Kapitel 58 – Bernard Chatelet

Mit Argusaugen verfolgten Oscar und Andrè am nächsten Tag, wie Doktor Lasonne dem schwarzen Ritter eine Medizin zu Trinken gab. Er hatte ihm schon in der Nacht die Kugel aus der Schulter herausgeholt, seine Wunde versorgt und bandagiert. Bernard war während der Behandlung bewusstlos gewesen und erst jetzt wach geworden. Sofort hatte Oscar nach Doktor Lasonne geschickt und dieser gab dem Mann die Medizin, die den Schmerz der Wunde betäubte.

„Ich werde dann gehen.", verabschiedete sich der Arzt und verließ das Gästezimmer des Verletzten.

Bernard schloss für einen kurzen Moment seine Augen und als er hörte, wie die Tür hinter dem Arzt zuging, öffnete er sie wieder. Die Medizin schien zu wirken und der berennende Schmerz in seiner Wunde schien nachzulassen. Aber nicht das machte ihm Sorgen. Er war gestern in eine Falle getappt und hatte sich von diesem selbstgerechten, weiblichen Kommandanten der königlichen Garde fangen lassen! Was für eine Schmach! Er musste sofort etwas tun, um von hier wegzukommen! Zum Glück hatte sie ihn nicht in den Kerker geworfen, sondern in ein Haus gebracht. Womöglich war das sogar das Anwesen der de Jarjayes, vermutete Bernard und hörte schon Oscar reden: „Wir werden Euch dem Richter übergeben, aber fürs erste gestatte ich Euch hier zu bleiben, bis Eure Wunde verheilt ist."

Das war also der Grund, warum er im weichen Bett und hellem Zimmer lag und sich nicht in dem Kerker befand, verstand Bernard und lachte. „Ihr seid wirklich so weichherzig, wie ich annahm. Und wie wollt Ihr verhindern, dass ich die erstbeste Gelegenheit nutze, um zu fliehen?"

„Das würde ich Euch nicht raten." Oscar stand mit verschränkten Armen zum Fenster und schaute hinaus. François und Augustin ritten gerade auf ihren Pferden aus dem Tor. Sie wollten einen Ausritt machen und Oscar schenkte ihnen dann keine weitere Beachtung. Ihr Kopf war mit ganz anderen Gedanken gefüllt. Endlich hatte sie den schwarzen Ritter gefangen! Langsam kehrte sie dem Fenster den Rücken und durchbohrte Bernard mit ihrem eisigen Blick. „Ich hatte zwar auf Eure Schulter gezielt, aber die Kugel traf in die Nähe des Herzens. Der Doktor sagt, wenn Ihr Euch bewegt, dann ist Euer Leben in Gefahr. Ihr wäret fast durch meine Kugel gestorben und deshalb fühle ich mich schuldig. Das ist alles. Aber wenn Euch an Eurem Leben nichts mehr liegt, dann steht von mir aus ruhig auf."

„Ihr seid ein Lakai der Königin!", murrte Bernard gekränkt. Diese Frau in Männerkleidern wagte ihn auch noch zu verspotten!

„Und wo ist der Unterschied zwischen einem Lakai und einem Dieb?" Oscar sprach zwar zu Bernard, aber ging langsamen Schrittes zu André, der die Tür bewachte und deutete ihm mit einem Nicken, dass sie das Zimmer verlassen wollte.

„Ein Dieb hat mehr Verstand.", knurrte Bernard hinter ihrem Rücken. „Er arbeitet nämlich nur für sich selbst."

Oscar verließ mit André das Zimmer, ohne seine letzten Worte richtig gehört zu haben. Im Grunde genommen war das ihr egal. Sie hatte ihn endlich gefangen und er würde schon bald für seine Taten büßen! Besonders für das verletzte Auge von ihrem Geliebten! Das war schon ein befriedigendes Gefühl und erfreute sie sehr. „Ich habe ihm vergessen zu sagen, dass der Doktor ihm Schlafmohn verabreicht hatte.", meinte sie zu André, als sie den langen Gang passierten.

