Und du liebst mich doch...
Kapitel 39
Graue Wolken begrüßten am nächsten Morgen die Schüler in der großen Halle. Der erste herbstliche Nebel hatte die Länderei eingehüllt. In Kürze würde der Nebel wieder verschwinden, denn noch war es zu warm. Der Oktober war für britische Verhältnisse sehr sommerlich, doch das konnte sich über Nacht ändern. Als Harry am Morgen zu seinem Haustisch gegangen war, hatte er unwillkürlich nach Draco Ausschau gehalten, doch von dem Slytherin war noch nichts zu sehen gewesen. Seufzend dachte er dran, wie schön es sich angefühlt hatte in Dracos Armen zu schlafen. Der Wetter verführte ihn, quasi zu weiteren Tagträumen, doch als er zum Lehrertisch blickte, fiel ihm ein, dass er Remus unbedingt wegen dem Hinweis der Zentauren ansprechen musste.
Während er Rührei mit Speck aß, sah er immer wieder zum Lehrertisch hinauf. Nachdem er dabei zum zweiten Mal beinahe seinen Orangensaft umgeworfen hatte, reichte es Hermine, deren Stimmung an diesem Morgen noch immer übellaunig war.
„Er wird nicht eher kommen, nur weil du im Sekundentakt zum Lehrertisch hochschielst."
„Vielleicht", antwortete Harry gedehnt, „aber so verpasse ich ihn auch nicht."
„Wen verpassen Sie nicht, Mr. Potter?"
Harry verschluckte sich fast an seinem Orangensaft, als er Professor McGonagalls Stimme hinter sich hörte. Hustend drehte er sich seiner Hauslehrerin zu.
„Professor Lupin."
„Nun, da warten Sie umsonst. Professor Lupin ist die nächsten Tage verhindert. Professor Snape war so gütig und hat sich bereit erklärt, den Unterricht von Professor Lupin zu übernehmen."
„Wo ist er?", rutschte es Harry prompt heraus.
„Ich muss doch sehr bitten, Mr. Potter", maßregelte ihn die Professorin.
„'tschuldigung", nuschelte Harry.
„Mr. Weasley", wand sie sich an Ron, der große Augen bekam, „würden Sie mir bitte folgen, ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen."
„Aber ich esse noch!"
„Dann nehmen Sie sich Ihren Toast mit. Ich bin sicher, dass Sie nicht verhungern werden, wenn Sie auf den dritten Nachschlag verzichten." Ertappt errötete Ron, nahm sich sein Truthahn-Sandwich, trank noch im Aufstehen sein Glas Milch aus und folgte der Lehrerin durch die große Halle.
„Was will McGonagall von Ron?" Fragend blickte Harry Hermine an.
„Das ist nicht so wichtig. Wichtiger ist doch, dass Remus nicht da ist."
„Was meinst du?"
„Verstehst du es denn nicht, Harry? Sie sagte Remus ist die nächsten Tage verhindert. Es ist Vollmond. Warum hat Remus seinen Wolfsbanntrank nicht getrunken?"
Wie Schuppen fiel es Harry von den Augen. Der Test hatte nicht nur ihn vergesslich gemacht.
„Mist!", fluchte er. „Dann muss ich warten, bis er mir wegen des Rätsels weiterhelfen kann."
„Nicht unbedingt." Hermine sah ihn herausfordernd an. „Ich habe mir gestern Abend noch ein paar Bücher aus der Bibliothek angesehen und bin dabei, über ein schwarzmagisches Ritual gestolpert, das nur alle 300 Jahre stattfindet kann. Es heißt Peccatum, aber das Besondere daran ist – und hier kommt die Venus ins Spiel – es kann nur stattfinden, wenn die Planeten in einer bestimmten Konstellation beieinanderstehen und der Komet Obscurité seinen Kreis um die Venus zieht."
„Erklär's mir genauer!" Gespannt blickte Harry seine Freundin an, deren Laune nun deutlich besser war.
„Der Komet schiebt sich vor die Venus. Er ist so groß, dass er den Liebesplaneten verdunkelt. Den größten Dunkelstand wird die Venus an Silvester haben."
Triumphierend strahle Hermine ihn an. Ihre Haltung war stolz und aufrecht. Bewunderung und dank stand in Harrys Augen, als er sie so betrachtete. Es war ein unbezahlbares Geschenk, dass diese junge, intelligente Hexe zu seinen Freunden gehörte.
