Kapitel 70 - Oscar

Weißer Schnee lag überall wie eine weiße Decke, die Sonne schien am wolkenlosen Himmel wie eine kalte Scheibe und ließ die Schneekristalle wie Diamanten glänzen. Das war der Tag, an dem François, den sie eigentlich Jean genannt hatten, geboren wurde. In einem Dorf, das nur aus wenigen Häusern und einer kleinen Kirche bestand. Eine nette Familie hatte sie in ihrem Wirtshaus aufgenommen und sogar eine Hebamme herbeigerufen. Oscar erinnerte sich an keinen Namen und auch die Gesichter dieser Menschen gerieten mit den Jahren in Vergessenheit. Nur ihr Sohn zählte, der an diesem verschneiten Tag das Licht der Welt erblickt hatte. Liebevoll hielt Oscar ihn in ihren Armen und betrachtete stolz das pausbäckige Gesichtchen. „Mein Sonnenschein...", flüsterte sie gerührt und ihre Wimpern glänzten feucht vor anlaufenden Freudentränen. Die Tortur nach der Geburt war gut überstanden und die Schmerzen existierten auch nicht mehr. Nur das hier und jetzt zählte.

Er ist wunderschön, meine Liebe.", hörte sie André sagen und hob ihren Blick zu ihm. Er saß bei ihr, auf der Kante des Bettes und lächelte sie sanft an. Ihr Brustkorb zog sich schmerzlich zusammen. Das war ein sehr schöner Traum – im Gegensatz zu der trostlosen Realität. Wo bist du, mein André, wollte sie wissen, aber kein Wort kam über ihre Lippen. Ein dicker Kloß in ihrem Hals hinderte sie am Sprechen. Sie sah ihren Geliebten nur an und wagte sich nicht zu bewegen. So, als hätte sie Angst, dass ihr André wieder verschwinden würde und mit ihm auch der schöne Traum. Das wollte Oscar nicht. Sie wollte nicht in die Realität zurückkehren, wo ihr (geheimer) geheimes Familienglück auseinander brach. Plötzlich bemerkte sie Bewegungen im Zimmer.

Die Hebamme und ihre Gehilfin, die ihr bei der Geburt von François geholfen hatten, brachten ein wimmerndes Bündel weg. Da (er) es in einer Wolldecke gewickelt war, konnte sie nichts erkennen. André sah den beiden Frauen nach und runzelte auf einmal die Stirn. Oscar gefiel das nicht und sie bekam ein mulmiges Gefühl. „Was ist passiert?", fand sie ihre Stimme wieder. André beachtete sie nicht. Er stand von der Bettkante auf und folgte den beiden Frauen. Oscar erschrak. Ihr Geliebter wollte sie jetzt verlassen? Schon wieder? Ähnlich wie in der Realität? Warum passierte ihr das auch im Traum? „Wo willst du hin?", rief Oscar ihrem Geliebten besorgt nach.

André blieb kurz stehen, aber er drehte sich nicht um. Seine Haltung war angespannt und seine Stimme klang rau. „Verstehst du das nicht, Oscar? Sie wollen uns unseren Sohn nehmen und ich will ihn zurückholen!"

Das verstand Oscar in der Tat nicht und war über die Bitterkeit in seiner Stimme sehr verwundert. Die Worte von Augustin kamen ihr in den Sinn und sie schüttelte ungläubig den Kopf. Nein, ihr einziger und wahrer Sohn schlief gerade selig in ihren Armen! Oscar streckte ihre Arme mit François zu André, um ihm genau das zu beweisen. „Aber (unsere) unser Sohn ist doch hier! Schau selbst!"

André drehte sich langsam um und schaute Oscar beinahe vorwurfsvoll an. „Augustin gehört auch zu uns, wir sind seine Familie und müssen ihn deshalb zurückholen."

Seine Worte und der vorwurfsvolle Blick schnitten (tief in ihr Herz) wie ein scharfes Messer (ein) tief in ihr Herz. Als wäre das alles nicht genug, begann André sich in der Luft aufzulösen und mit ihm auch der Traum. Oscar fand sich im nächsten Augenblick ganz alleine in der Dunkelheit. Keinen André, keinen François, nur sie und ihr gebrochenes Herz. „André, komm zurück!", schrie sie, aber bekam keine Antwort.

„André..." Oscar schreckte aus ihrem Traum hoch und musste feststellen, dass sie am Bett von François eingeschlafen war. (Der) Das Morgengrauen breitete sich im Zimmer vollständig aus und vertrieb endgültig den merkwürdigen Traum. Oscar hielt die Hand ihres Sohnes und sah mit (freudigen) freudigem Herzklopfen, wie er seine Augen öffnete. „Guten Morgen, wie fühlst du dich?"

