Kapitel 27 - Crescendo, Ungnade

„Das reicht jetzt. Bitte beruhigen Sie sich und treten Sie zurück."

„Nein, lassen Sie mich das regeln, Herr Inspektor."

Dieser Mann vor ihm war wahrlich Furcht erregend. Schweißperlen bildeten sich und strömten von seiner Stirn hinunter und seine Atmung beschleunigte sich drastisch. Dann passierte es…

„Su-Su-Suzumura! Sie sind Herr Suzumura!", rief Herr Watamine plötzlich.

Stille…

„Mhm…"

„Was?", murmelte der Inspektor.

„Hmhm…"

Was zur Hölle lief hier ab?

Der Mann schnalzte genervt mit der Zunge und wandte sich von Douto ab, der schweißgebadet förmlich an der Wand klebte und erleichtert in die Knie ging.

„Sie haben's ihm doch noch verraten, scheiße noch eins.", gab er von sich und ging zu seinem Platz zurück.

„Herr Suzumura, wenn Sie sich weiterhin so verhalten, sind wir gezwungen, Sie dazu zu bringen, diesen Raum hier zu verlassen. Auch mit Gewalt, wenn nötig.", warnte Inspektor Megure.

Herr Suzumura blieb stehen.

„Haben wir uns klar ausgedrückt?", fügte er hinzu.

„Ja.", murrte der Mann genervt.

„Ich bitte Sie, einen gewissen Anstand in der Öffentlichkeit vorzuweisen. Haben Sie mich-"

„Ich habe Sie gehört, klar und deutlich."

„Gut."

„Danke.", meldete sich der Professor.

„Dann würde ich Sie alle gerne Ihren Blick bitte wieder zum Bildschirm wenden.", fuhr er fort.

Herr Inubuchi setzte die Aufnahme fort…

„Wie bereits gesagt, kommt es nicht darauf an, WORAUF man hinsieht, sondern WANN man hinsieht. Und genau das wird uns jetzt folgende Aufnahme zeigen, so wie hier zum Beispiel."

…und hielt die Aufnahme bei der in die Kamera grinsende Chiemi auf Geheiß vom Professor an.

„Denken Sie mal nach und nehmen Sie an, Sie wären Frau Nakayama mit der Absicht, den Aufzug zu sabotieren. Würden Sie wirklich absichtlich Ihr Gesicht von der Kamera filmen lassen, vor allem noch während der Tat? Ist doch verdächtig, oder?", erklärte Takagi.

„Dachte ich's mir.", murmelte Herr Suzumura.

„Scheint mir in der Tat sehr verdächtig.", kommentierte der Inspektor und Sato nickte.

„Das ist nicht alles. Spulen Sie bitte die Aufnahme etwas weiter vor."

„Alles klar.", antwortete Tokiharu.

„Ich weise nochmals darauf hin, dass alle auf das Datum und die Zeit auf dem Display achten.", bat der Professor.

Alle starrten wie gebannt auf die Datumanzeige.

08. , 02:31:12 Uhr

Der Täter schloss bereits die Sabotageaktion ab und verließ die Sicht der Kameras. Dazu schloss er das Gebäude ab und ging fort.

„Bleiben Sie dran.", sagte Takagi.

08. , 02:40:39 Uhr…

08. , 02:40:54 Uhr…

08. , 02:40:55 Uhr…

09. , 02:40:56 Uhr…

08. , 02:40:57 Uhr…

„Da ist es!", rief Herr Inubuchi und stoppte die Aufnahme.

„Achtet auf das Datum.", sagten Genta und Mitsuhiko gleichzeitig.

„Ist es Ihnen schon aufgefallen?", fragte Conan, der hinter dem Professor auftauchte.

„Aber ja!", sagte der Inspektor.

„Das Datum zeigt plötzlich von der Sekunde ein anderes Datum! Und das bedeutet wiederum…"

„Richtig, Ayame! Das Video ist nämlich in Wirklichkeit zusammengeschnitten!", ergänzte Conan.

„Das bedeutet dann, dass die eigentliche Sabotage einen Tag später passiert ist.", antwortete Sato.

