„Du bist nicht in Schwierigkeiten?" fragte Anna ungläubig.
„Ich schätze nicht." Alexandra war nach ihrem Treffen mit Ms. Grimm noch immer ein wenig benommen.
„Vielleicht hat sie vergessen, dir deine Strafe zu geben."
Alexandra warf ihrer Mitbewohnerin einen verärgerten Blick zu. Anna sah beschämt aus und zuckte entschuldigend die Achseln. „Also, was wirst du tun?"
„Ich schätze, ich werde tun, was sie gesagt hat. Meinen SPAWN machen. Lernen. Versuchen, Ärger zu vermeiden."
Anna öffnete den Mund und Alexandra unterbrach sie. „Sag es nicht."
Während die meisten Schüler zu diesem Zeitpunkt „Übungs-SPAWNs" machten, um ihren Fortschritt zu messen, würden Alexandras und Davids Ergebnisse tatsächlich bestimmen, ob sie im Förderunterricht bleiben müssten. David hatte in den Weihnachtsferien hart gelernt und sah nervöser aus, als sie ihn je gesehen hatte. Er war ein guter Schüler und im Allgemeinen viel fleißiger als Alexandra, aber im Gegensatz zu Anna war er nicht besessen von seinen Noten.
„Du wirst das schon hinkriegen", sagte Alexandra und war selbst nervös. Sie hatte Newtons Zauberstabübungen und Ms. Grinders Nörgelei über Sexismus in der Zaubererwelt (auch wenn sie zustimmte) so satt und vor allem, dass Mr. Grue sie beobachtete, als würde sie jeden Moment wieder das Klassenzimmer in die Luft jagen.
„Weißt du, dass Darla und Angelique schon komplexe belebte Verwandlungen machen?" fragte David. „Und die reguläre Zauberkunstklasse ist mit dem Zauberkunstlehrplan der sechsten Klasse schon halb durch. Sie können Feuer machen und verschüttete Flüssigkeiten aufwischen und Wasser einfrieren und Stolperflüche aussprechen. Wir lassen immer noch Federn schweben und machen kleine Funken am Ende von unseren Zauberstäben!" sagte er angewidert.
„Wir werden aufholen." Alexandra hatte auch gesehen, wie viel Anna in ihren Klassen lernte, und war genauso neidisch wie David. Sie hasste es mindestens genauso sehr wie er, sich ihren Klassenkameraden unterlegen zu fühlen.
Mrs. Middle führte wieder den SPAWN durch und lächelte alle Sechstklässler freundlich an. „Das ist nur eine Fortschrittskontrolle. Ein Übungs-SPAWN, wenn man so will. Er wird nicht in euer Klassenbuch aufgenommen", versicherte sie ihnen. Alexandra kümmerte sich nicht um ihr Klassenbuch. Sie setzte sich in den für den Test reservierten Raum, und als sie das Pergament bekam, öffnete sie es, die Feder fest in der Hand haltend.
„Standardisierte praktische Bewertung des Zauberwissens auf Sechstklässlerniveau", stand darauf, und in der nächsten Zeile: „Abschnitt Eins: Magische Theorie."
Diesmal, dachte sie, bin ich bereit. Und sie machte sich an die Arbeit.
Die Fragen waren anders als beim letzten Mal, aber inhaltlich im Großen und Ganzen ähnlich. Sie fühlte sich sicher, nachdem sie den Abschnitt Magische Theorie beendet hatte – Mr. Adams war langweilig, aber gründlich gewesen – und stürzte sich in Alchemie und Kräuterkunde. Hier war sie sich bei einigen Antworten nicht ganz so sicher, aber sie riet nicht wie beim letzten Mal wild, also beantwortete sie alle Fragen so schnell sie konnte und ging zu Abschnitt Drei über: Arithmomantie und Geomantie. Sie war voll und ganz darauf vorbereitet, die magischen Eigenschaften der Zahlen sechs, sieben und dreizehn zu erklären, aber die Fragen waren diesmal ganz anders und sie wurde nervös. Sie musste magische Quadrate ihren richtigen astrologischen Zeichen zuordnen und die magische Bedeutung jeder Himmelsrichtung beschreiben, Dinge, die ihr in keinem ihrer Kurse beigebracht worden waren, so konnte sie sich nicht erinnern. Und sie hatte sich mit römischen und arabischen Zahlen beschäftigt, war aber nicht auf Fragen zu Numerologie in Sanskrit und Hebräisch vorbereitet.