„Mutter..." François hatte große Schmerzen und nicht nur an seiner Wunde (im) in der Schulter. Er hatte von Augustin geträumt und wie er mit seiner Mutter gestritten hatte. Das war ähnlich wie damals, als er noch ein kleines Kind war und geträumt hatte, wie Armand und Georges ihn bis zur Unkenntlichkeit schlugen. Und jetzt spürte er den seelischen Schmerz und zerrissenes Herz (meinst du den Schmerz der zerrissenen Herzens oder das zerrissene Herz an sich?)seines Zwillingsbruders am eigenen (Leibe) Leib genauso wie an jenem verregneten Nachmittag vor vielen Jahren. François wollte aufsitzen, um nach Augustin zu sehen, aber fand nicht die Kraft dazu. Ihm entwich nur ein (zischendes) zischender Schmerzenslaut.

Oscar drückte ihn sanft in die Kissen zurück. „Du musst liegen bleiben, mein Sohn. Du darfst dich nicht überanstrengen, sonst wird die Wunde nicht schnell verheilen können. Das hat auch Doktor Lasonne gesagt."

Das Gefühl, als wäre ihm etwas Wichtigeres genommen worden, verstärkte sich. François öffnete den Mund, er musste unbedingt seinen Bruder sehen! „Augustin... Wo... wo ist er?", krächzte er mit vor Schmerz verzogenem Gesicht.

Augustin? Ihr Sohn fragte an erster Stelle nach diesem fremden Jungen, wegen dem er eigentlich angeschossen wurde? Warum nur? François sollte (an) in erster Linie an sich und seiner Genesung denken! „Dein Vater ist leider noch nicht gefunden worden, wir werden ihn finden, das verspreche ich dir." Oscar strich ihm sachte durch das Haar, an der Schläfe und der Wange.

Vater? Aber er wusste doch, dass sein Vater noch verschollen war. Warum (verschweigt) schwieg seine Mutter (ihm) über Augustin? Oder war das kein Traum, (sie) hatte sie sich mit ihm wirklich gestritten und ihn vor (der) die Tür gesetzt? Schon alleine daran zu denken, erschreckte François sehr. „Und Augustin... Wo ist mein Bruder? Ich spüre sein Leid, seinen Schmerz... Ich muss bei ihm sein..."

„François..." Oscar war fassungslos von der Bitterkeit und dem vorwurfsvollen Unterton in der (Stimmer) Stimme ihres Sohnes. Er klang genauso wie André in ihrem Traum und sah sie genauso an, wie Marguerite gestern. Du bist gemein, (Mamma) Mama(!), hatte ihre Tochter ihr vorgeworfen und war dann hinter Augustin her gerannt. Ihre Stimme (halte) hallte noch immer in ihrem Kopf. Und seit gestern sprach Marguerite nicht mehr mit ihrer Mutter. Heute hatte Oscar sie noch nicht gesehen, aber sie bezweifelte, dass sich etwas (im) am Verhalten ihrer Tochter ändern würde. Das Mädchen war genauso ein Sturkopf wie ihre Eltern. Augustin schien ihre Kinder vollkommen auf (seiner) seine Seite gezogen zu haben, sodass es auch bei François danach aussah, als würde auch er sich von seiner (eigener) eigenen Mutter abwenden. Nein, nicht auch noch ihr kleiner Sonnenschein! Das durfte auf gar keinen Fall passieren! Sie liebte ihre Kinder über Alles und würde nicht zulassen, dass irgendein fremder Knabe sie ihr wegnahm! Oscar schluckte mehrmals, um ihre Stimmbänder zu ordnen und ihrem Sohn die Augen bezüglich Augustin zu öffnen. Dabei drückte sie seine Hand etwas fester. „François, hör zu. Augustin hat zugelassen, dass du angeschossen wurdest und als Strafe(,) habe ich ihn aus dem Haus verbannt. Er verdient keinen Platz mehr in unserer Familie..."

„Was hast du getan?" François wollte seine Hand aus der von seiner Mutter entreißen, aber der Druck ihrer Finger war stärker. Dann war es doch (keinen) kein Traum! Seine Mutter hatte ihren eigenen Sohn vor (der) die Tür gesetzt! Nun gut, sie wusste nicht, dass Augustin auch ihr Sohn war, aber das rechtfertigte ihre Tat trotzdem nicht! „Warum Mutter? Augustin gehört doch zu uns... Wir sind seine Familie... Bitte, Mutter, bring ihn zurück...", brachte François mit krächzender Stimme aus und ignorierte (sein) seinen pochenden Schmerz in der Schulter.