„Nun, um diesen Fehler zu erklären, muss man sich im Klaren sein, wie dieses Video bearbeitet wurde. Zuerst vollzog der Täter die Tat am Tag nachdem er sich mit Herr Inubuchi und Frau Nakayama verabredet hatte. Dann kam er am nächsten Morgen hierher und stahl die Aufnahme, um sie am PC zu bearbeiten. Leider vergaß er dadurch aber das Datum vollständig zu ändern, weil das Schneidetool in seiner Bearbeitungssoftware nicht exakt auf die Sekunde zuschnitt. Dadurch entstehen einzelne Bilder oder auch Frames genannt, zwischen dem Schnitt, die das Original zeigen. Stellen Sie sich das so vor, als würde man ohne es zu bemerken ein Loch in eine Wand bohren. Dieser Vorgang ändert sich von Software zu Software, aber so wie es aussieht, hat es ihn wenig oder überhaupt nicht interessiert.", fuhr der Professor fort, als sich Conan wieder hinter ihm versteckte.

„Das erklärt längst nicht alles!", rief Herr Watamine.

„Da haben Sie recht, denn in heutiger Zeit hat jeder Computer so eine Software. Interessanter aber wird's, wenn wir Ihren Computer bei Ihnen Zuhause durchsuchen würden. Dort würden wir nämlich das Projekt in der Software, mit welchem Sie das mit dem Datum bearbeitet haben, Informationen, wie Bearbeitungszeit und Erstellung des eben besagten Projektes, wie auch die Originalaufnahme Ihrer Sabotage finden, sofern Sie das Projekt in Ihrem Computer nicht gelöscht haben, versteht sich. Doch auch trotz Löschung können sich Spuren solcher Dateien finden lassen. Man muss nur eben wissen, wo man sucht. Die Cloud wäre ein gutes Beispiel dafür."

Douto verstummte.

„Dann ist es doch besser, wenn wir in Kürze eine Wohnungsdurchsuchung machen würden.", schlug Takagi vor, doch der Professor hielt ihn auf.

„Ist nicht nötig, Herr Takagi."

„Was?"

„Ja, denn der Täter hat noch einen Fehler gemacht, den er jetzt nicht mehr ändern kann. Ein weiterer Beweis dafür, dass das Video digital bearbeitet wurde. Herr Inubuchi, bitte setzen Sie die Aufnahme fort."

„Alles klar."

Der Professor deutete mit dem Finger über das Datum auf den Bildschirm. Waagerecht über den Zahlen schwebend, zeigte sich ein kleiner schwarzer Balken.

„Was ist das für ein Balken? Der ist mir bisher noch nicht aufgefallen.", murmelte der Inspektor.

„Was könnte das denn sein?", fragte Takagi.

„Ein Mülleimer.", antwortete Herr Watamine plötzlich.

„Wie bitte?", riefen alle überrascht.

„Sie geben auf?", fragte der Professor.

„Douto?", gab Herr Inubuchi von sich.

„Es ist ein Mülleimer. Sie können es selbst überprüfen, wenn Sie im Erdgeschoss nachsehen. Dort steht es immer noch.", setzte er fort.

„Ich vermute mal, dass Ihnen während der Bearbeitung der Aufnahme dieser Mülleimer, bis vor ein paar Stunden, wo wir sie zum ersten Mal angesehen haben, selbst nicht aufgefallen ist. Und gerade weil Ihnen das bis zu diesem Moment selbst nicht aufgefallen ist, haben Sie insgeheim gehofft, dass wir diesen Fehler nicht entdecken, deswegen haben Sie so früh wie möglich auf das gedeutet, was Sie von Anfang an rein implementiert haben: ich rede hier von Frau Nakayama's Grinsen."

„Es stimmt, dass mir der Mülleimer erst später aufgefallen ist. Ich befürchtete, dass irgendjemand dieser Balken doch noch auffällt, da bei der Aufnahme am Tag davor hier noch kein Mülleimer stand. Bei der Bearbeitung habe ich das falsche Datum ausgeschnitten und in die Tataufnahme hinzugefügt. Dabei habe ich aus Versehen damit den Mülleimer zum Teil verdeckt."

„Ich nehme an, dass Sie sich damit als Schuldig bekennen?", fragte Sato, doch Douto antwortete nicht, sondern starrte zu Boden.

