Und du liebst mich doch...

Kapitel 42

Das Schlafzimmer des Gryffindor-Turms lag in angenehmer Stille, unterbrochen nur vom fernen Knistern des Feuers unten im Gemeinschaftsraum und gelegentlichem Lachen von Neville, Seamus und Dean, die offensichtlich noch wach waren. Der vertraute Duft des alten Steins und der warmen Bettdecken hing in der Luft, als Harry sich zurücklehnte und seinen Blick auf den scharlachroten Baldachin über seinem Himmelbett richtete. Neben ihm lag Ron, ausgestreckt auf der Decke, mit einer Zuckerstange in der Hand, die er langsam drehte, als bräuchte er eine Beschäftigung, die seine Gedanken sortierte.

„Langer Tag," murmelte Harry und lutschte an seiner eigenen Zuckerstange. Der süße Geschmack war angenehm, ein willkommener Kontrast zu den schweren Gedanken, die ihn seit dem Morgen begleitet hatten.

„Kann man wohl sagen," erwiderte Ron, seine Stimme klang gedämpft in der gedämpften Atmosphäre des Zimmers. Er warf Harry einen kurzen Blick zu, bevor er wieder zum Baldachin hinaufschaute. „Ich hab mit Blaise geredet."

Harry hielt kurz inne, die Zuckerstange noch in der Hand. Das war es, worauf er den ganzen Abend gewartet hatte, doch er wusste, dass er Ron die Zeit geben musste, selbst damit herauszurücken. „Wie lief's?" fragte er schließlich, versuchte, seine Stimme neutral zu halten, auch wenn sein Herz schneller schlug.

Ron schnaubte leise, aber ohne Humor. „Kompliziert. Was sonst?" Er drehte die Zuckerstange zwischen seinen Fingern, als könnte sie ihm helfen, die richtigen Worte zu finden. „Ich wusste, dass ich nicht so einfach zu ihm hingehen und darüber mit ihm reden konnte. Blaise ist zu kompliziert, um Klartext zu sprechen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich rede mit einem Buch aus der Verbotenen Abteilung, dass ich erstmal entzaubern muss.

Harry lächelte schwach. Er wusste, dass Ron Blaise wirklich mochte – mehr als das, vielleicht – doch es war nicht immer einfach, das mit Ron zu besprechen. „Hat er was über den Schlüssel gesagt?" fragte er vorsichtig.

Ron nickte langsam, ließ den Kopf ein wenig zur Seite fallen, sodass er Harry ansehen konnte. „Ja. Ich hab ihn gefragt, warum er ihn behalten hat. Ich dachte, vielleicht könnte ich ihn überzeugen, dass er ihn loslassen muss. Für Draco. Für uns alle. Aber Blaise..." Er hielt inne, seine Stirn legte sich in Falten. „Er sieht das anders."

„Wie?" Harry hielt die Zuckerstange in der Hand, hatte aber vergessen, daran zu lutschen. Er spürte die Anspannung in Rons Stimme, und er wusste, dass das nicht leicht war.

„Für ihn ist der Schlüssel... ein Teil von Draco," sagte Ron schließlich, seine Stimme leise, als wollte er die Worte nicht zu laut aussprechen. „Er sagte, der Schlüssel verbindet ihn mit der Vergangenheit. Mit der Zeit, als sie noch Kinder waren, weißt du? Als sie sich gegenseitig alles waren, weil sonst niemand da war."

Aufgrund seines vorrausgegangenen Gespräches mit Draco wusste Harry genau was Ron meinte. Es war nicht nur Draco, der als Kind gelitten hatte, sondern auch Blaise. Draco hatte angedeutete, dass ihre Kindheit für Blaise noch schlimmer gewesen war, als für ihn. Draco, der selbst nicht viel Aufmerksamkeit von seinen Eltern erhalten hatte, hatte zumindest Vater und Mutter gehabt. Blaise selbst nur seine Mutter, da sein Vater kurz nach seiner Geburt gestorben war. Harry verstand Blaise gut, schließlich waren auch seine eigenen Eltern tot, doch der Schlüssel zu Dracos Herzen war eine wichtige Sache. Sie wussten noch nicht, weshalb Voldemort den Schlüssel benötigte. Ob er Draco damit manipulieren wollte, oder der Schlüssel essenziell für den Zauber Peccatum war.