Das war alles nicht zu fassen! „Nein, mein Sohn. Im Gegensatz zu dir(,) ist Augustin wirklich ein Findelkind und obwohl wir ihn aufgenommen und in (unseren) unsere Herzen gelassen haben, musste er fort. Er hat uns alle enttäuscht."

Enttäuscht? Nein, Augustin hatte niemanden enttäuscht. Im Gegenteil. Er war seit seiner Geburt der Leidtragende und wurde von seinem eigenen Großvater in ein Lügenspiel gezwungen, was eigentlich nicht sein sollte. Es war nicht sein Verschulden, dass seine Eltern ihn in dem einen Dorf zurückließen, ohne von seiner Existenz zu ahnen. Vielleicht würde es besser sein, die Wahrheit zu offenbaren? François schloss die Augen und drehte seinen Kopf von Oscar weg. „Bitte, Mutter, Augustin braucht uns... Er ist mein Bruder... Wir sind zwei Hälften eines (Ganzes) Ganzen... Wenn er leidet, leide ich auch... Und wenn ihm etwas passiert, dann werde ich das nicht verkraften..." Er tat so, als würde er einschlafen, aber in Wirklichkeit versteckte er seine (Träne) Tränen der Enttäuschung und des (Schmerz) Schmerzes vor seiner Mutter.

François bezeichnete Augustin schon als seinen Bruder? Und ihr Sohn würde leiden, wenn auch sein Freund litt? Oscar bekam auf einmal ein schlechtes Gewissen. Hatte sie wirklich richtig gehandelt? Ja, sagte ihr eine Stimme. Zum Wohle ihres Sohnes und damit Augustin kein weiteres Unglück in ihre Familie (bringt) brachte. Dennoch zerriss ihr mütterliches Herz, ihren Sohn so leidend zu sehen. Vielleicht sollte sie doch Augustin ausfindig machen? Und wenn François wieder gesund (sein würde) wäre, dann (kann) konnte Augustin wieder gehen. Das wäre eine gute Alternative, um François und ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Oscar ließ die Hand ihres Sohnes (Was ließ sie? Ließ sie sie „los" oder „sinken" o.ä.? Es fehlt ein Wort)und stand auf. „Ich schaue, was ich machen kann." Sie verließ sein Zimmer und ging in die Küche, um dort schnell etwas zu essen und dann in die Kaserne aufzubrechen. Vielleicht war der Junge dort? Obwohl sie ihn von seinem Dienst suspendiert hatte, könnte er ja dort übernachtet haben. Immerhin war Alain so (etwa) etwas wie ein Freund von ihm. So dachte Oscar, während sie nach dem kurzen Frühstück eilends nach Paris aufbrach.

Augustin verließ gerade das Jagdhaus, als seine Mutter auf ihrem weißen Pferd an dem See vorbei ritt. Sie hatte ihn von der Straße und beim schnellen Ritt nicht einmal bemerkt. Augustin seufzte schwer und begann sein Pferd zu satteln. Dabei spürte er ein brennendes Gefühl in seiner Schulter, bittere Enttäuschung und ein quälendes Herz. Das waren aber nicht seine Empfindungen. „François...", murmelte er. „Bist du schon aufgewacht? Und hast du schon erfahren, was Mutter getan hat?" Ja, das würde es wohl sein, denn er spürte es. Augustin stieg auf sein Pferd und ritt weiter nach Paris. Zu Anna in das Dorf wollte er wegen Armand nicht. Dann blieb nur Alain übrig. Allerdings in die Kaserne (dürfte) durfte er auch nicht mehr. Zumal seine Mutter bereits auf dem Weg dorthin war. Also müsste es eine andere Möglichkeit geben. Die eine Geliebte in Paris fiel Augustin ein und er ritt zu ihrem Haus, wo er sie zusammen mit Alain gesehen hatte. Er band das Pferd an einem Pfosten draußen an und klopfte an der Tür. Eine junge Frau, etwa an die dreißig Jahre alt, öffnete ihm die Tür. „Seid Ihr Madame Constance?", fragte er höflich.

Die Frau nickte und wunderte sich sogleich. „Ja, so heiße ich. Was möchtest du von mir?"