„Das wird er schon merken, wenn er jetzt einschläft.", sagte André und beide erreichten die große Treppe, als ihm plötzlich schwarz vor Augen wurde. Warum, war sein erster Gedanke. Doktor Lasonne hatte doch gesagt, dass er wieder gesund war! André stützte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen die Wand und bedeckte sein Auge. Hoffentlich würde das gleich vergehen und er würde wieder klar sehen können...

Oscar merkte, dass mit ihrem Geliebten etwas nicht in Ordnung war, ihr Herz schmerzte und sie bekam ein ungutes Gefühl. „Was hast du, André?"

André hörte ihre besorgte Stimme und spürte, wie sie ihm die nötige Stütze gab, aber schüttelte ablehnend den Kopf. Er wollte nicht, dass sie sich wegen ihm Sorgen machte. „Nichts, gar nichts. Es ist nur etwas im Auge und wird gleich vergehen."

„Was ist los mit dir?" Oscar glaubte ihm nicht und half ihm die Treppe herunter. Auf dem Weg zu seinem Zimmer passierten sie die Küche und Oscar warf einen kurzen Blick herein. „Sophie, komm schnell und schick sofort jemanden nach Doktor Lasonne!", rief sie dabei und setzte ihren Weg mit André fort.

François und Augustin kamen vom Ausritt zurück. Sie hatten ihre Degen vergessen und wollten sie holen, als sie beim Einreiten in den Hof die Kutsche des Doktors bemerkten. Vielleicht war er noch nicht fort, dachten die beiden und stiegen von ihren Pferden herab. Im Haus passierten sie die Küche, als Marguerite daraus kam und ihnen nachlief. „Wartet!", rief sie dabei und ihre Brüder blieben stehen. Sie drehten sich zu ihr um und Augustin machte schon den Mund auf, um etwas zu sagen, aber kam nicht dazu. Marguerite faltete ihre Hände vor sich und ihre Wimpern glänzten feucht. „Papa geht es wieder schlecht und der Doktor ist bei ihm."

François und Augustin tauschten einen besorgten Blick miteinander und eilten unverzüglich zu ihrem Vater ins Zimmer. Ihre Herzen klopften heftig. Hoffentlich war das nichts Schlimmes! Vorsichtig machten sie die Tür auf, spähten hinein und bekamen gerade die Rede des Doktors mit: „...wie ich es geahnt habe, Ihr habt Euer Auge überanstrengt, weil Ihr es nicht geschont habt..."

„Und wie geht es ihm?", fragte Marguerite hinter dem Rücken der beiden Knaben kleinlaut. Sie sorgte sich sehr um ihren Ziehvater, aber sie es wagte nicht, ohne eine Erlaubnis sein Zimmer zu betreten. François und Augustin waren wesentlich älter als sie und hatten nicht so viel Scheu wie sie vor den Dingen, die vielleicht sehr schrecklich anzusehen waren.

Augustin entfernte sich von der Tür, seine Hände formte er zu Fäusten und anstelle seiner Schwester zu antworten, rannte er zu der Treppe und dann nach oben. François, bevor er seinem Bruder folgte, sagte nur noch schnell zu seiner Schwester: „Vater wird wieder gesund.", und lief auch weg.

Marguerite verstand nicht, warum die beiden wegliefen, aber der Satz von François beruhigte sie und sie traute sich in das Zimmer hereinzuschauen. „...zu Eurem Glück, mein Freund, droht Eurem Auge keine Gefahr, zu erblinden. Ihr solltet es noch etwas schonen und keine überstürzten Taten verüben. Geht die Sachen immer langsam an und Euer Auge wird somit nicht überanstrengt.", hörte sie den Doktor sagen und machte die Tür wieder zu. Das waren gute Neuigkeiten und machten sie glücklich. Also konnte sie beruhigt in die Küche zurückkehren und den Küchenmädchen bei der Zubereitung des Essens helfen.

