Im Schatten des Waldes
Schon bald rauschte die Landschaft unter ihnen dahin. Einzelne Bäume häuften sich an bis sie zu einem wahren Wald wurden. Es war eisig kalt. Saphira flog hoch oben, in dünner Luft. Von alleine hatte sie es so entschieden. Ivren fühlte einen Anflug von Stolz. Melian lag nicht allzu weit entfernt und wenn auch nur ein Bauer sie erspähte, wären sie verloren.
Mit einem dumpfen Aufschlag landete Saphira in einer Waldlichtung. Noch war sie schlank genug um sich zwischen den Baumkronen hindurchzuwinden. Nainar war es nicht. Etwas weiter südlich hatten sie seine Spuren gesehen. Einige Bäume waren niedergestreckt in einem drachenförmigen Loch. Trotz der glasklaren Spur hatte Ivren davon abgeraten dort zu landen. Fallen, oder ein sehr wütender verletzter Drache, konnten dort auf sie warten.
"Ihr solltet besser noch zurückbleiben." orderte Ivren. "Wilde Drachen akzeptieren keine Außenseiter."
"Nicht einmal Saphira?"
"Vor allem nicht Saphira. Wilde Drachen sind territorial, wenn sie verletzt sind umso mehr."
"Aber sie brüten doch gemeinsam?"
"Natürlich. Drachen bilden Bunde genauso wie wir. Sie verteidigen ihre Nester, egal ob Mensch oder Drache." Ivren zog seinen Mantel zurecht. "Ich sollte anfangen. Behaltet ein Auge auf den Himmel. Vielleicht kommen die Lethrblaka vorbei. Sucht einfach meinen Geist."
"Wir werden uns bereithalten." versprach Eragon.
Kaum drei Schritte im Wald hinein, fand er schon zerrisse Äste und geborstene Stämme. Splitter lagen weit verstreut. Vögel flatterten umher, bereits wieder beruhigt. Ein junger Rehbock fraß die Triebe einer Buche. Nainar konnte nicht zu nah sein, sie würden ihn riechen.
"Nainar?" rief Ivren und streckte seinen Geist aus. Ein Grollen erschallte aus dem Dickicht. Er schauderte. Nainar war nahezu unerkennbar. Sein Geist fühlte sich an wie ein Tier tief im Fieberwahn.
Zwischen den Bäumen verbarg sich ein scharf abgebrochener Hang, aus der Erdwand ragten Wurzeln hervor und wandten sich um Steinbrocken. Am Fuß plätscherte ein Bach, umgeben von runden Kieseln und blühenden Gräsern. Ein kleiner Fischschwarm huschte im flachen Wasser umher. Schwarze Schuppen und glänzende Rückenzacken ragten weit hinter Brombeerbüschen und einem einsamen Haselnussstrauch hervor.
Langsam näherte er sich Nainar. Rote Tupfen schmückten das Moos auf den Felsbrocken. Sulfur und Eisen. Drachenblut. Ivren sprang in den Bachlauf. Ein Welle an roten Wasser kam ihm entgegen. Er schluckte. "Nainar?"
Ein Fauchen war die Antwort. Nun, dann würde es eben auf die wilde Art versuchen. Ivren zwang den Großteil seiner geistigen Mauern nieder und ließ seine Gedanken gegen Nainar's streichen. Pure Agonie brannte durch seinen Körper, Fieber und Schmerz und Hass. Er hielt gegen den Sturm an und suchte, tief in seinem Inneren nach all den warmen Gefühlen und Erinnerungen die sie je geteilt hatten und warf sie Nainar entgegen.
Plötzlich krachte es. Ivren sah die Baumwipfel wackeln. Verdammt, Nainar! Warum gab er nicht nach? Sollte er es wagen näher zu kommen? Wenn er Pech hatte, würde Nainar ihn nicht erkennen, ihn töten und sich niemals dafür vergeben.
Ivren holte tief Luft und fing an zu sprechen. Der Schutzzauber war lang und kompliziert, gab ihm aber Schutz vor selbst Drachenflammen. Zumindest genug um sich heranzuschleichen. Vor vielen Jahren hatte er ihn gemeinsam mit Aurora geschaffen. Nur falls es wirklich zu einem Kampf kam würde er sich aktivieren, vielleicht sogar töten. Der Energieaufwand um das Feuer eines Drachen aufzuhalten war gewaltig. Bisher hatte er ihn noch nie gebraucht. Hoffentlich jetzt auch nicht.