Sie besaß eine nette Stimme und ein hübsches Äußeres. Kein Wunder, dass Alain sogar seine Pflichten als Soldat abbrach und sie in der einen oder anderen Nacht unerlaubt besuchte. Wie in der Nacht des Verschwindens von André, zum Beispiel... „Ich suche nach meinem Vater, er wird seit einer Woche vermisst. Mein Name ist Jean Augustin Grandier de Jarjayes und ich möchte zu Alain de Soisson. Er ist der Vater meiner Freundin Anna und ein Freund von André Grandier. Alain war vor einer Woche bei Euch, als mein..." weiter kam Augustin nicht. Aus dem Haus ertönte schmerzverzerrtes Stöhnen eines Mannes. „Oscar, bitte nicht! Bitte heirate nicht, tue uns das nicht an..."

Augustin wurde sogleich hellhörig und eine gewisse Vorfreude stieg in ihm hoch. „Aber das ist doch die Stimme meines Vaters!" Er musste diesen Mann sehen und sich selbst überzeugen! Augustin vergaß augenblicklich alle Regeln der Höflichkeit und des Anstandes. Er schob sich an Constance schnell vorbei und rannte in (ein) einen Raum, (woher) aus dem die Stimme zu hören war. Auf dem Bett lag in der Tat sein Vater mit großem Verband um seinen Oberkörper. Alte und vertrocknete Blutflecken verzierten manche Stellen des rauen Leinenstoffes und deuteten darauf hin, dass der Mann schwere Verletzungen darunter hatte. Augustin erstarrte (zur) zu einer Säule, sein Herz klopfte heftig und seine Vorfreude verwandelte sich in Bestürzung. Wenn das wirklich das Handwerk von Georges war, dann würde er dafür bezahlen, schwor Augustin mit knirschenden Zähnen und ballte angespannt seine Hände zu Fäusten. Er hörte Schritte und das Rascheln der Röcke hinter sich, aber drehte sich nicht um. Das müsste Constance sein, vermutete er und wollte nur noch eines Wissen: „Was ist mit ihm passiert? Wer hat meinem Vater das angetan?"

„Das weiß ich nicht." Constance blieb neben dem Jungen stehen. Er tat ihr leid. Aber wenigstens würde sich der Mann bestimmt nach dem aufwachen freuen, seinen Sohn wiederzusehen. „Ich habe ihn vor einer Woche mit unzähligen Messerstichen vorgefunden und ihn gepflegt." Besser gesagt, es war kurz nach dem Alain gegangen war. Jemand hatte an der Tür geklopft und als sie sie öffnete, fiel ihr ein blutüberströmter Mann direkt in die Arme. Er wollte auch zu Alain und konnte nur seinen Namen nennen, bevor er bewusstlos wurde... An die (weitere) weiteren Geschehnisse(,) wollte Constance sich nicht erinnern.

„Messerstiche?" Die Vorahnung, dass es Georges war, wuchs bei Augustin mehr und mehr. „Mein Vater war auf der Nachtpatrouille mit Alain vor einer Woche und seit dem hat ihn niemand mehr gesehen. Alain sagte, dass er an dem Tag seines Verschwindens bei Euch war und dass mein Vater in die Kaserne zurückging."

„Ich erinnere mich.", meinte Constance bestätigend und legte beruhigend ihre Hand auf die Schulter des Jungen. „Alain war bei mir gewesen und am nächsten Tag, als er fortging, klopfte dieser Mann an der Tür und als ich aufmachte, fiel er mir blutüberströmt direkt in die Arme. Er hat nur gesagt, dass er zu Alain will und dass er André heißt. Ich habe ihn gepflegt, seine Wunden versorgt und seit dem ist er bei mir. Aber keine Sorge, in Lebensgefahr schwebt er nicht mehr."

„Danke sehr, Ihr habt meinem Vater das Leben gerettet." (augustin) Augustin atmete erleichtert ein und aus. „Weiß Alain von ihm auch?"

Constance schüttelte den Kopf. „Nein. Seit der letzten Nacht vor einer Woche hat er mich nicht mehr besucht. Und ihn in der Kaserne zu informieren konnte ich auch nicht. Ich wollte André nicht alleine lassen."

„Verstehe..." Ja, Augustin verstand jetzt alles. Sein Vater war noch zu schwach, um selbst in die Kaserne oder auf das Anwesen der de Jarjayes zu gehen und allen zu sagen, dass er (lebt) lebte. Aber jetzt würde alles wieder gut werden und das war im Moment das Wichtigste. „Darf ich hier bleiben und über meinen Vater wachen?"

„Bleibe so lange du willst, Augustin."

„Danke, Ihr seid sehr nett." Augustin kniete vor dem Bett, nahm die Hand seines Vaters und legte ihm seinen Kopf (ihm) auf die Brust. „Bitte werde gesund Vater, wir brauchen dich alle so sehr... Besonders meine Mutter und mein Bruder..."