Eule!"

„Wir sollten 'neingehen", sagten Constance und Forbearance gleichzeitig.

„Es sind nur Vögel", sagte Alexandra. „Sie spionieren nicht wirklich für die Dunkle Konvention, ihr wisst schon."

„Natürlich wissen wir das!" fauchte Forbearance.

„Wir sind keine Simpel!" schnaubte Constance. Beide Mädchen wirbelten herum und rafften ihre langen Kleider, während sie zurück zur Akademie marschierten.

Alexandra, Anna und David tauschten verblüffte Blicke. Keiner von ihnen hatte die Pritchard-Zwillinge je zuvor die Fassung verlieren sehen. Dann rannte Alexandra los, um sie einzuholen.

„Hey!" keuchte sie und ließ Nebelschwaden in der eisigen Luft aufsteigen. „Ich glaube nicht, dass ihr Simpel seid!"

Die Ozarker blieben stehen und sahen sich an.

„War das eine Entschuldigung?" wollte Constance wissen.

Alexandra scharrte mit den Füßen. „Okay", sagte sie. „Es tut mir leid."

„Ozarker sind nicht dumm", sagte Constance.

„Wir sind nicht abergläubig –"

„– närrisch –"

„– ungeschult –"

„– ignorant –"

„Hey!" unterbrach Alexandra. „Sowas hab ich nie gesagt! Wovon redet ihr? Die halbe Schule denkt, ich bin Dunkel, nur wegen meinem Raben!"

„Und die halbe Schule denkt, wir sind dumm wie die Gänse!" sagte Constance.

„Mit Köpfen voll Stroh!"

„Wir wissen nichts von der Welt!"

„Und werden alles glauben, was man uns erzählt!"

Anna und David holten Alexandra ein, während sie da stand und die Pritchards anblinzelte.

„Das haben die Leute über euch gesagt?" fragte sie.

„Ich schätze, dir ist das nicht aufgefallen", sagte Constance.

„Seitdem du dich über deinen eigenen Namen grämen musst", fügte Forbearance etwas scharf hinzu.

„Es tut mir leid", sagte Alexandra erneut und stieß einen weiteren dampfenden Atemzug aus, und diesmal meinte sie es ernst.

„Wir sind fast so ziemlich die einzigen Ozarker in der Schule", sagte Constance. „Außer Benjamin und Mordecai."

„Und wir kommen aus dem entferntesten Thal." Auf Englisch hatte sie „holler" statt „hollow" gesagt.

„Kommt schon, Alex hat euch nicht verulkt", sagte David, und sie empfand einen Anflug von Dankbarkeit ihm gegenüber.

Anna nickte. „Jeder glaubt diese Sachen über Raben und Krähen, und du… nun ja, ihr saht wirklich verängstigt aus."

Die Zwillinge sahen sich an.

„Vielleicht haben uns die Krähen doch verstört", sagte Constance.

„Ein wenig", gab Forbearance zu.

Sie schauten nach unten. „Es ist hier nicht einfach gewesen", murmelte Constance.

„Manchmal wünschten wir, wir wären in unserem Thal geblieben", stimmte Forbearance zu.

„Wir vermissen unsere Magschaft."

„Wir haben alle Heimweh", sagte David. Dieses Eingeständnis überraschte Alexandra ein wenig, da David nicht so aussah, als hätte er Heimweh und im Allgemeinen ziemlich glücklich schien, in Charmbridge zu sein, wenn er nicht gerade gegen die Elfensklaverei protestierte. Anna nickte heftig und sie sahen Alexandra erwartungsvoll an, aber sie konnte sich nicht dazu durchringen, mehr zu tun, als mit den Schultern zu zucken. „Glaub' ich."

Alle verdrehten die Augen. „Was?" wollte sie wissen, als sie ihnen hinein folgte.

Sie saßen alle vor dem Feuer, das an diesem Abend im Aufenthaltsraum der Sechstklässler angezündet worden war. Constance und Forbearance pflegten abends normalerweise keine Zeit mit ihnen zu verbringen. Alexandra wurde ein wenig schuldbewusst klar, dass sie die Pritchards nicht wirklich gut kennengelernt hatte, obwohl Ms. Grimm sie zu ihren Freunden gezählt hatte, die für ihr Fehlverhalten bestraft werden würden.

„Es ist nicht meine Schuld, dass sich alle Sachen über mich ausdenken!" beharrte Alexandra. Ein knallendes Geräusch kam aus dem Feuer, als Kinder magische Pfannen in die Flammen stießen und sie schüttelten, um endlose Haufen Popcorn zu erzeugen.