Augustin betrat angespannt das Gästezimmer und näherte sich dem Bett. Der Mann, der seinen Vater am Auge verletzt hatte, schlief. Das war gut so. Augustin zückte sein rotes Messer und hielt es oberhalb des Auges von Bernard. Seine Hand zitterte nicht einmal, als die kalte Spitze des Metalls die Haut des gemeinen Diebes berührte. „Ich werde Euch das Gleiche antun, was Ihr Vater angetan habt.", flüsterte Augustin leise und verharrte still. „Das geht ganz schnell, Ihr werdet davon nichts spüren… Nur ein kleiner Ritz..."

„Augustin, was machst du da?" François tauchte unverhofft auf und fasste erschrocken seinen Arm. Sein Bruder wollte doch nicht etwa den schwarzen Ritter umbringen?

„Ich will ihm nur am Auge verletzten.", murmelte Augustin und versuchte mit der freien Hand die Hand seines Bruders zu entfernen.

„Nein, warte, tu das nicht." François verstärkte seinen Griff und zog Augustin von dem schlafenden Mann weg.

„Und warum nicht?" Augustin ließ sich zwar von seinem Bruder entfernen, aber das brachte ihn nicht von seinem Vorhaben ab. „Er hat nichts Anderes verdient!"

„Bitte, Augustin, lass das!", bat François leise und Augustin hätte vielleicht ihn von sich gestoßen, wenn sie nicht hastende Schritte außerhalb des Zimmers vernommen hätten. „Da kommt jemand! Schnell, verstecken wir uns!"

Damit war Augustin einverstanden. Aber wohin sollten sie sich verstecken? Schnell schauten sie sich im Zimmer um und ihnen fiel nur die große Öffnung unter dem Bett auf. Sie verständigten sich mit Blicken und krochen unter das Bett. Gerade noch rechtzeitig.

Oscar stürmte in das Zimmer, zog ihren Degen und hob ihn über Bernard. „Ich werde Euch das Gleiche antun, was Ihr André angetan habt!"

François schaute baff zu Augustin. Wie war das möglich? Hatten sein Bruder und seine Mutter etwa die gleichen Gedanken? Nein, antwortete er sich selbst sogleich, Augustin war wahrhaft sein Zwillingsbruder und glich im Charakter mehr ihrer gemeinsamen Mutter als ihrem Vater. Dann hörten sie, wie der Degen in den Schaft zurückgesteckt wurde und sahen, wie die Stiefel von Oscar sich entfernten. Sie ging auf den Balkon und die zwei wollten das ausnutzen. Jedoch kaum dass sie unter dem Bett hervor krochen, ging die Tür auf und sie versteckten sich wieder. Das war André. Er ging zu Oscar auf den Balkon. „Oscar, es war doch nur eine Überanstrengung.", hörten die Brüder seine leise Stimme. „Ich kann noch alles sehen: Die Sonne und die vielen Vögel, die Blätter an den Bäumen und das Glitzern des Morgentaus. Der Doktor sagte, ich werde nicht blind." Dann verstummte er und sagte noch leiser: „Weißt du, ich finde, du solltest den schwarzen Ritter nicht dem Richter ausliefern."

Augustin war fassungslos. Er verstand den Sinneswandel seines Vaters nicht. Der schwarze Ritter hatte ihn doch verletzt und musste dafür bestraft werden! Warum wollte aber sein Vater ihn gehen lassen?

Oscar ahnte nichts von den heimlichen Zuhörern, aber sie war genauso fassungslos von dem letzten Satz ihres Geliebten wie Augustin. Langsam und entsetzt drehte sie sich um. „Was hast du gesagt?"

André senkte seinen Kopf. Er konnte seine Oscar zwar verstehen, aber er konnte ihre Meinung nicht vertreten und versuchte es ihr deshalb zu erklären: „Ich meine, er ist doch auf der Seite des Volkes, nicht des Adels. Wir können nichts tun, um den Bauern zu helfen, aber er kann und wird für sie etwas unternehmen. Davon bin ich überzeugt."

