Die Suche

Die ersten Sonnenstrahlen brachen hinter den aschegrauen Wolken hervor und deckte den Himmel in blasses Rosa ein. Mit dem Tagesanbruch standen auch sie auf.. Ivren musste gähnen, doch schon bald verscheuchte die Aufregung seine Erschöpfung. Noch einmal benutzen sie die Traumsicht. Nur eine Veränderung gab es - das Blut war getrocknet.

Ivren wollte nie ein wahrer Drachenreiter sein. Aber jetzt wünschte er sich, er hätte die magische Bindung mit Nainar.

Saphira stoß mit einem gewaltigen Satz ab. Unter ihren Flügeln wirbelte der Staub umher. Ivren nieste. Hoch am Himmel kreiste sie einmal und noch einmal. Immer noch brannten Lichter unter ihnen, bis Saphira noch höher stieg und er kaum die Funken der Flammen sah. Eragon starrte in die Ferne. Plötzlich zuckte er. "Ivren?"

"Ja?"

"Kann man mit einem Zauber Blut finden?"

Ivren blinzelte. "Gute Frage. Ich verstehe deine Idee. Aber . . Hm . . Blut generell ist kein Problem. Aber es kostet viel zu viel Energie, weil so viel Blut um uns herum ist. Nainar damit zu finden wäre äußerst schwierig, nahezu unmöglich. Man müsste sehr spezifisch sein um eine bestimmte Person zu finden, sonst hätte Galbatorix es schon längst genutzt." Eragon schluckte. "Außerdem habe ich uns beide mit so einigen Zauber eingedeckt um nicht gefunden zu werden."

"Wie konnte ich ihn dann mit Traumsicht sehen?"

"Mit etwas Arbeit kann man Ausnahmen in solche Zauber sprechen. Allein, du und Aurora können mich finden."

Das Hauptproblem war es, es nur diesen Personen erlauben einen zu finden. Als Drachenreiter waren sie einzigartig genug das keine Gefahr bestand. Es gab wohl kaum einen zweiten Eragon, gebunden an eine Saphira. Am einfachsten wäre es mit dem wahren Namen, aber das war natürlich nicht möglich. Manches sollte geheim bleiben.

Mit einen Mal schoss Saphira pfeilschnell hinab. Der Wind zerrte an ihnen und Ivren musste sich dicht an Eragon drücken. Mit einem Beben setzte sie auf. Sofort sah Ivren warum Saphira hier gelandetet war:

Tiefe Furchen durchschnitten den Boden. Blut verklebte den Torf, viele feine Spritze und, an einer Stelle, eine große Blutlache. Vereinzelt im Gras waren Brandspuren, große schwarze Flecken, Asche und die Überreste verbrannter Grashälme. Hinter dem toten Gerüst eines Strauches lag ein Felsbrocken, verformt durch die Flammen.

Er sprang von ihren Rücken ab. „Guter Fund."

Ivren rümpfte die Nase. Ein scharfer, saurer Geruch lag in der Luft. Er kannte ihn nur zu gut. Verdammt! Wenn Nainar - ! Eragon riss ihn aus seinen Gedanken. „Dieser Geruch . . Ich erinnere mich. Seithr Öl."

„Seithr Öl. Ja." Ivren seufzte, aber er wollte schreien. „Ich seh' hier keine Überreste."

„Vielleicht finden wir Spuren."

„Ich hoffe es."

Ziellos strich Ivren über den Platz. Warum ausgerechnet Seithr Öl? Ach, er wusste es. Ra'zac bevorzugten es, aber dennoch – das eine was kein Zauber wirklich heilen konnte. Er hatte es schon so oft probiert. Immer zwecklos. Damals, vor einhundert Jahren . . Ivren wollte kaum daran denken.

Ein lautes Krachen, ein Donnergrollen, als würde der Berg gleich über ihm zusammenbrechen. Ivren schlug die Augen auf, strich sich die Haare aus dem Gesicht und setzte sich auf. Der Regen prasselte auf den Felsvorsprung nieder und schon bald fielen auch Tropfen von der Decke. Sein Unterschlupf würde dem Wetter nicht lange standhalten. Er musste weiterziehen. Doch das Gewitter – Ivren wollte nicht hinaus.