Sie wünschte, Abschnitt Vier: Geschichte der Zauberer hätte Fragen zur Dunklen Konvention enthalten, denn sie war sicher, dass sie diese beantworten konnte, aber hier war es fast eine Wiederholung ihres früheren SPAWN – zu ihrem Nachteil, weil Ms. Grinder so oft vom Thema abgekommen war. Alexandra kritzelte das wenige nieder, was sie über die Erklärung der territorialen Autonomie und den Ersten Zauberer-Kongress noch in Erinnerung hatte, und wann die ersten Goblins in die Neue Welt auswanderten und wie dies zum Großen Goblin-Kompromiss führte, aber es waren nur Bruchstücke, die sie aufgeschnappt hatte, hauptsächlich, während Anna mit ihren Klassenkameraden lernte.
Als Mrs. Middle zwei Stunden später ihr Pergament einsammelte, fühlte sich Alexandra nicht mehr so hilflos und hoffnungslos wie nach ihrem ersten SPAWN, aber sie war auch nicht mehr ganz zuversichtlich.
„Wie war es?" fragte Anna sie und David beim Mittagessen.
„Nicht schlecht", sagte David, und Alexandra nickte mit einem leichten Achselzucken, aber sie vermutete, dass Anna ihre Zweifel spürte.
„Du wirst es gut machen", sagte sie zuversichtlich und klopfte Alexandra auf den Arm.
„Und wenn nicht", sagte Darla über den Tisch hinweg, „gibt es am Ende des Jahres noch einen SPAWN." Irgendwann wirst du aus dem Förderunterricht rauskommen."
Alexandra warf ihr einen so finsteren Blick zu, dass Darla fast an ihrem Kürbissaft erstickte.
Ihr praktischer SPAWN fand nach dem Mittagessen statt, und zwar mit denselben Prüflingen, die zufällig auch Alexandras Förderlehrer waren.
Mr. Grue war der Schlimmste, da ihre Anweisungen für den praktischen Alchemieteil aufgeschrieben waren und er sie ihr einfach mit einem Grunzen hinhielt. Er starrte auf alles, was sie berührte, und kritzelte jedes Mal Notizen, wenn sie etwas abmaß oder in ihrem Kessel rührte, und sagte kein einziges Wort. Als sie fertig war, dachte sie, sie hätte ein gutes Wachheitstonikum gebraut, alle essentiellen Salze richtig identifiziert und abgemessen, Kaktusfeigenschalen geschält und von Dornen befreit, und zerkleinerte Mistelzweige richtig zubereitet. Aber sie konnte aus Grues Reaktion nicht erkennen, ob er damit einverstanden war.
Hobbes war so freundlich wie immer und gab ihr fast dieselben Verwandlungen wie zuvor. Diesmal schaffte sie jede ohne Schwierigkeiten und zögerte nur, als es an der Zeit war, die Maus zu verwandeln. Dann dachte sie an Larry und stellte sich die Maus als große fette Ratte vor, und sie wurde groß und braun und bekam einen langen rosa Schwanz.
„Ziemlich einfach", sagte Hobbes. „Nagetier-zu-Nagetier ist keine große Herausforderung, aber akzeptabel." Er schwenkte seinen Zauberstab und die Ratte verwandelte sich wieder in eine Maus. Alexandra fand, dass die Maus ein wenig enttäuscht aussah.
Newton beobachtete sie ohne Lächeln, während sie ihren Teil in Zauberkunst vortrug. „Versuch diesmal, ohne Knittelverse auszukommen, Miss Quick", sagte er in saurem Ton.