Ein langer Schatten peitschte hinter den Bäumen hin und her. Es platschte. Der Bach wallte um seine Füße auf. Ivren sprang aus dem Wasser hinaus. Erneut grollte sein Freund.
"Eka malabra né haina," rief Ivren, "Eka malabra né haina, Nainar."
Ein Zischen, ein Knacken und dann starrte ein helles Auge ihn an.
"Fricai onr eka eddyr. Nainar." Er streckte ihm die Hand entgegen. "Atra eka heill ono, fricai. Iet evarína, bjartr auga, sonr abr Steorra."
Nainar blinzelte. Der Drache senkte den Kopf hinab und drank mit gierigen Schlücken.
"Nainar? Du musst mir schon antworten." Er schien ihn zu erkennen oder zumindest die Versprechen in der Alten Sprache zu verstehen. "Kann ich Saphira und Eragon herbringen?"
Keine Reaktion. Ivren berührte seinen Geist erneut. Immer noch fiebrig heiß, aber durchzogen von einer sanften Wärme und jenes Gefühl, was Nainar stets mit Aurora und seiner Zeit im Ei verband. Sicherheit. Er musste lächeln. Ivren konzentrierte sich auf ein klares Bild von Saphira und Eragon, und sandte es Nainar. Dieser hob den Kopf, blinzelte erneut und erwiderte es mit einer Erinnerung: Saphira, Eragon und Ivren auf ihrem Rücken. "Ist das ein Ja? - Ah. Ich verstehe."
Er schüttelte die fremden Gefühle ab. Eragon und Saphira spürten das jeden Tag. Immer noch befremdend, nach all den Jahren. "Ich schau mir jetzt mal dein Bein an."
Nainar zog seinen Flügel zurück. Ivren erzog das Gesicht. Es war nicht schwarz, sondern rot vor verkrustetem Blut. Ein süßer und zugleich scharfer, altbekannter Geruch stieg von der Wunde auf. Verdammt. Er würde Eragon's Hilfe gebrauchen. "Wie tief ist das?"
Phantomschmerz schoss über seinen Arm. "Hm. Zeig mir nachher den Kampf, ja? Ich hab auch einiges zu erzählen."
Die Flügel – es war grausam. Einem Drachen die Flügel zu verschneiden – nicht in Worte zufassen. Ohne einen talentierten Heiler wäre Nainar hier gestorben. Mit viel Glück hätte seine angeborene Magie ihn vielleicht vor dem Seithr Öl gerettet, nur damit er dann verhungert oder vom Imperium gefangen worden wäre. Schrecklich. Es könnte Wochen dauern bis er wieder fliegen kann. Wochen die sie nicht hatten.
War er dazu verdammt seinen Freund, seinen Bruder, immer wieder in Gefahr zu bringen? Wie oft würde er noch fast für ihn sterben? Er wollte den Gedanken verdrängen und doch fragte er sich: Würde es eines Tages nicht mehr 'fast' sein? Ungewollt zeichnete seine Fantasie ein Schreckensbild, Nainar kalt und leblos.
Nein! Er musste sich konzentrieren. "Ich muss Eragon holen. Dann kümmern wir uns um deine Wunden." Ivren legte seine Hand auf unversehrte Schuppen. "Keine Sorge. Ich beschütze dich, komme was mag."
Ivren rannte den Weg zurück zu Saphira. "Ivren! Was ist? - Wie schlimm ist es?"
"Schlimm. Er wird's überleben aber ich brauche deine Hilfe."
"Wie können wir helfen?"
"Saphira, könntest du für ihn jagen? Er wird in nächster Zeit nicht dazu fähig sein."
Sie fauchte. "Natürlich. Was haben sie ihm angetan?"
"Seithr Öl und Klingen - die Flügel sind am schlimmsten. Ich kann nicht mit euch zu den Varden zurückkehren. Es tut mir leid, aber er wird mich brauchen."
Eragon berührte seine Schulter. "Keine Sorge. Wir verstehen dich. Wenn Saphira verletzte wäre . . "
"Wir jagen diese - " Saphira knurrte. "feigen Monster aber noch? Ich will ihr Blut."