Stille breitete sich aus, bis sich jemand anderes dann zu Wort meldete.

„DU VERDAMMTER SCHEIẞKERL!", schrie Frau Nakayama, als sie auf ihn zu sprang und ihm einen heftigen Schlag mit der rechten Faust ins Gesicht verpasste, der ihn rückwärts taumeln und seinen Hinterkopf an die Wand schlagen ließ. Aus seiner Nase begann Blut zu tropfen, während er zu Boden sank.

„Frau Nakayama! Beruhigen Sie sich gefälligst!", rief Takagi, der sie am Arm festhielt.

„NEIN, LASSEN SIE MICH LOS! ICH BRINGE IHN UM!", schrie sie, als auch Sato sich anschloss, um sie davor zurückzuhalten, ihm auch noch das Gesicht einzuschlagen.

„Frau Nakayama!", rief Sato, mit aller Kraft ziehend.

„ICH BRING DICH UM, DU VERFLUCHTES ARSCHLOCH!"

Herr Inubuchi sagte kein Wort, sondern setzte sich zu Boden, komplett fassungslos. Er hielt sich seine Hand vor den Mund, um selbst nicht loszuschreien. Oder auf den Boden zu würgen, als ihm soeben übel wurde.

„Halt sie am Oberarm fest, Sato!"

„Okay."

„FASSEN SIE MICH NICHT-... WIE KONNTEST DU NUR, DU DRECKSSCHWEIN!"

„Frau Nakayama, bitte beruhigen Sie sich. Gewalt ist hier keine Lösung!"

„Lassen Sie die Polizei das regeln!"

„ICH BRING DICH UM, HÖRST DU?!"

Es war ihm ehrlich gesagt egal, welches der beiden Optionen er wählte, es änderte nichts daran, dass einer seiner Freunde Kasumi umgebracht hatte. Tränen formten sich auf seinem Gesicht, als Tokiharu Inubuchi die Augen mit aller Anstrengung schloss. Er wollte einfach nur noch nach Hause, ins Bett. Weg von hier.

Ayame, Genta und Mitsuhiko hielten sich währendessen bei diesem Geschrei die Ohren zu und starrten fassungslos auf das, was sich vor ihnen abspielte.

Herr Watamine regte sich wieder und hielt seine Hand an seine Nase, um das Blut zu begutachten. Der Schmerz an seinem Hinterkopf war stechend, als er versuchte, sich wieder aufzurappeln.

„WARUM?! WAS HAT SIE DIR GETAN, DASS DU SIE GLEICH UMBRINGEN MUSSTEST? WAS?", hörte er gedämpft.

Sein Herz schlug schnell, als er auf Chiemis tränenverzerrtes wütendes Gesicht starrte, während sie sich mit aller Anstrengung windete, in der Hoffnung sich von den Griffen der beiden Polizisten zu befreien.

„Douto…", hörte er jemanden von unten sagen. Es war Tokiharu, der auf dem Boden kauerte.

Sein Blick schweifte auf seinen Freund, der an seiner Hose zerrte und ihn mit einem Blick anstarrte, den er selbst nur schwer verarbeiten konnte.

„Du wusstest von Anfang an ganz genau, was du getan hast, oder Douto? Du wolltest es so. So und nicht anders.", sagte ihm der Blick.

Seine zitternde Hände hielten sich am Kopf, als er auf die Knie sank.

—-

Einige Minuten vergingen, bis Frau Nakayama sich beruhigt hatte und nun schniefend und vor sich hin wimmernd in einer Ecke verkrochen hatte. Endlich machte sich die Ruhe breit.

„Wir wollen Antworten, Herr Watamine. Warum haben Sie Frau Awase umgebracht?", begann der Inspektor.

„Kasumi hat sich sehr viel Mühe gegeben. Sie war ehrlich, nett, freundlich, ehrgeizig…"

Douto seufzte schwer, als er auf seine blutigen zitternden Hände blickte.

„…und ich bewunderte sie."

Vierzehn Jahre zuvor in einem Lehrerzimmer in einer Schule in Ropongi…

„Das ist das zweite Mal diese Woche, dass du dich mit den Mitschülern geprügelt hast, Douto.", tadelte seine Lehrerin.