„Ja, Sir", antwortete sie in einem Ton, der gerade noch höflich war. Als einige ihrer Zauber nicht so gut klappten, wie sie gehofft hatte, wurde sie wütend und wollte den Lehrer fragen, warum er ihr diese Zauber nicht beigebracht hatte, wenn sie doch darüber geprüft werden sollte, aber sie biss sich auf die Zunge und versuchte es noch einmal.
Schließlich war es Zeit für Grundlagen der magischen Verteidigung mit Ms. Shirtliffe. Alexandra hatte versucht, einige neue Zaubersprüche nur für diesen Test zu lernen, aber da sie sie ausschließlich aus Büchern aus der Bibliothek gelernt hatte, hatte sie keine Ahnung, wie gut sie funktionieren würden.
„Nun, da du ein ganzes Semester Zeit hattest, dich vorzubereiten, hoffe ich, dass du mir etwas zeigen kannst, Quick", sagte Ms. Shirtliffe. Sie hatte ihren Zauberstab bereits in der Hand.
„Das tu' ich", sagte Alexandra und richtete ihren Zauberstab. „Expelliarmus!"
Ms. Shirtliffes Hand zuckte, und dann schnippte sie mit dem Handgelenk und es war Alexandras Zauberstab, der ihr aus den Fingern flog. Die Lehrerin fing ihn mit der anderen Hand auf und warf ihn zurück.
„Du kannst nicht durch Lautstärke wettmachen, was dir an Technik fehlt, Quick", sagte sie. Und dann schnippte sie erneut mit ihrem Zauberstab, und wieder verlor Alexandra ihren.
„Lass mich das ein drittes Mal machen, und ich gebe dir vielleicht eine Hokus Pokus-Zensur", sagte sie.
Alexandra holte ihren Zauberstab zurück. Ms. Shirtliffe gestikulierte erneut, aber diesmal drehte sich Alexandra halb um und schützte ihre Zauberstabhand mit ihrem Körper. Dann drehte sie sich plötzlich um und stieß ihren Zauberstab in die Richtung der Lehrerin wie ein Fechter, der mit einem Florett ausholt. „Expulso vermes!"
Nichts geschah. Ms. Shirtliffe schüttelte den Kopf.
„Um einen neuen Zauber zu erfinden, braucht man mehr als ein Lateinwörterbuch." Aber sie lächelte ein wenig, als sie ihren Stift aufhob.
„Das ist alles, Quick", fügte sie hinzu, als Alexandra ihren Zauberstab wieder hob.
„Das ist nicht fair! Sie haben mich kaum geprüft!"
Ms. Shirtliffe grinste. „Nur weil du dir nicht aller Arten bewusst bist, auf die du geprüft wirst, heißt das nicht, dass du es nicht wurdest. Du bist ein kluges Mädchen, Quick, aber du musst noch viel lernen, bevor du überhaupt merkst, wie viel du nicht weißt."
„Ich weiß nicht, wovon Sie reden, das ist sicher", murmelte Alexandra, als sie den Raum verließ.
Als sie David hinterher fragte, wie sein Test in Grundlagen der magischen Verteidigung ausgefallen sei, sagte er: „Ms. Shirtliffe hat einfach ein paar simple Flüche auf mich gezaubert und mich versuchen lassen, mich zu verteidigen. Ich schätz', ich hab' es ganz gut gemacht. Ich mein', ich weiß, ich hätt' sie nicht aufhalten können, wenn sie's wirklich versucht hätte."
Alexandra musste die nächsten zwei Tage weiter an ihren Förderkursen teilnehmen und wartete ungeduldig auf ihre SPAWN-Ergebnisse. Sie kamen eines Morgens beim Frühstück, geliefert in einem fliegenden Umschlag, ähnlich den Flurpässen, die magisch durch die Korridore sausten. David erhielt auch seinen und riss den Umschlag eifrig auf.