Auch wenn Blaise den Schlüssel selbst nicht benutzen wollte, Harry war sicher, dass der Schlüssel in größter Gefahr war. Beim Frühstück war ihnen Pansy als Gefahrenquelle in den Sinn gekommen. Ihr Bedürfnis nach Anerkennung und den Zurückweisungen von Draco und Blaise hatten sie stärker Richtung Voldemort geführt. Ihre Hoffnung zumindest vom Dunklen Lord Aufmerksamkeit und Ruhm zu erhalten, war töricht und dumm, da sie Voldemort nicht so kannte wie er es tat, aber sie machten die 16.-Jährige zu einer Gefahr für sie alle. Sie musste nur herausfinden, wo Blaise den Schlüssel verwahrte und ihn Voldemort übergeben. Dennoch war sie nicht die einzige Gefahr. Jeder andere Schüler oder Lehrer, der auf Seiten Voldemorts stand, konnte gefährlich werden. Seit Pettigrew wusste Harry, dass auch aus vermeintlichen Freunden Verräter werden konnten und das Verrat nicht immer Offensichtlich war.

„Hättest du etwas dagegen", wenn ich nochmals mit Blaise rede. Harry stützte sich auf seinem Arm ab, um Ron besser anzusehen. Er wollte Rons Miene abschätzen können, wie er sich dabei fühlte. Ron wusste mittlerweile, dass Blaise sein Glück auch bei Harry probiert hatte, sowie den Auftrag von-du-weißt-schon-wem erhalten hatte, Harry zu verführen. Obwohl Ron sehr in Blaise verliebt und Blaise sich für Ron entschieden hatte, war da eine nagende Unsicherheit in Ron. Manchmal schien es Harry, dass große Teile seiner Beziehung zu Draco, sich in Ron und Blaise widerspiegelten. Da war diese Gryffindor Slytherin Sache, aber auch der Fakt, dass sowohl Ron und er unerfahren in Beziehungen waren und Blaise und Draco im Gegenzug sehr erfahren. Beide hatten zwar eine Liebesbeziehung miteinander geteilt, aber auch sexuelle Erfahren mit anderen Jungen.

Harry beobachtete Ron, der sich auf die Bettkante setzte und mit den Händen durch sein rotes Haar fuhr. Die Müdigkeit und die Unsicherheit standen ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich weiß, dass Blaise mich liebt", begann Ron leise, „aber manchmal frage ich mich, ob ich ihm wirklich genug bin. Er hat so viel erlebt, so viel gesehen... und ich bin nur... ich."

Harry setzte sich auf und legte eine Hand auf Rons Schulter. „Du bist mehr als genug, Ron. Blaise hat dich gewählt, nicht irgendjemand anderen. Und ich weiß, dass er dich liebt. Das sieht man in jedem Blick, den er dir zuwirft."

Ron sah ihn an, seine Augen glänzten vor Emotionen. „Manchmal frage ich mich, ob ich stark genug bin, um das alles durchzustehen. Voldemort, die Schlüssel, die Flüche... Auch wenn ich nur eine Nebenfigur bin, ist es doch so viel und ich bin nicht du. Ich bin nicht der-Junge-der-überlebt."

„Wir sind alle zusammen da drin", sagte Harry fest. „Und wir werden das durchstehen. Gemeinsam. Du, ich, Hermine, Draco... und Blaise. Wir lassen uns nicht unterkriegen."

Ron nickte langsam, und ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Danke, Harry. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde."

„Das Gleiche gilt für mich", erwiderte Harry mit einem kleinen Lächeln. „Jetzt sollten wir schlafen. Morgen wird ein harter Tag."

Die beiden legten sich hin, und bald erfüllte das gleichmäßige Atmen von Ron den Raum. Doch Harry fand keinen Frieden. Als er schließlich in einen unruhigen Schlaf fiel, wurde er von einer Vision heimgesucht.

oooOOOooo

Dunkelheit schloss sich um Harry, und als seine Sicht zurückkehrte, fand er sich im Herzen von Malfoy Manor wieder. Unheimlich und prächtig empfing ihn der Familiensitz der Malfoys. Der Raum, in dem er sich befand, war gewaltig, mit einer Decke, die von reich verzierten Holzbalken getragen wurde, in die Szenen magischer Schlachten eingraviert waren. Die Marmorböden waren glatt wie Glas und reflektierten das zuckende Licht der Flammen aus dem Kamin.