Wie bitte? Das war doch nicht sein Ernst, oder? Nein, das konnte nicht ihr André sein! Woher hatte er überhaupt so einen Sinneswandel und vor allem, warum? „André, weißt du überhaupt, was du da redest? Du setzt dich für den ein, durch den du dein Auge fast verloren hast! Ist dir das klar? Er ist und bleibt ein Dieb!"

Das war es also, begriff André. Oscar machte das seinetwegen und war sogar bereit, sich aus Liebe zu ihm an Bernard zu rächen. Aber einen unbewaffneten und dazu noch einen verletzten Menschen umbringen konnte sie nicht. André verstand ihre Gefühle und das schmeichelte ihn, aber im Gegensatz zu ihr, wollte er keine Rache nehmen. Den Grund dafür hatte er bereits erklärt. „Du hast sicherlich recht." André gab nach, seine Geliebte davon zu überzeugen, den schwarzen Ritter frei zu lassen. „Mit mir nimmt es kein gutes Ende. Erst verkleide ich mich als schwarzer Ritter und dann verliere ich fast das eine Auge. Und am Ende fragt nicht mal einer, wofür das alles war. Tja, so ist das Leben." André hob den Blick, drehte sich um und verließ das Gästezimmer. Oscar starrte ihm perplex nach, schüttelte fassungslos den Kopf und ging auch aus dem Zimmer. Sie musste mit André unbedingt unter vier Augen reden!

„Los, wir müssen weg hier!", flüsterte François und beide krochen unter dem Bett hervor. Augustin warf noch einen Blick auf den schwarzen Ritter und stellte zufrieden fest, dass dieser noch schlief. Es wäre äußerst schlecht, wenn auch dieser Dieb das Gespräch zwischen seinen Eltern mitbekommen hätte.

Vorsichtig spähten beide aus dem Zimmer und als sie in dem langen Gang niemanden entdeckten, schlichen sie bis zur Treppe und als auch dort sich niemand aufhielt, rannten sie herunter und dann auf den Hof. So würde niemand merken, dass sie beim schwarzen Ritter im Gästezimmer gewesen waren. Jedoch stießen sie fast mit dem General zusammen. „Verzeiht.", murmelten sie im Chor, aber wurden nicht beachtet.

General de Jarjayes stürmte in das Haus und rief ganz laut: „Oscar, wo steckst du?!"

Oscar kam nach einer kurzen Weile aus Andrés Zimmer hinaus und ging ihm entgegen. „Was ist, Vater?" Äußerlich sah sie ruhig und beherrscht aus, aber innerlich brodelten ihr die Gefühle durcheinander. Sie hatte mit André gesprochen und obwohl es nur ein kurzes Gespräch war, hatte sie seine Beweggründe bezüglich des schwarzen Ritters deutlicher verstanden.

„Ich habe soeben von Graf de Girodel erfahren, dass du es geschafft hast! Du sollst den schwarzen Ritter zur Strecke gebracht haben!" Reynier strahlte übers ganze Gesicht vor Freude und er war sehr stolz auf seine Tochter. „Oscar, man würde dich zweifelsohne zum Major befördern!"

Oscar erhaschte einen Blick auf die zwei Knaben, die hinter dem General standen und traf eine Entscheidung. „Hört zu, Vater, das ganze war ein bedauerlicher Irrtum."

„Was sagst du?" Nicht nur Reynier, sondern auch die Zwillinge starrten sie baff an.

„Tut mir leid, aber ich habe den Falschen verhaftet." Oscar war es unwohl bei dieser Lüge, aber sie hatte ihrem André etwas versprochen und daran würde sie sich halten. Sie liebte ihn einfach zu sehr und würde alles für ihn tun, um ihn glücklich zu sehen. „Es hat sich um einen Lügner und um einen Trickbetrüger gehandelt. Wir hatten nicht genug Beweise und deshalb müssten wir ihn laufen lassen.", beendete sie und es trat eine kurze Stille ein.