„,Durchschnittlich, Durchschnittlich, Ausgezeichnet, Durchschnittlich, Ausgezeichnet'", las er und klang zufrieden. „Oh Mann, ich hätte in Geschichte der Zauberer ein ,Ausgezeichnet' bekommen sollen."
„Wie ist es dir gegangen, Alexandra?" fragte Darla. Alexandra war gespannt auf ihre Ergebnisse, aber nicht so erpicht darauf, sie allen zu zeigen. Aber alle sahen sie erwartungsvoll an. Sie hielt den Atem an und öffnete den Umschlag.
Es waren zwei Zettel darin. Auf einem standen ihre SPAWN-Ergebnisse, und sie starrte sie einige Sekunden lang an, bevor sie erleichtert aufatmete. Sie hatte bei allen Tests, außer bei Grundlagen der magischen Verteidigung, „Durchschnittlich" abgeschnitten. Ms. Shirtliffe hatte sie dort mit „Ausgezeichnet" bewertet.
Das andere Stück Papier war ihr neuer Stundenplan. Sie sah ihn sich an und jubelte. „Keine Förderstunden mehr!"
„Oh, Alex, das ist wunderbar! Jetzt bist du in denselben Klassen wie wir alle!" Anna war begeistert.
„Ich bin auch aus dem Förderunterricht in Zauberkunst und Verwandlung raus", sagte David. „Jetzt können wir vielleicht anfangen, echte Magie zu lernen!"
„Also, ich weiß nicht, warum du mit ‚Durchschnittlich' so zufrieden bist", sagte Darla. „Meine Eltern geben mir einen Löwen für jedes ‚Ausgezeichnet' und zwei Löwen für jedes ‚Überragend'."
„Du meinst, sie würden dir zwei Löwen für jedes ‚Überragend' geben, wenn du welche bekommst", sagte Angelique. Darla errötete, während alle anderen lachten.
„Meine Eltern haben gedroht, mich von Charmbridge zu nehmen, wenn ich weniger als ‚Ausgezeichnet' bekomme", sagte Anna." Dann sah sie Alexandra schuldbewusst an. „Ich meine, nicht, dass etwas gegen ‚Durchschnittlich' spricht! Das heißt, ich sage nicht, dass du durchschnittlich bist. Du hast einfach nicht so viel Bildung genossen wie der Rest von uns – oh!" Sie bedeckte verlegen ihren Mund mit den Händen. Alexandra lachte nur.
„Es ist alles okay, Anna", sagte sie. „Ich bin einfach froh, dass ich jetzt nicht mehr in den Förderunterricht muss."
Dass sie nicht mehr in den Förderunterricht muss, bedeutete nicht, dass sie ihrem unbeliebtesten Lehrer entkommen konnte. Mr. Grue unterrichtete immer noch den normalen Alchemieunterricht der sechsten Klasse.
„Wir brauen in diesem Unterricht Zaubertränke, Miss Quick, nicht nur einfache Pasten und Tinkturen und Hausmittel", warnte der Lehrer. „Wir arbeiten mit giftigen, brennbaren und hochmagischen Zutaten!" Er starrte sie unter seinen buschigen Augenbrauen böse an. Einige Schüler schienen zu versuchen, sich weiter von ihr wegzubewegen, aber David und Anna saßen zu beiden Seiten von ihr, und sie war dankbar.
Hobbes und Newton unterrichteten auch den normalen Unterricht in Zauberkunst und Verwandlung der sechsten Klasse. Alexandra und David waren beide begeistert von den Zaubersprüchen, die in den normalen Kursen gelehrt wurden, aber ihnen wurde dadurch auch schmerzlich bewusst, wie weit sie zurücklagen. Anna korrigierte Alexandra geduldig, wenn sie Schwierigkeiten mit ihren Verwandlungen hatte, und drillte sie in den Zauberformeln für Zaubersprüche, die sie das ganze letzte Semester nicht gelernt hatte. Sie war ein wenig verärgert, als sie bemerkte, dass David weniger Probleme hatte als sie.