Der Kamin dominierte eine Wand des Raumes, gefertigt aus poliertem, schwarzem Marmor, dessen Verzierungen wunderschöne, filigrane Pfauen zeigten – ein Symbol, das in seiner Eleganz doch eine unergründliche Bedrohung ausstrahlte. Die Flammen warfen lebhafte Schatten an die mit dunklem Holz verkleideten Wände, wo sich alte, magisch verstärkte Runen beinahe unmerklich in die Maserung eingraviert fanden.

An den Wänden hingen Porträts von Malfoys Ahnen, die sich hin und her bewegten, wie es die meisten Gemälde in magischen Haushalten taten. Die düstere Atmosphäre im Raum wurde durch den Kokon, der in der Zimmerdecke schwebte, nur verstärkt. Narzissa Malfoy hing bewegungslos dort, drehte sich langsam um ihre eigene Achse, und das silbrige Licht der Fäden, die sie hielten, schien leise zu pulsieren. Ein kühler Hauch strich durch den Raum, als ob die Magie selbst atmete.

Ein Tisch aus feinstem Mahagoni flog krachend gegen die Wand, als Voldemorts Zorn sich entlud. Seine roten Augen glühten wie die Glut im Kamin. Die Luft vibrierte unter der Last seiner Magie, während ein unsichtbarer Sturm die schweren Vorhänge zum Flattern und die Fenster in ihren Rahmen ächzen ließ. Mit einem knappen Wink seiner Hand zersplitterte eine Vase, deren Fragmente klirrend auf den polierten Boden fielen.

„Die Verbindung! Sie entzieht sich mir!" Voldemorts Stimme zerriss die Stille wie ein Klirren aus Glas. „Etwas oder jemand schwächt sie – und ich will die Ursache wissen!"

Harry spürte die eisige Woge von Wut und Macht, die von Voldemort ausging, wie eine Welle durch den Raum schwappen. Seine Augen fixierten die massive Tür, die sich plötzlich mit einem leisen, unheilvollen Knarren öffnete. Eine hohe Gestalt trat ein, vollkommen in Schwarz gehüllt, ihr Umhang schien die Dunkelheit des Raumes zu verschlingen.

Das goldene Wappen, das auf der Brust des Mannes schimmerte, fiel Harry sofort ins Auge. Es zeigte einen Säbel und strahlende Sterne, ein Design, das in ihm einen Funken wiedererwachender Erinnerung auslöste. Er wusste nicht, warum, doch etwas daran – oder vielleicht an der Art, wie die Gestalt sich bewegte – ließ ihn beinahe schwindelig vor Unruhe werden. Es war, als würde ein Teil seines Gedächtnisses ihn bewusst im Stich lassen.

„Mein Lord," sagte der Mann mit tiefer, rauer Stimme, während er in den Raum trat und Voldemort gegenüberstand, „für den Peccatum-Zauber wurde alles vorbereitet. Die Zutaten sind gesammelt, der Ort ist bereit. Es fehlt nur noch der Schlüssel… und Harry Potter."

Voldemorts Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und ein grausames Lächeln zog sich über sein Gesicht. „Der Schlüssel… Wann kann ich ihn erwarten? Gebt meinem Diener in Hogwarts die Anweisung, dass er nur noch zehn Tage hat. Und wenn er scheitert…" Voldemorts Stimme wurde zu einem leisen, aber schneidenden Flüstern, das umso bedrohlicher war, „werde ich mich persönlich um ihn kümmern."

Harrys Atem beschleunigte sich, sein Herz schlug wild. Noch ein Diener in Hogwarts? Meinte er Pansy oder Blaise oder eine weitere Person? Die Worte hallten in seinem Kopf wider, dunkle Erinnerungen an Pettigrews Verrat brachen ungebeten hervor. Seine Gedanken wirbelten, während er erneut einen Blick auf das Wappen auf dem Umhang der Gestalt erhaschte. Doch gerade, als er sich sicher zu sein schien, dass er die Herkunft dieses Designs kannte, begann die Vision zu verblassen. Malfoy Manor verschwand, und Harry kehrte in die Stille seines Schlafzimmers zurück, den Geschmack von Angst und Entschlossenheit auf seinen Lippen.

Fortsetzung folgt…