"Ich werde sie nicht davonkommen lassen. Zu dritt sollten wir sie erledigen können." Ein Luftkampf würde Aufmerksamkeit erziehen. Hm. "Wir planen später."
"Also, du kennst die Zaubersprüche?" Eragon nickte. "Oromis hat viel Wert auf Heilung gelegt. Ich auch."
"Gut." Er konnte genauso gut ihm noch etwas beibringen. "Seithr Öl wird durch mächtige Magie erschaffen, verbotene Magie. Normalerweise heilen Wunden, die mit ihm vergiftet wurden, nie."
"Normalerweise? Ich dachte es sei unmöglich."
"Nahezu unmöglich. Es hinterlässt schreckliche Narben, weil der Energieaufwand viel zu hoch wäre. Aber mit den richtigen Worten und einigen Tricks kann man zumindest die Wunde grob zusammenflicken. Zuerst müssen wir aber das Öl entfernen." Ivren formte schnell aus Stein ein grobes Gefäß. "Das Blut wird gefährlich sein. Das Gift wirkt ja noch."
"Nainar, das wird jetzt schmerzhaft." Der Drache brummte. Gemeinsam sprachen sie Zauber nach Zauber, entfernten das Gift und somit Teil des Blutes, reinigten die Wunde und dann übernahm Ivren den schwierigen Teil. "Eragon. Mach das hier niemals vor anderen nach, klar?"
Eragon schluckte. "Warum das denn?"
Ivren musste nervös lachen. "Ah, das hier ist zutiefst verdammte und verbotene Magie. Mach's einfach nicht ohne einen absoluten Notfall, wie, zum Beispiel – dein oder Saphira's bevorstehender Tod."
"Was! Und du, du verlangst nichtmal einen Schwur?" Eragon starrte ihn an. "Woher weißt du das überhaupt dann?!"
"Naja, wenn man Jahre lang Ra'zac und Magier jagt, dann lernt man auch die ein oder andere Sache von ihnen. Um die Magie im Seithr Öl zu umgehen, benötigt man dieselbe Art von Magie."
Hoffentlich musste er das nie in der Alten Sprache wiederholen. Er konnte es nämlich nicht. Eragon seufzte. "Ich würde auch alles tun um Saphira zu retten."
Es war mehr als genug Blut zu Verfügung, um den Zauber zu sprechen. "Ich kann gerne noch ein paar Aussagen in der Alten Sprache machen um dich zu beruhigen, aber nachher."
"Das hier, das schadet aber niemanden?"
"Niemanden." versprach Ivren und schloss die Augen. Er konzentrierte sich ganz und gar auf die Worte, auf das Blut und seinen Willen. Als er sie wieder öffnete, war die Wunde teilweise geheilt, das Öl und der schwarze Zauber als dem Blut gebannt und damit Nainar gerettet. Danke, Rauthren. Dies war ein Verbrechen das er ohne jegliche Reue begann. Möge ihn so manch einer dafür verurteilen, doch es rettete Leben. Nainar's Leben.
Schweiß ran über seine Stirn. "Eragon," keuchte er, "Übernimm du die Flügel, ja? Das war - anstrengend."
"Ruh dich aus." Eragon scheuchte ihn zur Seite. "Ich kümmer mich darum."
Er lehnte sich an eine nahe Eiche und schaute Eragon zu. Über ihren Köpfen rauschten Flügel. Plötzlich schlug etwas dumpf auf dem Boden auf. Ein Reh. Saphira landete, packte ihre Beute erneut und schleppte sie näher zum Bach. Nainar hob den Kopf. Seine Zunge zuckte hervor.
Für einem Moment starrten die Drachen einander nur an. Dann schob Saphira das Reh noch ein Stück näher und zog sich zurück. Eragon sprang zur Seite als Nainar sich aus dem Wasserlauf hob und über seine Mahlzeit herfiel.
Ein gutes Zeichen. Vielleicht würde es doch nciht so lange dauern bis er wieder bei Kräften war. Eragon war ein guter Heiler. Dennoch, die Wunden brauchten Betreuung. Naja, zuerst mussten sie die Ra'zac töten. Eins nach dem anderen. Mit dem Morgen würden sie sie jagen.