Douto Watamine, 15 Jahre alt, mit Beulen und (mit Pflastern überklebten) Blutflecken im Gesicht stand schmollend vor ihr und musste sich schon wieder den wütenden Blick seiner Lehrerin über sich ergehen lassen.

„Soll ich wieder deine Eltern anrufen?", fragte sie.

Douto sagte nichts, sondern wischte sich das Blut von seiner Nase. Die Lehrerin seufzte schwer und warf einen besorgten Blick auf ihn.

„Glaubst du mir macht es Spaß, deinen Eltern bescheid zu geben, dass du wieder aggressiv geworden bist?"

„Kousho war's.", murmelte er.

„Was?"

„Kousho hat sie beleidigt."

„Wen?"

„Kasumi."

Kousho Ebata, ein Schüler seiner Parallelklasse, raufte sich gerne hin und wieder mit schwächeren Mitschülern und mobbte sie. Und wie beim letzten Mal war eine Konfrontation mit ihm unausweichlich.

„Wie hat er sie genannt?"

„Er hat sie und ihre Mutter als Schlampen bezeichnet."

„Und was hast du dann gemacht?"

„Ich bin aufgestanden und habe meinen Stift auf ihn geschmissen."

„War das im Klassenzimmer?"

Douto blickte aus dem Fenster und sah die Schüler nach Hause gehen, da die Schulglocke schon vor einer Viertelstunde geklingelt hat.

„Hinter der Schule."

Seine Lehrerin schüttelte enttäuscht den Kopf.

„Ich weiß, dass du gerne in Pausen vor dich hin zeichnest, aber auch ein Stift kann eine schlimme Waffe sein."

„Ich habe ihn nicht im Auge getroffen oder so."

„Aber am linken Ohr und das kann schlimme Folgen haben. Vor allem, wenn der Stift scharf gespitzt ist."

Douto schwieg.

„Hör mal, Douto. Ich weiß, dass du es gut gemeint hast und sie nur beschützen wolltest, aber wenn du weiterhin auf alles eingehst, was er sagt, schadest du dadurch nicht nur ihm, sondern auch dir selbst.", erklärte die Lehrerin.

„Ist mir doch egal. Ich hab ihn da getroffen, wo es wehtut."

„Das kann ich verstehen, aber…"

„Wie würden Sie reagieren, wenn jemand das zu Ihnen sagt?", fragte Douto ein wenig verärgert.

„Zu mir…? Also ich wäre auch sehr wütend…"

„Sehen Sie?"

„…, aber wenn ich diese Person jetzt körperlich verletze, bringt es mir im Endeffekt auch nichts.", fügte sie hinzu.

Douto schloss den Mund und schmollte.

„Sei klüger als er und sag mir besser in Zukunft bescheid, ja?"

Schweigen.

„Ist gut.", sagte er dann schließlich, als er sich umwandte und gehen wollte, bis er von der Lehrerin eine letzte Frage gestellt bekam.

„Du magst Kasumi, oder?"

Douto stockte, als er die Frage vernahm.

„Hören Sie bitte auf, solche Lügen zu erzählen. Ich gehe jetzt.", sagte er nach einer kurzen Weile und verließ den Raum.

„How rude…", murmelte sie schmollend auf English.

Douto Watamine lief den Schulgang hinunter und als er die Spinde erreichte, blieb ihm nur noch ein Gedanke im Kopf.

(„Du magst Kasumi, oder?")

Douto wurde rot im Gesicht, als er einen Blick auf den Spind gegenüber von seinem warf. Es war Kasumis Spind.

Kasumi Awase, das schönste, freundlichste, talentierteste und intelligenteste Mädchen, das er kannte.

(„Du magst Kasumi, oder?")

Er schüttelte pragmatisch den Kopf. Niemand war im Moment hier, womöglich waren alle Schüler schon weg.

Der Weg nach Hause bahnte sich weiterhin vor ihm, während er verträumt und nachdenklich die Straße weiterging.