Sie war Ms. Grinders Nachhilfeunterricht in Geschichte der Zaubererwelt entkommen und besuchte nun den regulären Sozialkundeunterricht für Zauberer der sechsten Klasse, in dem es weniger um Geschichte als um die Kulturen und Traditionen der Zaubererwelt ging, und insbesondere um die amerikanische Zaubererwelt. Das war nützlich, denn Alexandra lernte viel von dem, was die meisten Hexen ihres Alters bereits wussten. Die Lehrerin war Mrs. Middle, die so süß herablassend war wie immer. Sie verbrachte einen Großteil der ersten Wochen damit, Alexandra laut vor der gesamten Klasse zu fragen, ob es etwas gab, das sie nicht verstanden hatte oder bei dem sie Hilfe brauchte, um aufzuholen. Alexandra entschied, dass ihr Ms. Grinders themenfremde Vorträge über die Sturheit und Ignoranz des Zauberer-Kongresses lieber waren.
In ihrer ersten nicht-fördernden Unterrichtsstunde in Zaubertheorie erlebte sie eine weitere Überraschung.
„Du hast mir nie erzählt, dass Ms. Shirtliffe diese Klasse auch unterrichtet", flüsterte sie David zu.
„Du hast nie gefragt", flüsterte er zurück.
Ms. Shirtliffe war lebhaft und nahm von ihrer neuesten Schülerin kaum Notiz. Die Hausaufgaben häuften sich jedoch schnell an und Alexandra wusste sofort, dass dies ihre akademisch anspruchsvollste Klasse werden würde.
Nach der ersten Woche gewöhnte sie sich gut an ihren neuen Stundenplan und genoss die Tatsache, dass sie nun mit all ihren Freunden in einer einzigen Kohorte von Klasse zu Klasse ging. Sie wusste, dass sie in der siebten Klasse wieder anfangen würden, sich durch unterschiedliche Leistungsniveaus und die Einführung von Wahlfächern zu trennen, aber in der sechsten Klasse hatten fast alle die gleichen Klassen.
Der Januar ging in den Februar über. Alexandra schien der Neuanfang zu gelingen, den Ms. Grimm so enthusiastisch gefördert hatte. Sie machte keinen Ärger, sie machte ihre Hausaufgaben, und obwohl es immer noch Gemurmel und gelegentliche Sticheleien gegen sie gab, revanchierte sie sich nur milde oder gar nicht. Dass sie und Larry sich im Flur gegenseitig „Troublesome" und „Rattengesicht" nannten, wurde für beide fast zur angenehmen Routine.
Anna schien froh, dass Alexandra nicht mehr über den Thorn Circle sprach. Sie fragte sie einmal, ob sie es aufgegeben habe, herauszufinden, wer ihr Vater sei. Alexandra zuckte die Achseln und sagte, dass sie im Moment Wichtigeres zu tun habe, und das schien ihrer Freundin ebenfalls zu gefallen. Alexandra tat alles, was sie tun sollte, und hielt sich aus Schwierigkeiten heraus. Es drohte keine Gefahr, und niemand schien zu versuchen, sie umzubringen. Alles war gut.
Aber sie hatte es nicht vergessen, und sie hatte nicht aufgegeben.
Es war fast März. Das Wetter war immer noch bitterkalt und die Gegend war immer noch mit Schnee bedeckt, obwohl es seit über einer Woche keinen Neuschnee mehr gegeben hatte.
David verbrachte mehr Zeit im Freien, weil er entdeckte, dass ein Falke tatsächlich ein anspruchsvoller Vertrauter war. Eulen konnte man tagelang in der Voliere lassen und Raben waren praktisch autark, aber Mr. Fledgefield, Charmbridges Lehrer für Tierpflege und Magizoologie, hatte David klar gemacht, dass ein Falke viel mehr Zeit mit ihm und tägliche Bewegung brauchte. Also ließ David Malcolm in den Himmel fliegen, während Alexandra, Anna, Constance und Forbearance alle im Schnee spielten, mit der Hand Schneebälle formten und sie dann mit ihren Zauberstäben aufeinander warfen.