„Na ja, du… ermutigst es irgendwie", sagte Anna zögernd. Alexandra sah sie an.

„Komm schon, du weißt, dass es wahr ist, Alex", sagte David.

Sogar die Pritchards stimmten zu.

„Manchmal", sagte Constance, „du und dein Rabe…"

„Ihr putzt euch beide heraus", beendete Forbearance.

Alexandra starrte. „Tu' ich nicht!"

„Das tust du so sehr", sagte Anna.

„Du tust das voll", sagte David.

Alexandra lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und schmollte ein wenig.

„Nimm was Popcorn", sagte David und schob ihr eine Pfanne hin. Sie schwebte vor ihr in der Luft. Sie nahm eine Handvoll und knabberte daran, während die anderen über ihre Pläne für die Weihnachtsferien sprachen.

„Die Automagicka kommt nicht näher als hundert Meilen an unser Thal heran", sagte Constance.

„Der Charmbridge-Bus wird uns am Rande der Ozarks absetzen."

„Unser ältester Bruder wird uns abholen, meinen wir."

„Dann werden wir nachts fliegen müssen."

„Ihr habt einen älteren Bruder?" Wieder wurde Alexandra nach dieser Frage klar, dass es eine dumme Frage war und wie wenig sie über sie wusste.

„Wir haben drei ältere Brüder", sagte Constance.

„Und zwei ältere Schwestern", sagte Forbearance.

„Und zwei jüngere Schwestern."

„Und einen kleinen Bruder."

Annas Augen weiteten sich. „Zehn Kinder?" Wie Alexandra war sie ein Einzelkind und konnte sich nicht vorstellen, eine so große Familie zu haben.

„Das ist unter Ozarkern nicht unüblich", sagte Constance.

„Also plant ihr beide, eines Tages so viele Kinder zu haben?" fragte David.

„David!" Anna schnappte nach Luft, als die Ozarker-Mädchen erröteten.

„Was sein wird", murmelte Forbearance.

„Wird sein", murmelte Constance.

Alexandra runzelte die Stirn. „Eure Geschwister gehen alle nicht nach Charmbridge?"

Die Mädchen schüttelten den Kopf. „Wir sind die Ersten."

„Die meisten Ozarker werden zu Hause unterrichtet."

„Warum haben eure Eltern euch dann hierhin geschickt?" fragte Alexandra.

„Unsere Eltern dachten, dass eine formelle Schulbildung uns verfeinern könnte."

„Die Zeiten ändern sich schließlich."

„Also haben wir die Aufnahmeprüfungen abgelegt."

„Ma und Pa waren so stolz, als die Eule aus Charmbridge kam!"

Anna nickte. „Meine Eltern ließen mich mich an allen vier großen Schulen bewerben, aber ich war wirklich glücklich, dass ich in Charmbridge angenommen wurde."

„Ich bin nichtmal geprüft worden", sagte Alexandra. „Ms. Grimm sagte, mein Name ist einfach auf einer Schriftrolle im Registerbüro aufgetaucht."

„Meiner auch", gähnte David.

Und da kam Alexandra plötzlich ein Gedanke, ein so unerwarteter, überraschender und aufregender Gedanke, dass sie aufsprang und Popcorn durch den Raum fliegen ließ.

„Hey!" brummelte David, strich sich die Körner aus dem Haar und setzte sich auf.

„Die Register-Schriftrolle!" sagte Alexandra. Dann hockte sie sich wieder hin und senkte ihre Stimme, während die anderen Kinder sie anstarrten.

„Was ist damit?" fragte Anna.

„Wie funktioniert sie? Ich meine, woher weiß sie, wer du bist?"

Die anderen sahen sich alle an und zuckten mit den Schultern.

„Ich weiß nicht", sagte Anna. „Es ist Magie."

„Die Infos sind wahrscheinlich vom Wizard Census Office" [Zensusamt der Zauberer], sagte David.

Alexandra dachte angestrengt nach. Sie erinnerte sich, dass Darla etwas von einer Volkszählung erwähnt hatte.

„Heißt das, da steht der Name, mit dem man geboren wird?"

Jetzt sahen sie sie sehr seltsam an – außer Anna, deren Augen weit aufgerissen waren.

„Klar", sagte David. „Welcher sonst?"