Kasumi…

Selbst ihr Name war schön. Sie war ziemlich beliebt in der ganzen Klasse, nein, in der ganzen Schule. Ohne sie hätte er sich ein normales Schulleben nicht vorstellen können. Sie kam immer zur Schule und gab ihr Bestes. Er bewunderte ihre Motivation und ihre Hilfsbereitschaft, denn für sie hatte er mehr als nur Respekt übrig. Und ihr Vater war ein reicher Geschäftsführer aus Osaka.

Kasumi…

Mochte er sie wirklich? Jedes Mal, wenn er ihre Stimme hörte, oder ihr Gesicht vor ihm sah, war seine Aufregung kaum noch zu bändigen. Das erklärte auch, warum er den Stift geschmissen hatte. Er konnte nicht anders.

Kasumi…

Kasumi…

Kasu-

„Du? Eine Versagerin? Hahahaha, ich fass es nicht, das ist ja zum Totlachen!"

Ein schrilles Gelächter von etwas weiter weg schreckte ihn aus seinem Tagtraum. Er wandte sich um und fand sich vor einem Spielplatz wieder.

„Das meine ich ernst."

„Mach dich nicht ÜBER MICH LUSTIG!"

War das eben nicht Kasumis Stimme? Bei genauen Hinblick konnte er zwei Mädchen im Spielplatz erkennen und seine Vermutung bestätigte sich, als er Kasumi entdeckte.

Tap…

Und die andere neben ihr? Wie hieß sie noch gleich? Chiemi? Chiemi Nakayama? Jedenfalls schienen die zwei Mädchen ihn noch nicht bemerkt zu haben. Er versuchte, unbemerkt näher an sie zu treten, um Kasumis Antwort zu hören.

„Ich weiß, wovon ich rede.", sagte sie.

Tap, Tap, Tap…

Douto blickte gen Himmel. Dunkelgraue Regenwolken bahnten sich an und er konnte in der Entfernung einen Blitzstrahl erkennen. Er versteckte sich leise in einen der zwei Runden Spielgeräte, die Löcher als Eingänge hatten und vom Boden herauszuragen schienen. Zufällig waren sie eine gute Überdachung bei schlechtem Wetter, wie diesem.

„Ich fasse es nicht…, du warst dabei?", fragte Frau Nakayama verwirrt.

„In der Tat, das war ich.", bestätigte Herr Watamine.

„Dann bedeutet das also, du-"

„Ja, ich wusste es. Ich habe alles mitgehört. Und nicht nur das, ich war mit Sicherheit auch der einzige, der mitbekommen hat, was du ihr danach angetan hattest…"

SHHHHHHH!

BROOOOOMMMM!

Ein Gesang. Ein wunderschöner Gesang kam aus dem Spielgerät neben ihm, während es um sie herum aus allen Eimern schüttete.

Die Melodie war einzigartig und erinnerte ihn stark an seine Vergangenheit, bevor er mit seinen Eltern hierher gezogen waren. Tränen formten sich in seinen Augen und flossen seine Wangen hinunter.

Ihre Stimme war wie die einer Göttin.

Das war einer der Gründe für seine Bewunderung. Sie sang perfekt und jede Note von ihr gab ihm starkes Heimweh. Er wollte wieder zu seinem alten Hause, dort wo seine Freunde auf ihn warteten. Das alles nur, weil sein blöder Vater eine Arbeit in dieser Nähe gefunden hatte und seine Familie deswegen umziehen musste.

Es fühlte sich an, als würde ihre Stimme ihm eine Art Verbindung dorthin geben. Er weinte leise vor sich hin, als sie mit ihrem Gesang aufhörte.

„Weißt du, bevor meine Mama starb, sang sie mir immer dieses Lied vor, wann immer ich Angst vor Blitz und Donner bekam und es hat mir immer geholfen. Ich hab mir gedacht, dass ich dir dadurch behilflich sein könnte.", begann Kasumi.

Chiemi sagte nichts. Der Regen hatte sich währenddessen schon geschlichtet und der graue Himmel verfärbte sich wieder zu weiß. Nur noch einzelne Tropfen fielen zu Boden.