Die Krähen, die um Charmbridge herum nisteten, waren immer noch dicht in den Bäumen, und Alexandra bemerkte, wie die Ozarker-Mädchen wieder aufsprangen, als ein großer Schwarm von ihnen wie eine schwarze, federleichte Trichterwolke in die Luft schoss, bevor sie sich woanders niederließen.
„Wahrscheinlich ist es Davids Falke", sagte sie. „Auch Falken fressen Krähen."
„Nein, Malcolm ist da drüben", sagte Anna und deutete weit in die entgegengesetzte Richtung. „Siehst du?"
Dann traf ein großes weißes Projektil, die perfekte Mischung aus festgefahrenem Schnee und Matsch mit nur ein wenig Eis, Anna direkt an der Seite des Kopfes, hart genug, um sie von den Füßen zu reißen. Sie lag ausgestreckt im Schnee und sah benommen aus. Ein Chor von Gelächter verriet ihnen, wer dafür verantwortlich war, noch bevor sie sich umdrehten, um hinzuschauen.
„Hier ist der Hodag", sagte Larry, wedelte mit den Händen und machte ein spöttisches, furchterregendes Gesicht, als er durch den Schnee auf sie zuschlurfte. Er lachte erneut, während Anna versuchte, sich aufzusetzen. Ihr Gesicht war rot vor Verlegenheit und von dem stechenden Aufprall, und Alexandra kniete bereits neben ihr. Nur die Tatsache, dass sie versuchte, ihrer Freundin zu helfen, hielt sie davon ab, sofort auf Larry loszugehen.
„Benjamin und Mordecai Rash!" rief Constance empört. Die beiden Ozarker-Jungs standen hinter Larry, zusammen mit Ethan Robinson und Wade White, seinen beiden Freunden, die mit ihm bei Grundy's gewesen waren.
„Ihr solltet euch schämen!" sagte Forbearance.
Sie grinsten nur. „Ihr solltet euch schämen!" erwiderte Benjamin.
Mordecai grinste höhnisch. „Ihr verkehrt immer noch mit dem Schl –."
„Alexandra, nicht!" sagte Anna, als Alexandra aufstand und ihren Zauberstab richtete. Die Rash-Zwillinge hatten ihre Zauberstäbe ebenfalls blitzschnell gezückt. Dann richtete Larry seinen Zauberstab und dann prasselten Schneebälle auf sie alle ein.
„Hey!" rief Alexandra, duckte sich und bedeckte ihren Kopf.
„Was zum –?" rief Larry, duckte sich und hob die Hände.
„Hört auf!" sagte Constance.
„In diesem Moment!" sagte Forbearance.
Die Pritchards hatten ihre Zauberstäbe gezückt und gerade den Schneeballvorrat der Mädchen aufgebraucht. Sie sahen wütend und ein wenig verlegen aus, aber ihr Sperrfeuer war ziemlich effektiv gewesen.
Alle standen vorsichtig auf. Sogar die Rashes starrten die Pritchard-Zwillinge besorgt an.
„Geh weg, Larry!" sagte Alexandra. „Geh einfach weg!"
„Warum kannst du uns nicht einfach in Ruhe lassen?" fragte Anna und zitterte ein wenig.
„Ich wollte dich nur warnen", sagte Larry in einem Tonfall gespielter Unschuld. „Du kommst den Bäumen furchtbar nahe." Er zeigte auf den Wald. „Da ist ein Hodag im Wald, weißt du." Er senkte die Stimme. „Jedes Jahr kommt ein kleines Kind herein", flüsterte er, „und…" Er machte einen plötzlichen Sprung und knirschte mit den Zähnen. Anna zuckte zusammen.
„Das ist eine alte Hexengeschichte", sagte Constance.
„Wie Hintertücks und Fallspinnen", sagte Forbearance.