Reynier betrachtete seine Tochter skeptisch und musterte sie eindringlich, um herauszufinden, ob sie log. Oscar blieb jedoch undurchschaubar und erwiderte seinen Blick kühl und aufrecht. Vielleicht sagte seine Tochter doch die Wahrheit? Dann würde es heißen, dass Graf de Girodel gelogen hatte! Nein, Girodel würde ihn nicht anlügen. Oscar dagegen belog ihn schon seit dreizehn Jahren und seit acht Jahren hatte er es noch immer nicht geschafft, aus ihr die Wahrheit herauszulocken. Nicht einmal die Drohung, ihre Kinder wegzunehmen, hatte geholfen! Apropos Kinder... Der General hatte schon die Anwesenheit der Zwillingsbrüder mitbekommen und schenkte ihnen die Aufmerksamkeit. „Sagt sie die Wahrheit?", fragte er mehr Augustin als François.

„Ja.", antwortete François ohne zu zögern. „Mama hat noch nie gelogen."

Augustin schluckte hart und wagte es nicht mehr, seine Mutter anzusehen. Was sollte er jetzt tun? Wie es aussah, wollte sie jetzt nicht mehr den schwarzen Ritter bestrafen – sonst hätte sie seinen Großvater nicht angelogen. Er schaute nur seinem Großvater in die Augen und suchte nach passenden Worten. „Der Mann, der verhaftet und heute Nacht zu uns gebracht wurde, sah gar nicht wie der schwarze Ritter aus."

Was? Auch die Kinder meinten, dass der gefangen genommene Mann nicht der schwarze Ritter war? „Ist das so?", betonte Reynier mit Nachdruck und durchbohrte Augustin mit seinem scharfen Blick.

„Genauso war es gewesen.", antwortete Augustin standhaft und ohne seinen Blick zu senken. Irgendwie glaubte Reynier dem Jungen. Nicht Augustin, sondern François und nur deshalb ließ er mit der Befragung nach und kehrte zurück nach Versailles.

„Das habt ihr gut gemacht.", lobte Oscar die beiden Knaben, nachdem ihr Vater das Haus verlassen hatte und kam ihnen näher.

„Warum habt Ihr gelogen?", wollte Augustin wissen. „Ihr hasst doch Lügen."

Oscar schaute ihn an. „Das stimmt. Das war gerade nicht ehrenhaft von mir.", gab sie zu und fügte sogleich eine Erklärung hinzu: „Aber manchmal muss man das tun, um die zu schützen, die einem lieb und teuer sind."

Augustin verstand. Seine Mutter machte genau das, was auch er machte und zwar alles Mögliche dafür tun, um die eigene Familie zu beschützen. Im Gegensatz zu ihm hatte François schon geahnt, weshalb seine Mutter gelogen hatte und das hatte sie auch noch mit ihrem letzten Satz bestätigt. Diese Sache war nun geklärt und es blieb nur noch eine Frage offen: „Was passiert jetzt mit dem Mann im Gästezimmer, Mutter?"

„Ich werde ihn noch heute nach Paris, zu Rosalie, begleiten.", erklärte Oscar und ordnete die beiden Knaben an: „Ihr geht in den Stall und sagt den Stallknechten Bescheid, dass eine einfache Kutsche bespannt werden muss und vergesst auch nicht, mein Pferd zu satteln." Sie machte kehrt und ging mit gutem Gewissen zurück zu ihrem André, um ihn mit ihrer Entscheidung zu erfreuen.

„Warum wolltest du den schwarzen Ritter überhaupt angreifen?", fragte François neugierig, als er mit seinem Bruder draußen im Hof war. Das interessierte ihn wirklich.

Das fragte er noch? Augustin seufzte. „Du weist warum. Aus dem gleichen Grund wie Mutter."

„Aber dann hast du gelogen, genauso wie sie." François staunte noch immer über die Ereignisse, die gerade passiert waren. „Heute ist ein merkwürdiger Tag. Kannst du mir das erklären?"