Die Glut gab ihm kaum genug Licht um seine eigene Hand zu sehen. „Garjzla," sprach Ivren und eine kleine Lichtkugel erschien. Unter ihrem Licht packte er zusammen. Die Anwohner von Karstwehl warteten auf ihn, besorgt um ihre Familien und Leben. Zu viele merkwürdige Ereignisse in zu kurzer Zeit sorgten für Panik in dem kleinen Dorf. Ivren würde ihre Sorgen erleichtern. Aurora dachte es wäre nur Aberglaube, aber das Verschwinden von einem ganzen Händlertrupp machte ihnen dann doch beiden Sorgen. Wenigsten konnte es kein Drache sein.

Licht schnitt durch die Dunkelheit vor der Höhle, ein Blitzschlag, und dann ein gewaltiges Tosen und Donnern. Hoffentlich keine Lawine. Ivren starrte ihn die Nacht. Nicht einmal Mondlicht konnte ihm den Weg zeigen. Er musste Licht mit sich tragen und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Alte Paranoia erzählten ihm das er damit nahezu alles einlädt ihn anzugreifen. Und doch hatte er keine Wahl.

Am Tag zuvor war der Wald noch ein Anblick der Wunder, jetzt ein Schrecken in der Nacht. Die knorrigen, verdrehten Bäume waren nicht mehr faszinieren, sondern verstörend. Das dichte Unterholz nicht mehr voller Leckereien, sondern voller Monster. Schon bald verwandelte sich der Waldboden in ein Matschbad. Mit jedem Schritt schmatzte es. Über den Baumkronen tobte immernoch der Sturm. Nicht einmal Motten flogen umher. Der Regen verschreckte sie.

Endlich! Fester Boden unter seinen Füßen. Der Wandelpfad ging in eine richtige Straße über. Sie teilte sich am Bach auf, nun, wenn man das noch einen Bach nennen konnte. Durch den Regen und das Tauwasser in den letzten Wochen war aufgeschwollen. Die kleine Brücke knarrzte in Wind. Die Planken waren alt, nass und mossbewachsen, die Seile abgerieben und durchtränkt. Hm. Sollte er da wirklich rüber?

Vorsichtig trat er auf die erste Planke, dann auf die zweite und die dritte. Es schwankte bedenklich. Er nahm noch einen Schritt. Verdammt rutschig! Nun war er in der Mitte, fast im Wasser. Die Brücke hing tief durch. Nur noch einen, und - geschafft. Ivren atmete auf.

Trotz allem kam bald Karstwehl in Sicht. Das Dorf war dicht an die Felswand gepresst, eingeengt von Stein, Wald und Wasser. Nicht weit davon stürzten die Berge in ein tiefes Tal, voller scharfer Kanten und kleinen Höhlen. Am Boden lag ein See.

Die Anwohner waren nicht sonderlich hilfreich. Sie wussten zwar wer verschwunden war, konnten aber weder eine Uhrzeit noch einen Ort angeben. Wer weiß, wenn er Pech hatte, hatten sie sich nur verlaufen.

Dennoch würde er es ernst nehmen. Fast dreißig Man verschwunden, das war kein Zufall. Zudem noch die zwei Dörfler – Hm. Die Händler könnten überfallen geworden sein. Zudem waren die Berge tückisch, jetzt im Tauwetter. Naja.

Entschlossen stiefelte Ivren wieder Richtung Straße. Immerhin regnete es nicht mehr in Strömen. Tiere krochen aus ihren Verstecken hervor und strichen im Dickicht umher. Ab und an war ein Rascheln hinter ihm zu hören. Wahrscheinlich ein neugieriger Fuchs.

Zuletzt waren die Händler am Zeersee gesehen worden. Ivren entfaltete die Karte. Noch ein Stück hinab und dann links. Alles klar. Die nassen Steine quietschten unter seinen Stiefeln. Ivren stolperte, sah schon eine Platzwunde kommen, fing sich aber gerade noch so. Er hörte ein Keckern, wie von einer Elster, aber irgendwie doch nicht. Ivren schüttelte den Kopf. Egal.

Der nächste Wegabschnitt führte scharf an der Kante vorbei, ein Pfad in die Bergwand gehauen, angenehm für einen Menschen, aber gefährlicher mit einem Wagen. Die Sonne fiel durch die Wolken und malte wilde Schattenspiele über die Felsen. Schwingen rauschten über seinem Kopf. Ivren drehte sich um, musste die Augen zusammenkneifen und, nachdem er nicht mehr geblendet war, sah einen großen Vogel am Himmel kreisen. Hier gab es ein, zwei Adlerarten. Schade das er so weit oben war. Er würde ihn gerne näher zu Gesicht bekommen.