Sie konnte es den anderen nicht erklären, aber als sie an diesem Abend in ihr Zimmer zurückkehrten, fragte Anna sie sofort: „Glaubst du, dass du dort unter dem Namen deines Vaters eingetragen sein könntest?"

„Kriegen Kinder nicht normal den Nachnamen von ihrem Vater?" fragte Alexandra. „Besonders, wo die Zaubererwelt irgendwie…"

„Altmodisch ist?" schlug Anna vor.

„Ja."

„Aber wie kannst du das rauskriegen? Ich glaub nicht, dass du einfach hingehen und fragen kannst, ob du die Register-Schriftrolle sehen kannst."

Dann wurde Alexandra von einer weiteren Erkenntnis getroffen. „Wenn ich dort unter dem Namen meines Vaters stehe", sagte sie, „dann hat Ms. Grimm es gesehen."

Sie und Anna starrten einander an.

„Aber", sagte Anna langsam, „das sagt uns immer noch nicht, warum Ms. Grimm dich töten wollte. Und wir wissen nichts. Du bist vielleicht nicht Abraham Thorns Tochter. Und selbst wenn, könnte es auf der Registerrolle anders stehen."

„Nein", stimmte Alexandra zu. „Aber irgendwie werde ich es herausfinden."


Alexandra hatte vor den Weihnachtsferien nicht viele Gelegenheiten, das Registerbüro aufzusuchen. In dieser Woche hatten sie Abschlussprüfungen. Anna lernte ununterbrochen, und obwohl Alexandra nicht ganz so eifrig war, war sie so beschäftigt, dass ihr bis zum Ende des Semesters keine bessere Idee eingefallen war, als einfach ins Büro der Dekanin zu marschieren und Antworten zu verlangen. Sie glaubte nicht, dass das sehr gut gehen würde, also beschloss sie, es zumindest zuerst bei ihrer Mutter zu versuchen. Claudia Green konnte wütend werden, aber sie konnte ihre Tochter nicht zur Ratte machen.

Alexandra schnitt bei ihren Tests gut ab und war zuversichtlich, dass sie nach Weihnachten beweisen würde, dass sie keinen Förderunterricht mehr brauchte.

Anna schnitt bei ihren Tests fast perfekt ab, war aber fast nicht gut genug. Alexandra verbrachte einen Abend damit, ihre Mitbewohnerin zu beruhigen, dass ihr Vater sie nicht zwingen würde, in San Francisco zu bleiben und eine traditionelle chinesische Tagesschule zu besuchen, nur weil ihr Notendurchschnitt bloß 97,3% betrug.

„Wenigstens kannst du deinen Eltern sagen, was deine Noten bedeuten", sagte sie. Das hatte nicht den gewünschten Effekt; Anna umklammerte nur ihre enttäuschenden Testergebnisse und jammerte. Ihre Eule schrie mitfühlend mit ihr.

Abgesehen von ihren perfektionistischen Ängsten freute sich Anna darauf, zu den Feiertagen nach Hause zu kommen. Das tat Alexandra auch, wenn auch nicht aus denselben Gründen. Sie war entschlossen, ihre Mutter in die Enge zu treiben und ein unvermeidliches Gespräch über ihren Vater zu führen.

Am Morgen ihrer Abreise von der Schule gab Anna Alexandra ein ordentlich verpacktes Paket. „Mach es erst zu Weihnachten auf", sagte sie und fügte dann hinzu: „Ich hätte es dir von zu Hause geschickt, aber Jingwei ist noch nicht groß genug, um so weit zu fliegen." Ihr Virginia-Uhu wurde groß, fast zu groß für seinen Käfig, aber er war noch ein Heranwachsender.

Alexandra nahm das Geschenk entgegen und wurde langsam rot, während Anna begann, einen Stapel anderer Pakete auf ihrem Schreibtisch zu ordnen.

„Komm, lass uns die anderen suchen und Geschenke austauschen." Dann bemerkte sie Alexandras rotes Gesicht.

„Du hast ihnen nichts mitgebracht, oder?" sagte sie seufzend.

„Na ja, ich hatte ja keine Chance, einkaufen zu gehen", verteidigte sich Alexandra.

Anna sah ein wenig enttäuscht aus, versuchte aber, sie zu beruhigen. „Es ist schon in Ordnung. Nicht alle bestellen Dinge per Eulenpost oder lassen sich etwas von zu Hause schicken."

Natürlich hatte Anna vorausgedacht und genau das getan, womit sie Alexandra sich noch schlechter fühlen ließ.