„Nein." Augustin beschleunigte seinen Schritt und rannte dann in den Stall.

François bekam ein ungutes Gefühl und folgte ihm schnell. „Warte doch! Was hast du jetzt vor?"

„Ich will wissen, wo genau dieser Dieb hingebracht wird!" Augustin begann schnell sein Pferd zu satteln. „Ob du mich begleitest ist deine Sache, ich will dich zu nichts zwingen."

„Natürlich begleitete ich dich!" François machte es ihm gleich und sattelte sein Pferd. Er wollte seinen Bruder nicht im Stich lassen, besonders nicht in Paris, wo sich der Vorfall mit den andern Knaben vor fünf Jahren ereignet hatte. Sie taten so, als würden sie nur ausreiten wollen, aber stattdessen warteten sie den richtigen Moment ab.

Die Kutsche für den schwarzen Ritter und das Pferd für Oscar waren schon bald fertig. André und ein paar kräftige Männer halfen Bernard in die Kutsche zu steigen und danach stieg er selbst auf den Kutschbock. Oscar saß schon im Sattel auf ihrem Schimmel und trabte ihn neben der Kutsche im gemächlichen Gang an.

Augustin und Francois hielten ihre Pferde die ganze Zeit in Bereitschaft und sobald die Kutsche mit dem schwarzen Ritter hinter den Toren verschwand, stiegen sie auf ihre Pferde. Mit Abstand verfolgten sie die Kutsche bis nach Paris. In der großen Stadt gestaltete sich die Verfolgung durch vielen, herumlaufenden Menschen etwas vorteilhafter. So würden sie nicht so schnell von ihren Eltern bemerkt werden.

Irgendwann zügelte Oscar vor einem Haus ihr Pferd und auch die Kutsche blieb stehen. Augustin und François hatten nun gesehen, was sie wollten. „Hier wohnt also Rosalie." bemerkte Augustin und wendete sein Pferd. „Jetzt können wir nach Hause zurückkehren." Eigentlich wollten die Brüder so schnell wie möglich aus Paris verschwinden, aber durch die vielen Menschen auf den Straßen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als langsam zu reiten. Am Rande der Stadt wurden die Menschen weniger und anstelle sein Pferd schneller anzutreiben, zügelte Augustin es unvermittelt.

„Was ist passiert?", wollte François wissen und folgte dem Blick seines Bruders. An einem dreistöckigen Haus stand ein Paar und unterhielt sich. Der schwarzhaarige Mann trug eine blaue Soldatenuniform und hielt ein Pferd bei den Zügeln. Das Auffallendste an ihm war aber ein rotes Halstuch. Die Frau, mit der er sich unterhielt, legte ihre Arme um seinen Nacken und gab ihm einen Kuss.

François wurde verlegen. Er fühlte sich etwas miserabel, andere Menschen beim Küssen zu beobachten. Nun gut, seine Eltern hatte er schon öfters beim Küssen gesehen, aber sie waren keine Fremden im Gegensatz zu diesem Paar. Augustin schien das küssende Paar dagegen nicht zu stören. Er musterte denn Mann intensiv und eindringlich. „Ich kenne ihn!", sagte er dann ganz von sich überzeugt.

Der schwarzhaarige Mann beendete den Kuss und stieg auf sein Pferd. Er merkte nicht, dass er beobachtet wurde. François schaute schlagartig zu seinem Bruder. Wie, Augustin kannte diesen Mann? „Wer ist das?", wollte er von ihm wissen.

„Ich erinnere mich nicht, aber ich kenne ihn!" Augustin schüttelte ungläubig den Kopf und traf eine Entscheidung. „Los, wir verfolgen ihn!"

Augustin war verrückt, musste François sich eingestehen, aber gleichzeitig bekam er auch den Drang, herauszufinden, wer der Mann war. Bestimmt gehörte der Schwarzhaarige mit dem roten Halstuch zu einem Teil der Vergangenheit von Augustin, vermutete François und folgte ihm.