„Du bist wundervoll!" Die Worte rutschten ihm über die Lippen. Peinlich berührt wurde Hermine rot, doch bevor die Situation unangenehm wurde, verschwanden alle Speisen mit einem Zischen. Das Frühstück war beendet, der Unterricht begann. Eilig packten sie ihre Sachen und liefen hinaus, über die Wiese zum Gewächshaus. 10 Minuten später versuchten sie, bissige Radieschen zu ernten. Ron war von seiner Unterhaltung mit Professor McGonagall zurück und hörte sich von Harry und Hermine die neuesten Erkenntnisse an, während er laut fluchend auf eines der Radieschen schlug, dass ihn in den Finger gebissen hatte. Nur mit halben Ohr hörte Harry zu, wie Madam Sprout die magischen Besonderheiten der Radieschen aufzählte, während sie durch die Reihen lief, um den Schülern zu zeigen, wie man die schmerzhaften, aber ungefährlichen Bisse vermied.
„Warum müssen wir immer etwas ernten, das beißt, explodiert oder uns umbringt?", maulte Ron, dessen rechte Hand schon ganz rot von den vielen Bissen war, es aber endlich geschafft hatte, drei Radieschen in den dafür vorgesehen Sack zu stopfen.
„Weil Sie sonst keine Freiwilligen finden?", fragte Harry, der in letzter Sekunde seinen Zeigefinger vor dem zackigen Maul eines Radieschens rettete. Sein Beutel war bislang leer. Nur Hermine schien etwas geschickter vorzugehen und hatte ihren fast gefüllt. Harry hingegen war etwas abgelenkt. Sein Blick schweifte alle paar Minuten zu Draco hinüber, der ähnlich missgelaunt an die Kräuterkunde-Aufgabe heranging, wie Ron. Blaise machte Witze und Pansy… Pansy war eben Pansy. Merkwürdigerweise war Harry heute gar nicht eifersüchtig darauf, dass sich das Mädchen an Draco schmiegte. Vielleicht weil die Erinnerung an die vergangene Nacht, noch so frisch war… Harry lächelte, als er an das Gefühl der Geborgenheit dachte, welches er in Dracos Armen gespürt hatte.
„Was wollte Professor McGonagall eigentlich von dir?", fragte Hermine Ron und gewann so auch Harrys Aufmerksamkeit.
„Nichts besonderes", murmelte er Rothaarige. Hermine und Harry sahen sich an. Sie wussten, dass Ron etwas verheimlichte.
„Nichts?", hakte Harry nach.
„Was?", stieß Ron heftiger als beabsichtigt aus und wurde kupferrot. Harry und Hermine sahen ihn nur an und dann platzte es aus ihm heraus. „Sie weiß das von Blaise und mir und meinte, ich soll etwas… na ja, wir sollen etwas dezenter mit unserer Beziehung umgehen."
„Wieso dezenter?" Harry war verblüfft.
„Wie kann man so schwerfällig sein", brummte Hermine. „Ist doch ganz klar, Professor McGonagall muss die zwei bei etwas Intimen gesehen haben."
Sofern möglich, wurde Ron noch röter. „Ist ja auch egal", nuschelte er. „Muss niemand wissen, hört ihr? Ich hab keine Strafarbeiten oder so bekommen. Nur… Na ja, ich soll es Blaise noch sagen." Ron stöhnte gequält. „Er wird das lustig finden und mich wochenlang damit aufziehen."
Betreten sah Harry zur Seite. Ron hatte mit seiner Befürchtung ziemlich recht. Auch er kannte Blaise gut genug, um diese Reaktion von ihm zu erwarten und Harry war wahrlich froh, nicht in Rons Haut zu stecken. Den Part des Tröstens und gut Zureden übernahm Hermine, die es tatsächlich schaffte, dass Ron sich einige Minuten später wieder besser fühlte. Unterdessen hatte Harry die ersten Radieschen geerntet. Nach ein paar Bissen hatte er rasch gemerkt, dass die Radieschen viel friedlicher waren, wenn man sie zuvor an den Blättern berührte. Im Nu hatte Harry seinen Beutel gefüllt.