„Mein Papa hasste meine Mama, weil er ihren Gesang nicht ausstehen konnte. Ich hatte auch ziemlich oft Angst vor meinem Papa und habe deswegen dieses Lied hier auswendig gelernt, damit ich es mir selbst vorsingen konnte. Mein Papa hat mir nach ihrem Tod verboten, dieses Lied zu singen und wollte stattdessen, dass ich lerne und lerne. Er hat mir einen persönlichen Trainer angehängt, der mich die ganze Zeit Zuhause überwacht und mich in allen Dingen außerhalb der Schule belehrt. Manchmal schlafe ich sogar auf meinem Tisch ein, weil ich vor lauter Lernen zu müde bin."

Douto starrte fassungslos zu Boden. Das erklärte also alles. Warum sie immer früh zu Schultagesende nach Hause ging. Warum sie nie irgendwas mit ihren Freundinnen unternahm. Warum sie so gut in der Schule und in Sport war. Trotz allem war sie doch immer nur alleine.

Chiemi antwortete nicht.

„Ich will… ich wollte schon immer eine bekannte Sängerin werden, so wie meine Mama. Ich will andere mit meiner Stimme bewegen. Ich… ich wollte dich bewegen."

Douto ballte seine Faust. Er wollte aufstehen und zu ihr gehen. Er wollte sie umarmen. Er wollte sie vor allem vor ihrem Vater und diesem 'persönlichen Trainer' schützen, doch irgendetwas hielt ihn zurück. War das Angst? Er hat sich zwar oft mit anderen Jugendlichen geprügelt, aber mit Erwachsenen? Niemals.

„Es tut mir leid, wenn ich dich mit meinem Gesang gestört habe, Chiemi. Und das mit deinen Eltern tut mir auch leid. Ich finde deine Eltern ziemlich nett und sehr einladend und deswegen ich bin manchmal echt neidisch auf dich, wenn ich ehrlich bin.", fuhr sie fort.

Keine Antwort.

„Der Regen hat sich schon gelegt, also können wir wieder nach Hause gehen, oder? Komm, steh auf."

Immer noch keine Antwort von ihr.

„Chiemi, agh-?"

Dann ertönte plötzlich ein Klatscher und Douto sah zu, wie Kasumi aus dem Spielgerät geschleudert wurde und zu Boden fiel. Chiemi verließ das Spielgerät und blickte Kasumi angewidert an.

„Erzähl das deiner toten Schrulle, du Monster!", rief Chiemi ihr ins Gesicht und rannte wütend davon.

Jetzt brachte das Douto zum Kochen. Wütend rannte er aus dem Spielgerät heraus und rief ihr hinterher.

„HEY! KOMM ZURÜCK, DU BLÖDE ZIEGE! KOMM ZURÜCK! ENTSCHULDIGE DICH BEI IHR, VERDAMMT NOCH MAL!", schrie er ihr nach, doch Kasumi stoppte ihn.

„Lass sie gehen, Douto."

Er warf Chiemi einen Blick hinterher, doch sie war schon zu weit weg.

„Aber sie hat dich…"

„Ist schon gut. Ich muss lernen damit umzugehen, dass nicht jeder mich mag."

„Kasumi, ich kann nicht zulassen, dass sie damit wegkommt.", sagte er und wischte sich die Tränen von den Augen.

„Ich danke dir, Douto, aber…"

„Was denn?"

„Aber wenn du weiterhin auf alles eingehst, was sie sagt, schadest du dadurch nicht nur ihr, sondern auch dir selbst. Es bringt nichts, ihr nachzulaufen. Ich bin mir sicher, sie hat ihre Gründe, glaub mir."

Douto zögerte und dachte an das, was seine Lehrerin ihm gesagt hatte.

(„…wenn ich diese Person jetzt körperlich verletze, bringt es mir im Endeffekt auch nichts.")

„Scheiße.", fluchte er wütend und half ihr beim Aufstehen. Er musterte ihr Gesicht und merkte sofort, dass der Schlag von Chiemi vorhin wirklich gesessen hatte. Kasumi hatte ein leicht blassblaues Auge und eine blutige Nase.

„Hier.", sagte er und gab ihr ein paar Taschentücher.

„Danke.", sagte sie und stopfte sich damit die Nase zu.

Douto musste bei ihrem Anblick lachen, als er sie mit den Taschentüchern in der Nase sah. Kasumi bemerkte das und kicherte.