„Jeder weiß, dass es keine solchen Wesen nicht gibt", sagte Constance.
„Früher sagte man, es gäbe keine Re'ems oder arktischen Basilisken", sagte Larry. „Jeder weiß, dass seit Jahren ein Hodag in den nördlichen Wäldern herumstreift."
„Als ob ich irgendetwas glauben würde, was du sagst!" schnaubte Alexandra.
„Frag einen Lehrer, wenn du mir nicht glaubst", sagte Larry.
„Das werde ich sicher", sagte sie sarkastisch. „Danke, dass du so besorgt um uns bist."
Larry lachte. „Okay, dann fordere ich dich heraus, da reinzugehen." Er zeigte auf den Wald.
Alexandra machte beinahe einen Schritt auf den Wald zu, aber Anna packte sie am Arm. „Alex! Er will dich nur provozieren!"
„Los, beweise, wie mutig du bist!" spottete Larry.
Mit Mühe beruhigte sie sich. „Ich bin nicht blöd. Ich werd' nicht in den Wald gehen, nur weil du mich rausgefordert hast. Du hoffst nur, dass ich Ärger kriege."
Er lachte und richtete sich auf, um sie höhnisch anzustarren. „Wie wär's dann mit einer Wette?"
„Oh, Alex, fall nicht darauf herein!" sagte Anna besorgt.
„Eine Wette? Warum sollte ich?" Alexandra stand Larry gegenüber und wünschte, sie wäre groß genug, um ihm in die Augen zu sehen. Sie war skeptisch, aber eine Mutprobe war eine Mutprobe, und es war ihr immer schwergefallen, eine abzulehnen.
„Bleib über Nacht im Wald", sagte Larry. „Ohne erwischt oder gefressen zu werden. Und du kannst eine Gunst von mir haben."
„Eine Gunst? Wie einen Wunsch?" Alexandra blinzelte ihn an.
„Es ist ein Eid", sagte Anna. „Wenn er eine Gunst schwört, muss er ihn erfüllen."
„Was, wenn ich dich bitte, von der Unsichtbaren Brücke zu springen?" erwiderte Alexandra.
Er grinste. „Oh, ich glaube nicht, dass du das tun würdest, Troublesome. Vor allem, weil du mir einen Segen schuldest, wenn du scheiterst." Er beugte sich näher. „Und wenn ich dich tot sehen wollte…", flüsterte er.
„Ich hab' dich auch gerettet, oder hast du das vergessen?" zischte sie zurück. „Wenn du echt glaubst, dass ein Hodag im Wald ist, dann versuchst du, mich umzubringen."
„Wenn nicht, dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen." Larry lachte. „Aber natürlich mache ich nur Spaß. Ich wusste, dass du nur ein Großmaul bist."
„Du bist ein Idiot. Und du bist dabei", sagte Alexandra.
„Ich bin was?" Er sah verwirrt aus.
„Es bedeutet, ich akzeptiere, du Doof!"
„Du und dein Muggel-Slang", fauchte er. Dann lächelte er triumphierend und zog seinen Zauberstab. „Zauberstäbe berühren."
„Was?"
„So besiegelt man einen Eid", sagte Anna. „Tu es nicht, Alex. Bitte tu es nicht. Du weißt, dass er nur versucht, dich in Schwierigkeiten zu bringen."
„Das ist Torheit!" sagte Constance.
„Ihr seid beide völlig verwirrt und verdummt!" rief Forbearance.
„Er ist ein Idiot, weil er glaubt, eine Nacht im Wald würde mir Angst machen", sagte Alexandra, streckte ihren Zauberstab aus und sah Larry in die Augen. „Ich werde die ganze Zeit damit verbringen, mir was wirklich Gutes auszudenken, was ich dich tun lassen kann."
Larry grinste und berührte ihren mit der Spitze seines Zauberstabs. Es sprühten Funken, und sie spürte ein Kribbeln, das schnell wieder verschwand.