Bald wich das Gestein einer großen Wiese, gefüllt mit allerlei Frühlingsblühern und Kräutern in allen Farben, gelbe Tupfen von Löwenzahn, ebenso die zarten weißen Gänseblümchen, Frauenmantel und die altbekannten Blätter des Fingerhutes. Immer noch durchstießen scharfe Steinsplitter den Hang, wie die Zähne eines uralten Drachen. Unter seinen Füßen knirschte es. Holz. Ivren kniete, hob die Planke hoch und wusste, er hatte die Überreste der verloren Händler gefunden. Waren sie ins Tal hinabgestürzt?

Einige Schritte weiter, fand er mehr Holz, zerrissene Tücher und Tonscherben, dunkele Spuren von altem Blut und, er konnte den Gestank bereits riechen, Fliegen, Massen an Fliegen und Maden, die über den Proviant und Überreste herfielen. Er hob eine Planke mit einem Stock an. Ein Schwall weißer krabbelnder Masse fiel herab. Ivren ließ die Planke los. Er schauderte. Wo waren die Händler? Ivren fand keinen einzigen Menschen, lebendig oder tot.

Plötzlich sah er einen Schatten am Waldrand. Ivren griff sein Schwert, trat einen Schritt nach vorne und sah eine Blutlache. Ein vielversprechender Pfad, eingedeckt in Blut, eine wahre Blutbahn, führte Richtung Wald. Er verzog das Gesicht. Na toll. Trotzdem schlich Ivren weiter Richtung Wald. Im Gegensatz zu den Händlern hatte er Magie. Was konnte schon passieren?

Das Unterholz zitterte. Das Gebüsch raschelte. Ein junger Rehbock starrte ihn erschrocken an. Nach einem Augenblick sprang er davon. Die Blutspur führte noch weiter. Langsam wurden die Flecken immer lichter, bis sie dann hinter einer knorrigen Eiche verschwanden. Ivren spähte um die Ecke. Das Moos war noch nass. Wasser, nicht Blut. Dort lag der Ursprung des Blutes. Kein Mensch. Ein Pferd, oder was davon übrig war. Die Innereien waren über den Waldboden verteilt. Die Knochen waren schon teilweise blank gefressen, abgenagt.

Wieder wackelte etwas hinter einem Strauch. Ivren starrte den Strauch an und lauschte. Blätter raschelten, etwas knackte und knirschte. Er trat näher, schob einen Ast aus dem Weg und erblinkte einem blutverschmierten Mann.

„Nein! Bitte -" keuchte der Mann und versuchte wegzukriechen. „Bitte . ."

Ivren hielt inne. „Keine Sorge, Freund. Ich wurde gebeten nach euch zu suchen." Das 'nach euren Gebeinen' ließ er dabei aus. Der Mann sah mitgenommen aus, wie zu erwarten, ein Bein mit grobabgerissen Stoff verbunden, bereits blutdurchtränkt, zudem totenbleich mit tiefen Ringen unter seinen Augen und ein Hauch von Wahnsinn in ihnen.

„Ich kann dir helfen. Ich bin ein Heiler," bot er an, halb gelogen aber hoffentlich genügend um Vertrauen zu gewinnen. „An was kannst du dich erinnern?"

„Ich . . Es – es war ein Drache!" stotterte der Mann. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er ins Nichts. Sein Mund öffnete sich, wie zu einem Schrei, einem ungehörten Schrei. Plötzlich keuchte er, fing an zu röcheln und Blut strömte aus seinem Mund. Seine Brust war durchbohrt. Ivren hob sein Schwert, doch es kam ihm zuvor und dann kannte er nur noch Schmerz.

„Ivren? Ivren!" rief Eragon. „Ich hab eine Spur gefunden!"

Ivren zuckte zusammen. Seine Hand umschloss bereits den Schwertknauf. Er schüttelte den Kopf. Eragon trat näher und runzelte die Stirn. „Ist etwas, Ivren?"

„Nichts. Alles in Ordnung." Er unterdrückte den Drang seine Narbe zu reiben.

„Da hinten ist noch etwas Blut," Eragon deutete in die Richtung, „und Saphira riecht es auch. Sie meint, wir sollten Richtung Melian ziehen. Dracheninstinkt."

„Dann los. Je schneller wir Nainar finden, desto besser."