Sie sammelten etwas Holz und kochten sie einen Hasen für Ivren und Gemüsesuppe für Eragon, welcher an Saphira angelehnt den Nachthimmel beobachtete. Es war nur ein kleiner Fleck zwischen den Baumkronen sichtbar.
"Was denkst du von Murtagh?"
"Eine komplizierte Frage." Ivren schlug die Hände zusammen, "Er ist unser Feind, er ist dein Freund, dein ehemaliger Gefährte. Er hat Gutes getan und auch Böses. Vor allem aber wünsche ich ihm Freiheit. Ja, es gibt nichts schlimmeres für mich als durch den wahren Namen und Eide gebunden zu sein, und seinen Seelenpartner noch mit dazu."
"Aber was denkst du von ihm?" fragte Eragon erneut, diesmal mit Nachdruck.
"Ich habe ihn zum erstem Mal auf den brennenden Steppen getroffen. Er ist ein guter Kämpfer, ein starker Magier. Eine Gefahr. Zu seinem Charakter kann ich nicht viel sagen. Mutig, widerstandsfähig, klug."
"Manche sagen es wäre von Anfang an klar gewesen, dass er uns verraten wird, weil Morzan sein Vater ist. Vater wie Sohn, Verräter." Eragon klang kalt. War das ein Test oder waren Eragon's Gefühle wirklich so umgeschlagen?
"Wäre er nicht entführt worden, hätte sich Murtagh wohl kaum Galbatorix angeschlossen. Manchmal ist es schwierig, jemanden in die Augen zu sehen, mit dem Wissen was seine Eltern getan haben und ihn nicht dafür zu hassen. Manchmal ist es echt schwierig. Aber man sollte jeden stets für seine eigene Taten verurteilen und nicht für die anderer. Wir alle können uns es nicht aussuchen zu wem wir geboren werden und so leicht es ist andere zu richten, so kann ich nur sagen, einem jeden dem es gelingt sich von seinen Eltern oder Lehrmeistern zu trennen, wenn diese grausame Wesen sind, für den bin ich froh. Für alle, die es nicht schaffen, für die habe ich Mitleid."
Saphira beugte ihren Kopf nieder und berührte Eragon sanft. "Weise Worte."
Eragon trank einen Schluck Wasser, dann platzte es aus ihm hervor: "Murtagh ist mein Bruder."
Für einen langen Moment war Ivren zutiefst verwirrt. Es war schrecklich was mit Murtagh geschehen war und das er Eragon's Bruder war, verschlimmerte es nur, aber – ah! Morzan's Sohn. Das machte Eragon wohl ebenfalls zu seinem Sohn. "Ich schätze, ihr seid nicht zufällig Halbgeschwister? - Es ändert nichts daran, das du ein guter Mann bist, Eragon, egal ob dein Vater Morzan war oder nicht."
"Bin ich so gut im Kämpfen, im Töten, wie er, wegen ihm? Ist das mein Erbe?"
Es platzte nahezu aus ihm hervor. Ivren hatte Eragon noch nie so düster, so verzweifelt erlebt, außer vielleicht nach den brennenden Steppen. An dem Tag hatte er es dem Blutvergießen zugeschrieben. Wie aber sollte er antworten? Vielleicht hatte Eragon wirklich Talent von seinem Vater geerbt. Vielleicht lag Magie und Schwertkampf ihm im Blut. Was tat schon eine Lüge weh?
"Schreib ihm nicht so viel zu. Er ist tot und hat noch nie ein Wort mit dir gewechselt. Welchen Einfluss kann er schon auf dich gehab haben? Niemand wird böse geboren. Dein Onkel hat dich großgezogen, Brom und Oromis haben dich trainiert, und wenn ich mir deinen Cousin so anschaue, denke ich, alles Talent kommt eher mütterlicherseits her."
Seine Worte hatten den gewünschten Effekt. Eragon schmunzelte. "Danke." Er rollte seine Augen. "Ja, Saphira, du hattest natürlich recht."
"Komm, ess noch etwas. Wir müssen stark für den Tag sein."
- Alte Sprache -
Eka malabra né haina - Ich möchte dir nicht schaden.
Fricai onr eka eddyr – Ich bin dein Freund
Atra eka heill ono, fricai – Lass michd ich heilen, Freund.
Iet evarína, bjartr auga, sonr abr Steorra. - Mein Stern, Hell-Auge, Sohn von Steorra.