„Ich schick dir was, wirklich!" versprach sie.

Anna lächelte. „Raben sind nicht sehr gut darin, Dinge auszuliefern", sagte sie. „Sie sind zu stolz." Charlie krächzte zustimmend und stieß dann ein pfeifendes Geräusch aus, das Annas Eule fast perfekt imitierte, nur dass der Ton etwas spöttisch war.

„Ich kann es per normaler Post schicken, wenn du mir deine Adresse gibst."

Anna sah zweifelnd aus. „Muggelpost? Na gut. Aber mach dir wirklich keine Sorgen."

Wie sich herausstellte, hatten nur Darla und Angelique Geschenke zum Verteilen bereit. Auch David wollte ihre Postanschrift haben, damit er etwas verschicken konnte, aber Darla und Angelique waren sich ihrer nicht sicher, und die Pritchards waren sich sicher, dass die Muggelpost nicht wusste, wo sie wohnten.

„Es ist der Gedanke, der zählt", sagte Forbearance unbekümmert.

„Dieser ganze Zauberkram macht mich manchmal immer noch fertig", gestand David Alexandra gegenüber, als sie sich alle der großen Gruppe von Kindern anschlossen, die aus der Akademie strömten. Alexandra nickte zustimmend.

Die Schüler hatten die Akademie den ganzen Morgen über stufenweise verlassen und würden dies auch den ganzen Tag über tun; selbst mit seinem magisch vergrößerten Innenraum konnte der Kleinbus nicht alle Schüler auf einmal befördern. Die abreisenden Kinder wurden also nach Zielort gruppiert, und Anna, David und Alexandra mussten sich von Constance und Forbearance verabschieden, bevor sie das Schulgelände verließen, da die Ozarker-Mädchen erst am Abend zu ihrem entfernten Ausstiegsort gebracht werden würden.

Anders als bei ihrer Ankunft mussten sie nicht all ihre Sachen zur Bushaltestelle auf der anderen Seite des Tals zurücktragen. Mr. Journey und einige andere Lehrkräfte transportierten die größeren Koffer, Kisten und Taschen auf einem sehr großen fliegenden Teppich. „Auf der andern Seite wartet alles auf euch!" versicherte ihnen Journey.

„Wünschte, wir könnten auf dem Teppich mitfliegen", sagte David.

Alexandra konnte sehen, dass er nervöser war, als er zugeben wollte, als er über die Unsichtbare Brücke zurückging. Sie trug Charlies Käfig bei sich und ließ die Tür aus Sicherheitsgründen unverriegelt.

Der Wald war dicht und unberührt, und das Knistern und Rascheln der Blätter unter den Füßen war fast ohrenbetäubend, als die Schüler den Pfad entlangstapften, der seit Beginn des Schuljahres kaum begangen worden war. Es war kalt, und alle waren in dicke Mäntel, pelzgefütterte Roben, Schals und Fäustlinge gehüllt. Ihr kondensierter Atem breitete sich wie eine kleine Nebelbank aus. Doch als sich die Reihe der Schüler aus dem Wald und zum Rand des großen Tals schlängelte, das die Charmbridge Academy von der Muggelwelt trennte, bemerkte Alexandra, dass sich fast alle von ihr entfernten. Nur David und Anna blieben in ihrer Nähe. Sogar Darla und Angelique trennten sich und führten ein ziemlich gezwungenes Gespräch, als wollten sie so tun, als hätten sie nicht bemerkt, dass sie jetzt mit den anderen Schülern zusammen waren, die zögerten, die Brücke mit dem „verfluchten" Mädchen zu überqueren, das beim letzten Mal fast zu Tode gestürzt wäre.

„Ihr könnt auch schon weitergehen", sagte Alexandra zu den anderen beiden. „Echt. Es macht mir nichts aus und ich werd euch keine Vorwürfe machen."

„Sei nicht albern." Anna sah tatsächlich beleidigt aus. „Dekanin Grimm würde nicht zulassen, dass noch ein Unfall passiert." Und sie nahm tatsächlich Alexandras Hand und sagte: „Komm schon."

David schluckte und schien einen kurzen Moment zu beten, bevor er die Unsichtbare Brücke betrat.