„Ich wusste ja gar nicht, dass ich so alt bin.", sagte sie und ahmte einen bärtigen alten Mann nach, indem sie so tat, als hätte sie Rückenschmerzen und mit einem Krückstock rumlaufen würde.

Die beiden lachten dann für eine Weile, während er sie zu ihr nach Hause begleitete.

„Ich will mich bei dir noch wegen etwas anderem bedanken.", sagte Kasumi.

„Huh? Was denn?"

„Na, dass du mich vor Kousho verteidigt hast. Najimi und Aikawa haben es mir erzählt. Du warst echt cool dabei. Und ich… Ich danke dir dafür aus ganzem Herzen."

Douto errötete.

„Oh, ach das… nun ja, al-also mir ging er auch auf die Nerven, also hab ich halt getan was ich konnte, weißt du? Ehehe…", sagte er und rieb sich voller Verlegenheit den Hinterkopf. Sein Herz sprang vor Freude.

„Und genau deswegen…"

„Ja?", fragte er aufgeregt.

„Sie war nicht wütend auf dich und trotzdem hast du sie wie Dreck behandelt. So etwas konnte ich nicht einfach so auf mir sitzen lassen. Jahr für Jahr hat sie alles auf sich hingenommen. Jedes Mal, wo du dich über sie jahrelang hinter ihrem Rücken lustig gemacht hast, hat sie dir trotzdem vergeben. Nicht sie war die Undankbare hier, sondern ganz allein du. Sie wollte deine Freundin sein, weil sie sich für dich insgeheim schuldig fühlte und weil sie wusste, wie es sich anfühlte, von ihren eigenen Eltern missbraucht zu werden.", antwortete Herr Watamine vierzehn Jahre später.

Frau Nakayama sah klar und deutlich die Wut und Trauer in seinem Gesicht. Herr Watamine hatte schon immer einen starken Gerechtigkeitssinn und das wusste sie. Doch dass er so weit gehen würde…

„Chiemi, bevor ich gehe, will dir eine letzte Frage stellen."

„Und genau deswegen…"

Sie hob den Kopf.

„Huh?"

„Verachtest du Kasumi immer noch?", fragte er.

Chiemi zögerte.

„Glaubst du, dass Kasumi dich jemals aufgegeben hat?"

„Und genau deswegen will ich, dass du dich selbst nicht aufgibst, genau wie ich es mir von Chiemi wünschen würde.", sagte Kasumi und lächelte.

Stille breitete sich aus, als Frau Nakayama endlich verstand, was sie getan hatte.

„Nein. Nie. Niemals. Niemals…", gab sie von sich und begann zu weinen.

Die Tür öffnete sich und zwei Polizisten kamen hinein.

„Herr Inspektor, wir haben den Pulli in einem Mülleimer gefunden und ihn auf Fingerabdrücke und andere Rückstände untersucht."

„Und?", fragte der Inspektor.

„Herr Suzumura hatte Recht. Auf dem grauen Pulli befindet sich ein Kaffeefleck, was auf den Zusammenstoß mit dem Täter hinweist. Die Farbe des Pullis stimmt auch mit den der Überwachungsaufnahmen überein."

„Sag ich doch!", gab Herr Suzumura genervt von sich.

„Dann lagen Sie mit Ihrer Vermutung richtig, Professor.", sagte der Inspektor und reichte ihm die Hand.

„Naja, ehehe… so etwas schaffe ich locker.", antwortete er erleichtert.

„Herr Watamine, sie sind wegen Mordes und Sabotage verhaftet.", urteilte Sato, doch Conan hielt sie an, indem er in seine Fliege sprach.

„Eine letzte Sache noch, Herr Watamine."

„Professor?", wunderte sich der Inspektor.

„Hä?"

„Komisch, dabei hat er seinen Mund nicht einmal bewegt.", bemerkte Takagi.

Überrascht, wandte sich der Professor um und flüsterte ihm verwirrt zu.

„Hey Shinichi, was soll das? Ich dachte, wir wären hier fertig."

„Spielen Sie bitte einfach mit, Professor. Ich muss noch etwas herausfinden.", flüsterte er zurück.

„Na gut."

„Ist alles okay bei Ihnen?", fragte Inspektor Megure.

„Natürlich, entschuldigen Sie.", antwortete er und wandte sich verlegen um. Er räusperte sich und setzte seine Frage fort.