Er dachte an das Ritual, von dem Hermine gesprochen hatte. In dem Buch, das sie gefunden hatte, war nichts darübergestanden, welchem Zweck das Ritual diente. Hermine hatte noch zwei weitere Bücher, in denen sie nachschlagen wollte, um mehr Informationen über das Peccatum herauszubekommen. Harry selbst, bekam ein ganz komisches Gefühl, da er daran dachte, dass Dracos ursprünglicher Auftrag war, ihn zu verführen. Konnte es ein Ritual geben, das voraussetzte, dass er keine Jungfrau mehr war? Aber Draco und er waren beide Jungen, wäre es nicht sinnvoller gewesen, ein Mädchen auf ihn anzusetzen? Wobei der Gedanke, dass seine Unberührtheit für ein dunkles Ritual störend sein könnte, so lächerlich war! Innerlich schüttelte Harry seinen Kopf. Selbst Voldemorts krankes Hirn konnte sich derlei absurdes nicht ausdenken. Oder?
Seine Augen suchten erneut nach Draco und dieses Mal trafen sich ihre Blicke. Genervt und verzweifelt schauten die eisgrauen Augen zu ihm und Harry erkannte das stumme Flehen darin. Leider konnte nur sein Bedauern signalisieren, wobei er Draco gerne in den Arm genommen hätte. Pansy schob sich in sein Blickfeld. Ihre Wut traf Harry abrupt. Das Feuer in ihren dunklen Augen flammte ihn an und für den Bruchteil einer Sekunde zuckte Harry zurück, bevor er sich dem intensiven Blick stellte. Trotzig griff Pansy nach Dracos Arm und drehte ihn von Harry weg, jedoch nicht, ohne Harry ein letztes gehässiges Lächeln zu schenken. Weil er in dieser Situation ohne Handhabe war, kochte Harrys Temperament auf. Sein Nacken und seine Schultern spannten sich an, mit dem Kiefer knirschte er. Vielleicht war es an der Zeit mit Blaise zu reden, wie lange es noch dauern würde, bis er sich an dem Mädchen rächen würde. Auch wenn es eigentlich nicht seine Art war, da er sich seiner Probleme lieber selbst stellte, kam er in Versuchung seinen Konflikt in dieser Sache über Blaise auszutragen, da dieser mit ebenso harten und teilweise unfairen Methoden kämpfte wie Pansy.
„Oh, Mrs. Granger! Mr. Potter!", hörte er Madam Sprouts Stimme freudig hinter sich. „Wie ich sehe, haben Sie beide das Geheimnis der Radieschen herausbekommen."
Harry drehte sich der Frau zu. „Und Mr. Weasley…" Sie sah auf die stark lädierte Hand von Ron. Ihre Miene nahm ebenso wie ihre Stimme bedauern an. „… Sie werden es beim nächsten Mal bestimmt besser hinbekommen."
„Beim nächsten Mal?", schnappte Ron nach Luft. „Wir müssen uns noch mal mit diesen garstigen Biestern abgeben?"
„Nun ja", sagte die Professorin. „Sie werden die Radieschen in den nächsten Zaubertrankstunden bei Professor Snape benötigen und er bat darum die doppelte Menge zu ernteten."
Rons Gesichtszüge verfinsterten sich und kaum war Madam Sprout weitergegangen, fluchte er ziemlich heftig. Erst nachdem Hermine ihm den Trick mit den Blättern der Radieschen erklärt hatte, beruhigte er sich wieder. Zum Glück war kurz darauf die Schulstunde fertig und als sie über das Gelände ins Schloss liefen, ließ er sich von Hermine mit ein paar einfachen Heilzaubern seine Finger verarzten. Harry hingegen, suchte nach Draco, doch Pansy hatte diesen so in Beschlag genommen, dass kein weiterer Augenkontakt stattfand. Seufzend fand er sich damit ab, dass er auf ein neues, geheimes Treffen warten musste, wenn er mit Draco reden wollte.
Das Peccatum schwirrte in seinem Kopf herum. Er hoffte, dass Hermine in den Büchern fündig würde oder Remus die Vollmondtage gut und schnell überstand, und er bald seine Antworten bekam. Kurz überlegte er, ob er Snape darauf ansprechen sollte. Niemand kannte sich in schwarzmagischen Dingen besser aus, als der Professor für Zauberkunde. Sein ganzes Professorenleben wollte Snape die Stelle für Verteidigung gegen die Dunklen Künste haben, hatte aber bislang stets den Kürzeren gezogen. Harry verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Snape würde ihm niemals die Auskunft geben, ohne zu erfahren, weshalb er die Information wollte und selbst wenn – Harry kannte den Professor bereits so gut, dass dieser ihn trotzdem eiskalt stehen lassen würde. Er nahm sich vor, Draco bei nächster Gelegenheit auf Snape anzusetzen. Sicherlich wäre es für den Zaubertranklehrer unauffälliger, wenn er von seinem Patensohn angesprochen wurde. Allerdings bedeutete das auch, dass Harry Draco noch mehr stärker vertrauen musste, um ihm weiterhin alle Informationen, die er über Voldemort und die ganzen unterschiedlichen Zauber bekam, zukommen zu lassen.