„Und was passiert, wenn jemand etwas tut?" fragte sie.
„Schlimme Sachen", sagte Larry. „Bis später, Troublesome. Ich weiß schon, was ich dich tun lassen werde." Er winkte und stapfte durch den Schnee zurück zur Akademie, gefolgt von seinen Freunden.
David rannte unbeholfen durch den knietiefen Schnee herüber, mit Malcolm auf dem Arm. „Hey!" sagte er. „Was ist los? Haben Albo und diese Hinterwäldler-Weißbrote Ärger gemacht?"
„Diese was?" fragte Forbearance leise. David kam schlitternd zum Stehen und verzog das Gesicht.
„Können wir nicht einen weiteren Streit vermeiden?" fragte Anna, während Constance und Forbearance beide einen beschämten David anstarrten. „Wir haben schon genug, worüber wir uns Sorgen machen müssen!"
„Wir?" fragte Alexandra. „Ich bin die Einzige, die in den Wald gehen muss. Und es gibt nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Sowas wie einen Hodag gibt es nicht."
„Du weißt nicht einmal, was ein Hodag ist!" rief Anna aus.
„Was ist ein Hodag?" fragte David.
„Ein Monster im Wald", sagte Anna. „Und Alexandra hat gerade eine Mutprobe angenommen, die ganze Nacht dort draußen zu bleiben!"
„Das ist ein Witz", sagte David. Er sah Alexandra an. „Bist du irre?"
„Kommt schon, wenn es wirklich ein Monster im Wald gäbe, hätten sie einen Zaun oder so etwas", sagte Alexandra.
„Oh, Gott. Manchmal bist du unglaublich, Alex!" Er wandte sich an die anderen Mädchen. „Ihr habt da gestanden und sie das machen lassen?"
„Als ob wir, was Alexandra betrifft, irgendetwas ‚zu lassen' hätten!" erwiderte Constance.
„Und was würdest du von einem Paar Hinterwäldler erwarten?" fügte Forbearance eisig hinzu. Die Ozarker drehten sich um und stolzierten davon, während David mit offenem Mund zurückblieb.
„Das war nicht nett", sagte Anna zu David. „Und du weißt, wie du auf das M-Wort reagierst!"
Er seufzte. „Ich meinte nicht sie. Ich meinte die …"
„Die anderen Hinterwäldler?" sagte Anna und hob eine Augenbraue.
„Okay! Ich werde mich entschuldigen." Dann fügte er hastig hinzu: „Bei ihnen, nicht bei diesen… Pennern!" Er wandte sich an Alexandra. „Bist du verrückt?" wiederholte er.
„Hör zu, ich werd in der Bibliothek über Hodags lesen", sagte Alexandra. „Ich wette, die sind nur erfunden, um kleinen Kindern Angst zu machen. Glaubst du wirklich, wenn da draußen im Wald ein schreckliches Monster rumlaufen würde –" sie zeigte auf die nahe Baumreihe, „dass es für uns so einfach wäre, einfach dort reinzulaufen?"
„Ja!" sagte Anna etwas schrill. „Warum hörst du nie auf mich, Alex? Das ist, was ich dir ständig zu sagen versuche! Da draußen gibt es gefährliche Dinge, von denen Muggel nichts wissen! Du denkst, der Wald ist wie ein Park!"
„Du weißt nicht, was für gefährliche Dinge ich kenne!" sagte Alexandra. „Du wirst dich jedenfalls nicht beschweren, wenn ich die Wette gewinne und Larry alles tun muss, was ich sage!"
Dann stolzierte Alexandra in dieselbe Richtung wie Constance und Forbearance davon.
„Nun", seufzte David, „ich schätze, sie ist wieder die Alte."
Anna biss sich auf die Lippe. „Larry weiß, dass sie vor einer solchen Herausforderung niemals zurückschrecken würde, und er weiß, dass sie die ganze Nacht bleiben wird. Entweder rechnet er wirklich damit, dass der Hodag sie kriegt, oder er hat etwas vor."