„Herr Watamine, die Kinder sagten mir, dass am Anfang von einer Fahrstuhlmusik die Rede war. Jeder Fahrstuhl soll eine andere Musik enthalten und demnach zu urteilen, müsste es um die Melodie gehen, die Sie in Ihrer Erzählung erwähnt haben."

Herr Watamine zögerte eine Weile.

„Ja, das stimmt. Ich, Chiemi und Tokiharu waren bei der Planung beteiligt und wollten eigentlich Kasumi zu ihrem Geburtstag überraschen. Nachdem ich meine Tat entschieden hatte, wollte ich die Musik ändern, doch es war schon zu spät. Jetzt weiß ich wenigstens, dass sie wieder bei ihrer Mutter sein kann und nicht mehr unter ihrem Vater leiden muss."

Ayame dachte nach. Irgendwie schien sie etwas an dieser Aussage zu stören.

„Welche Melodie war es, wenn ich fragen darf?", fragte Conan mit Agasas Stimme.

„Das geht Sie nichts an.", sagte er und wurde von Sato durch die Tür gebracht, die hinter ihnen geschlossen wurde. Ayame blickte ihnen nach.

„Dann würde ich den Fall zumindest zum größten Teil für gelöst erklären. Danke, nochmals Professor.", sagte Takagi und reichte ihm die Hand.

„Nicht schlecht, kleiner Detektiv.", komplimentierte Ai und gab Conan einen Schulterklopfer, fand jedoch einen Schock in seinem Gesicht vor sich.

„Ai, ich glaube, wir machen eben einen Fehler. Verdammt, und das bemerke ich erst jetzt!"

„Was?"

„Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, dann ist dieser Herr Watamine ist noch nicht fertig."

„Glaubst du, dass…"

Conan nickte und blickte hoch zu Ayame, die genau dieselbe Schlussfolgerung erreicht hatte wie er. Doch es war zu spät, als plötzlich…

Ein Schrei ertönte aus der Tür.

„Das muss Sato sein!", rief Takagi und rannte zur Tür, um sie aufzuschlagen, doch jemand war schon aus diesem Raum gerannt.

—-

„Sato!", rief Takagi, als er aus der Tür gestolpert kam und Sato ohnmächtig auf dem Boden liegen sah.

„Verdammt, er hat sich aus ihrem Griff befreien können.", sagte er, als er einen Taser neben ihr bemerkte und der Person nachsah, die den flüchtenden Herrn Watamine verfolgte.

„SCHNAPPT IHN, ER WILL SICH VOM DRITTEN STOCK IN DEN TOD STÜRZEN!", schrie Conan und nahm auch die Verfolgung auf.

„Kasumi…", murmelte Douto, als er mit Handschellen auf die Reling kletterte und zum Erdgeschoss hinunterblickte. Es dauerte nicht lange, bis sich dort unten jemand regte.

„Schau mal, da steht jemand an der Reling!", rief eine Frau im Erdgeschoss und zeigte mit dem Finger auf Herrn Watamine.

„Was, wirklich?"

„Oh mein Gott!"

„Was ein Vollidiot."

„Will er sich ernsthaft umbringen?"

„Mach 'n Backflip!"

„Alter, hast du sie noch alle?"

„Scheiße, was zur Hölle geht hier ab?"

„Spring nicht!"

„Er wird sich umbringen!"

„Ist der Typ bescheuert?"

Immer mehr und mehr Leute schauten sich um und bemerkten ihn. Finger wurden auf ihn gezeigt. Andere holten ihre Smartphones raus und filmten ihn.

„Kasumi, ich…", murmelte er.

Er schloss langsam seine Augen und sah Kasumis lächelndes Gesicht klar vor sich, wie ein Licht in der Dunkelheit. Er wollte wieder bei ihr sein.

Ein Schritt vorwärts war alles, was er jetzt nur noch tun musste. Als würde alles in Zeitlupe ablaufen. Die Ketten der Handschellen klimperten auf seinen Handgelenken, während er seine Arme nach ihr hob.

Seine Atmung beschleunigte sich, während er ein leichtes Piepsen im Ohr vernehmen konnte.

– Kapitel 27 ENDE –