„Autsch!", stieß Hermine aus. Gedankenverloren war Harry in seine Freundin hineingelaufen, da diese vor der Tür zu Verwandlungen stand. „Pass doch auf, Harry."
„Entschuldige", nuschelte er. Gemeinsam betraten sie den Raum. Professor McGonagall saß in ihrer Katzengestalt auf dem Lehrerpult und betrachtete mit strengem Gesicht, wie die Klasse in den Raum eintrat. Als alle saßen, sprang sie grazil vom Tisch und verwandelte sich zurück.
„Nun Klasse", sagte sie, „in den letzten Wochen haben Sie im Rahmen der magischen Transformation gelernt Ihren Tischnachbar in einen Stuhl zu verwandeln. Heute erhöhen wir diese Kunst, in dem Sie den gelernten Zauber nutzen werden und sich selbst verwandeln. Ich warne Sie jedoch. Sie müssen hochkonzentriert sein, dürfen nicht vergessen wer und was Sie sind, da Ihnen ansonsten die Fähigkeit verloren geht, sich eigenständig zurück zu verwandeln, da Sie als Stuhl wohl kaum Ihren Zauberstab nutzen können."
Die Klasse raunte. Ron und Harry blickten sich besorgt an. Nur Hermine, die neben Lavender Braun saß, wirkte so selbstbewusst, wie eh und je. Wenn Harry an die letzten Stunden bei Professor McGonagall dachte, war er nicht sehr selbstbewusst. Sein Bein tat noch weh, wenn er daran dachte, wie Ron versucht hatte ihn in einen Stuhl zu verwandeln. Fairerweise musste er sich aber eingestehen, dass er sich im umgekehrten Fall nicht weniger ungeschickt angestellt hatte. Schuldgefühle flammten in ihm auf, als er daran dachte, dass Madam Pomfrey Ron so einige Holzsplitter aus dem Hintern ziehen musste. So arg schlimm konnte es aber nicht gewesen sein, denn Blaise hatte sich nicht über den ramponierten Zustand von Ron bei ihm beklagt. Das waren diese Momente, wo Harry wieder einmal dankbar war für den Tag, an dem die Magie in sein Leben getreten war.
„Wir üben den Zauber zuerst ohne Zauberstab", sagte Professor McGonagall, die sich unauffällig Harry Schreibpult genähert hatte. Wahrscheinlich war der Lehrerin aufgefallen, dass er mit seinen Gedanken abgeschweift war. Nun jedenfalls war Harry wieder vollständig aufmerksam und lauschte andächtig jedes Wort der strengen Hauslehrerin.
„Wie lautete der Zauberspruch mit dem wir unsere Tischpartner verwandelt haben?" Hermines Hand ging nach oben, als hätte eine Tarantel sie gestochen. „Miss Granger."
„Amicus Transformatio".
„Das ist korrekt. 5 Punkte für Gryffindor."
„Weiß auch jemand wie der Zauber heißt, den wir für die Selbstverwandlung benötigen?"
Automatisch blickte die ganze Klasse zu Hermine, die auch dieses Mal ihre Hand so hoch streckte, dass Harry fast befürchtete, ihr rechter Arm könnte auf diese Weiße länger als der linke werden.
„Miss Granger", bedeutete Professor McGonagall erneut.
„Sui-transformatione."
„Wieder korrekt. Das macht erneut 5 Punkte für Gryffindor."
Mit sich zufrieden grinste Hermine breit, doch Harry kümmerte sich nicht weiter um seine Freundin, da Professor McGonagall mit dem Unterricht fortfuhr.
„Alle Zauberstäbe auf den Tisch!" Die strengen Augen wachten über die Klasse, bis jeder Schüler der Aufforderung nachkam. „Und jetzt, sprecht mir nach…"
Fortsetzung folgt…