Alexandras Herz schlug etwas schneller, als sie auf das Tal tief unter ihren Füßen hinabblickte. Beim letzten Mal war es üppig grün gewesen. Jetzt war alles braun und gelb, und der Fluss war eisig und mehr als halb zugefroren. Es würde eine sehr, sehr kalte, harte Landung werden, dachte sie und versuchte dann, diesen Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Natürlich würden sie nicht fallen. Sie konnte fühlen, wie Anna ihre Hand fest drückte, und war sich nicht sicher, ob das andere Mädchen versuchte, sie zu beruhigen oder selbst Angst hatte.

„Mach dir keine Sorgen", scherzte sie. „Charlie wird uns retten, wenn etwas passiert."

Charlie gab ein Geräusch von sich, das fast wie ein Lachen klang, und David antwortete mit einem eigenen bellenden Lachen. Anna lächelte nur angespannt.

„Verdammt", sagte Larry laut aus einer Schar älterer Schüler heraus, als Alexandra auf die andere Seite trat. Seine Freunde reagierten mit Gelächter, aber Alexandra verdrehte nur die Augen. David und Anna atmeten beide in langen, erleichterten Ausatmungen aus, die die Luft vernebelten.

An Bord des Kleinbusses saßen Darla und Angelique bei ihnen, als wäre nichts geschehen, und Alexandra tat so, als hätte sie es nicht bemerkt. Angelique hatte Honey in ihrem Käfig, aber der Jarvey döste friedlich. Mrs. Speaks hatte ihr gesagt, dass jeder Ausbruch von Unanständigkeit dazu führen würde, dass ihr Vertrauter in den Gepäckraum unter dem Bus gestopft würde, also hatte Angelique einen Schlaftrunk in Honeys Wasser gegossen. Annas Eule Jingwei schaute ständig in den Käfig des Jarveys, was Angelique zutiefst beunruhigte.

Darla, Angelique und Anna fuhren nur bis Chicago. Darla lebte in der Gegend von Chicago, und Anna und Angelique würden mit dem Wizardrail nach Hause fahren, nach San Francisco bzw. Louisiana. Darla redete wie üblich am meisten, prahlte damit, dass ihre Familie zu Weihnachten zum Nordpol fahren würde, und mit den Geschenken, die sie erwartete. David versuchte, Malcolm zu beruhigen, und Alexandra und Anna schickten sich Zettel hin und her, tauschten Adressen und Ideen aus, wie sie mehr über ihren Vater herausfinden könnten.

Als sie in Chicago vor der Wizardrail-Station ankamen, stiegen Darla und Angelique zusammen mit den meisten anderen Kindern im Bus aus. Alexandra verabschiedete sich höflich von ihnen, war aber ziemlich erleichtert, dass sie Darlas Geplapper für den Rest der Reise nicht mehr hören musste. Aber sie wurde ernster, als sie sich zu Anna umdrehte.

„Ich werde dich vermissen", sagte Anna.

„Ich werd dich auch vermissen. Ich werd dir was schicken, ehrlich."

„Das musst du nicht."

„Doch! Ich mein's ernst."

Anna lachte und umarmte sie. „Frohe Weihnachten, Alex."

„Frohe Weihnachten, Anna."

Anna drehte sich zu David um und umarmte ihn nach kurzem Zögern ebenfalls. Er wirkte unbehaglich und verlegen und umarmte sie unbeholfen zurück. „Warum müssen Mädchen immer so knuddelmäßig sein? Wir sehn uns in ein paar Wochen doch eh wieder!"

„Frohe Weihnachten, David." Anna grinste ihn an und stieg dann zusammen mit den anderen aus dem Bus. Alexandra beobachtete das kleine Mädchen, wie sie ihren riesigen Eulenkäfig die Stufen zu einem altmodischen hölzernen Bahnsteig hinaufschleppte, auf dem handgemalte Schilder Abfahrten nach Alta California, Arcadia, New Amsterdam und New Orleans anzeigten. Anna drehte sich um, um zum Abschied zu winken, und dann setzte sich der Bus in Bewegung, und die Wizardrail-Station verschwand hinter ihnen.

Alexandra und David spielten Go Fish und Magisches Damespiel, bis sie Detroit erreichten und David an der Reihe war, auszusteigen.

„Ich umarm' dich nicht", sagte er.

Sie grinste. „In ein paar Jahren wirst du dir wünschen, dass Mädchen dich umarmen."

Er verdrehte die Augen. „Frohe Weihnachten, Alex. Mach kein' Stress."

„Du auch nicht."

Und dann stieg David aus, und Alexandra war für den Rest der Fahrt nach Larkin Mills allein.